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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

und Lagerlebens war die Erinnerung an jenes Spiel am Ballabend gewichen, und – vergessen hatte der Held, der Sieger, der Fürst und Feldmarschall die kleine Niederlage, die ihm als zweiundvierzigjährigem verabschiedetem Rittmeister durch eine junge Frau bereitet worden. Das Geschick, das ihm in jeder andern Beziehung günstig gewesen und ihn zu seinem entschiedenen Lieblinge erkoren, es hatte versäumt, ihm jene Gelegenheit zu bieten, mit der damals der General von Bischoffswerder den erregten Mann getröstet und auf die der Gekränkte und Verspottete gehofft. Lange war das Gefühl eine schmerzende Wunde gewesen, endlich hatte sie der Alles beschwichtigende Lauf der Zeit geheilt, und seit vielen Jahren war sie vernarbt.

Der greise Held dachte, als er im Januar des Jahres 1817 nach Berlin kam, nicht daran, daß er dort noch eine Rechnung mit Menschen abzuschließen haben würde. Das Geschäft glaubte er besorgt zu haben, mit der Welt dachte er fertig zu sein. Sein Gewissen sagte ihm, daß er im Leben seine Schuldigkeit gethan, die ihn bewundernde Menschheit fand, daß er Unglaubliches geleistet. Dachte er also daran, mit irgend Etwas Rechnung abschließen zu müssen, so war’s mit dem Himmel, und voller Seelenruhe war er dazu bereit. – Frei und offen, wie er jederzeit in’s Leben geblickt, sah er nun nach oben, und stieg auch hie und da eine kleine Erinnerung in ihm auf, die nach seiner Ansicht den heiligen Petrus hätte zögern lassen können, ihm die Pforten der ewigen Seligkeit zu erschließen, so beruhigte er sich mit dem Gedanken: „Oeffnet er sie Dir nicht, so thust Du es selber, und der alte Blücher, der mit so Vielen fertig geworden, wird auch schon mit dem Petrus zu Stande kommen!“

So verlebte denn Held Blücher froh und unbekümmert die letzten Jahre seiner irdischen Laufbahn. Er erfreute sich einer für sein Alter seltenen Gesundheit. Namentlich der Winter 1817 fand ihn wohlauf und kräftiger, als er sich die Zeit vorher gefühlt. Er bewohnte in Berlin jenes Haus am Pariser Platze, das ihm der König mit dem Bemerken geschenkt hatte, „der Siegesgöttin, deren Liebling er gewesen, und die er mit aus Paris heimgebracht habe, möglichst nahe zu sein.“

Ging Blücher auch selbst nicht mehr viel in Gesellschaft, so liebte er es doch, Leute bei sich zu sehen, und seine Freunde führten häufig Fremde bei ihm ein, die nach der Ehre strebten, im gastlichen Hause des Siegers von Waterloo aufgenommen zu werden.

Unter diesen fremden Gästen begegnete des Fürsten Auge eines Abends einer Gestalt, die ihm sofort bekannt erschien und in der er, trotz des langen Zwischenraumes vieler Jahre, jene schöne Frau von R…g wiedererkannte, die damals alle Herzen entzündet und auch das seinige – wenigstens auf Stunden – zum schnelleren, heftigeren Schlagen gebracht.

Die Wiedererkennung würde vielleicht nicht so schnell erfolgt sein, wenn nicht zwei Dinge wesentlich zu ihrer Erleichterung beigetragen hätten. Die hohe, edle Stirn der überaus stattlich aussehenden Dame schmückte nämlich ein Brillantdiadem von so antiker, seltsamer Fassung, daß, wer es einmal erblickt, nicht so leicht vergaß, es gesehen zu haben. Außerdem war das schwarze Sammetkleid, das sie trug, reich mit Diamanten verziert, die auch wie das Diadem den Stempel trugen, einem Familienschmucke zu entstammen, wie er nur noch in alten angesehenen Adelshäusern anzutreffen ist. Dieses kostbare Diadem, diese antiken Armspangen, das herrliche Collier – – Alles war einmal, wenn auch nur während weniger Stunden, des Fürsten Eigenthum gewesen, und der Feldmarschall entsann sich, was er als Rittmeister besessen! – – –

Ein ebenso schnell und gut wirkendes Erkennungszeichen war die zur Seite der ältern Dame stehende schlanke, jugendliche Erscheinung. Sie war das verkörperte Ebenbild ihrer entschwundenen Jugendzeit, und in lieblicher Anmuth waren in diesem zarten, feinen Antlitz all die edlen schönen Züge der einst so blendenden Mutter wiedergegeben.

„Frau von R…g! – Wie freue ich mich, Sie wiederzusehen!“ rief der Fürst, freundlich und ohne Groll derjenigen die Hand reichend, die ihn einst so schnöde behandelt.

„Ist’s möglich, Durchlaucht erkennen mich wieder?“ entgegnete die Freifrau, auf’s Aeußerste geschmeichelt, und ein Lächeln stolzen Triumphes umspielte die etwas eingesunkenen Züge des Mundes.

„Das kann Sie, die Sie die ewige Jugend zu besitzen scheinen, doch unmöglich in Erstaunen versetzen, gnädigste Frau.“

„Doch, doch, Durchlaucht, denn es sind länger als –“ Frau von R…g stockte. Sie konnte sich nicht entschließen, den ihr so widerwärtigen Zeitraum von dreißig Jahren anzugeben. Voll Gewandtheit sich zu helfen wissend, setzte sie schnell, hinzu: „Es sind viele Jahre seitdem vergangen, wo ich das Glück hatte, Ew. Durchlaucht zusehen!“

„Ich fühlte stets schmerzlich diesen langen Zeitraum, Gnädigste; doch – in diesem Augenblicke machte Ihre noch immer so blendende Schönheit mich die Reihe der Jahre vergessen.“

Die Straußfedern am Toque der stattlichen Freifrau wiegten sich anmuthig, als sie wohlfällig ihr etwas taubes Ohr den galanten Worten des Fürsten lieh. Ihr Lächeln verschwand aber, als er sie bald über ihre schöne Tochter vergaß, mit der er heiter plauderte und neckend scherzte. Nie fühlte sie es noch so scharf und bitter, welch gefährliche Nebenbuhlerin sie an ihrem reizenden Kinde besaß! – Ihre Stirne legte sich in schwere Falten, ernst und strenge, kalt und unerbittlich wurden ihre Züge, als sie sich, nachdem der Fürst gegangen, zu ihrer Tochter wandte und tadelnd sprach: „Du verstehst es noch immer nicht, Dich zu benehmen, bist stets zu laut, lachst zu viel, hast keine Manier, keinen Anstand! – Gehe daher im Augenblick zu Deinem Vater und laß Dich von ihm nach Hause geleiten, wo Du über Dich nachdenken magst!“

Die junge Schöne neigte demüthig ihr liebliches Köpfchen, wagte dann mit zitternder Stimme eine Entschuldigung, eine Bitte; doch die gestrenge Mutter beseitigte kurz jeden Einwand, und die reizende Tochter verschwand aus dem Salon des Fürsten, wo Frau von R…g allein zu herrschen beabsichtigte.

Daß der Feldmarschall der Neigung des Rittmeisters treu geblieben, zeigte Frau von R…g der sehr bald arrangirte Spieltisch. Auch sie hatte nie wieder der Leidenschaft entsagen können, die sie dreißig Jahre zuvor plötzlich mit Allgewalt erfaßt hatte. Im weitern Verlauf des Abends spielten der Fürst und die Freifrau wieder allein, denn jeder der übrigen Mitspieler war scheu vor den bedeutenden Summen zurückgewichen, um welche sie spielten.


Das Fürstliche Lust-Schloß zu Salzthalen.


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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 197. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_197.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)