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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

No. 13. 1860.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Eine Brautfahrt.
Von dem Verfasser der neuen deutschen Zeitbilder.
(Schluß.)

Der Kreissecretair maß mit stolzer Würde den jungen Mann. „Er wollte zur gnädigen Frau geführt werden?“

Der junge Mann maß den Kreissecretair mit stolzem Spotte und sagte: „Mein Herr, ist Ihnen vielleicht bekannt, daß in diesem Schlosse heut ein frohes Familienereigniß gefeiert werden soll?“

Der Kreissecretair stutzte doch. „Es ist das keine Amtssache.“

„Aber eine Thatsache, und da Sie von ihr wissen, mein Herr, so wird es Ihnen auch ferner nicht unbekannt sein, daß zu diesem Ereignisse Jemand erwartet wird.“

„Allerdings!“

„Ein junger Mann!“

„So ist es.“

„Lieutenant in der Garde!“

„Er ist Officier.“

„Sein Name ist Fritz von Horst!“

„Bei Gott!“

„Seine Mutter ist eine Jugendfreundin der gnädigen Frau!“

„Auch das ist so.“

„Wohlan, mein Herr, wenn Sie so vertraut mit den Geheimnissen der Familie des Schlosses sind, so werden Sie jetzt auch wissen, was Sie dieser Familie schuldig sind. Darf ich bitten, mich zu der gnädigen Frau zu führen, vorher aber mir diese Fesseln abnehmen zu lassen?“

Der Kreissecretair war verlegen geworden. Der Frau Landräthin hatte er zudem zu gehorchen. Er ließ sie herbitten und unterdeß dem Gefangenen die Fesseln abnehmen. Der Bediente kam mit der Meldung zurück, daß die gnädige Frau in ihrem Zimmer sei.

„Folgen Sie mir,“ sagte der verlegene Kreissecretair zu dem Gefangenen.

„Sie begleiten uns, Gensd’arm,“ befahl der vorsichtige Beamte dem Gensd’armen.

Der junge Mann lachte über die Vorsicht und folgte dem Kreissecretair, selbst gefolgt von dem Gensd’armen. In dem Vorzimmer der Landräthin ließ der Kreissecretair die beiden Anderen zurück und ging allein zu der Dame. Bei dieser war ihre Tochter, und Beide waren erwartungsvoll genug, bis der Kreissecretair ihnen das am wenigsten Erwartete brachte. „Gnädige Frau, der eingefangene Räuber gibt sich für den Herrn von Horst aus.“

„Mein Gott!“ riefen beide Damen.

„Der hier heute erwartet werde.“

„Fritz von Horst?“

„Fritz von Horst, Lieutenant in der Garde, nennt er sich.“

„Der Sohn meiner Jugendfreundin?“

„Und der Verlobte des gnädigen Fräuleins sei er.“

„Der Räuber? Der eingezogene Räuber?“

„Er hat die genaueste Kenntniß aller Familienverhältnisse.“

„Und wie sieht er aus?“

„Er ist ein schöner, eleganter junger Herr.“

„Führen Sie ihn herein,“ rief rasch entschlossen die Dame.

Der Secretair führte den Gefangenen aus dem Vorzimmer herein. Der junge Mann trat mit der vollen Leichtigkeit und dem vollen Anstande eines adeligen Gardelieutenants und mit dem ganzen Respecte vor, den er den Damen, namentlich in einer Situation wie die seinige, schuldig war. „Gnädige Frau,“ begann er, „die eigenthümlichen Umstände, unter denen ich hier eingebracht werde, legen mir die sonderbare Verpflichtung auf, vor allen Dingen mich bei Ihnen zu legitimiren. Darf ich Ihnen dieses Schreiben meiner guten Mutter überreichen? Sie empfiehlt sich herzlich der Freundin ihrer Jugend.“ Mit diesen Worten übergab er der Dame ein Schreiben.

„Von meiner theuren Freundin!“ rief sie, riß das Schreiben auf und las es.

Der junge Mann wandte sich unterdeß an die junge Dame. „Mein gnädiges Fräulein,“ sagte er, „ich wurde in Fesseln hierher geführt, aber kaum bin ich ihrer entledigt, so fühle ich mich in neuen gefangen; diese werde ich stets tragen.“

Das Fräulein suchte nach einer Antwort. Es schien ihr aber auch nicht viel daran gelegen zu sein, als sie keine fand.

Die gnädige Frau hatte den Brief ihrer Freundin gelesen und war gerührt; in ihre Augen schienen Thränen zu treten, und mit dem umflorten Blick sah sie noch einmal den schönen, gewandten, jungen Mann an. Dann flog ein Lächeln des Entzückens durch ihr volles, rothes Gesicht; sie breitete ihre kleinen dicken Arme aus, legte sorgfältig den gelesenen Brief auf einen Tisch und rief: „Ganz die Züge meiner theuren Amalie! Kommen Sie an mein Herz, Ebenbild der geliebten Jugendfreundin!“

Der junge Mann flog in ihre Arme und sie umarmte ihn lange. „Sie sind entlassen, Herr Kreissecretair,“ sagte sie dann vornehm zu dem Beamten, der ihr zu gehorchen hatte. Er gehorchte deshalb auch hier und ging. „Und jetzt,“ rief sie darauf emphatisch, „gehört er Dir, meine glückliche Lucina. – Doch vorher, mein theurer Fritz, welcher Unstern hat Sie verfolgt, daß Sie in solcher Weise hier erscheinen mußten?“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 193. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_193.jpg&oldid=- (Version vom 15.4.2021)