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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Lamm mit einem Fußtritte fortschleuderte. Von der Dorfbewohnerschaft erntete ich allerdings Schmeicheleien und Bewunderung für meine Heldenthat, nicht so aber von Bachida, welche Lust zu haben schien, störrisch zu werden und ihre rechtmäßige Beute unter allen Umständen wiederzuerobern. Um auch sie zu befriedigen, wurde deshalb das ohnehin etwas mitgenommene Lamm für baare sechs Silbergroschen unseres Geldes erhandelt und nach dem Schiffe gebracht, wo es Bachida noch selbigen Abend wohlgemuth verspeiste.

Der zweite Fall war ernster. Wir lagen bei Theben, und Bachida ward der großen Menschenmenge wegen mit ihrer Kette an eine der Säulen des Tempels von Luksor gefesselt. Natürlich sammelten sich außer den stets dort sich findenden neugierigen Reisenden aus aller Herren Ländern auch sämmtliche Dorfbewohner, um „die Tochter Abu Fathmes“, wie die Sudahnesen die weiblichen Löwen nennen, in gehöriger Nähe gefahrlos betrachten zu können. Unter ihnen befand sich ein kleiner zudringlicher Negerknabe, welcher Bachida wohl zu nahe gekommen oder sie gar erzürnt haben mochte; denn plötzlich theilte sich der dichte Kreis, der sie bisher umgeben hatte, unter entsetzlichem Geschrei und Geheul, Verwünschungen, Fluchen und Jammern, und mir wurde schleunigst die Nachricht hinterbracht, daß mein „Scheusal“ soeben einen kleinen Adamssohn erfaßt habe und im Begriff stehe, ihn ohne Umstände zu verschlingen. Es sei zwar nur ein Sclave, allein ich möge bedenken, daß er 1000 Piaster gekostet habe, und ich ihn entschieden bezahlen müsse, wenn die Löwin ihn fressen würde. Daß dieser letztere Satz, nach dortiger Ansicht jedenfalls der wichtigste, auch bei mir seine Wirkung nicht verfehlen würde, schien natürlich, und diese Meinung ward auch vollkommen gerechtfertigt; denn ich stürzte diesmal mehr als eilig zu meiner Freundin, um den gefangenen Buben zu befreien. Bachida spielte mit ihm, wie eine Katze mit der Maus, drehte ihn in ihren Pranken hin und her, beroch ihn, zog ihn zu sich heran, ließ ihn wieder los, um ihn augenblicklich von Neuem zu halten, hatte ihm aber bisher auch nicht das geringste Leib zugefügt und nirgends ihn auch nur geritzt. Meine Ankunft brachte sie augenblicklich zur Besinnung, daß der schwarze Schreihals kein Spielzeug für sie sei; sie ließ denselben fahren, noch ehe ich Miene machte, ihr ihn zu entreißen.

In Egypten wurde der Zudrang der Menge zu unserm Schiffe so arg, daß wir öfters unsere Bachida zur Abwehr benutzen, das heißt, sie am Stricke führend die Leute zurücktreiben mußten. Gewöhnlich half blos dieses Mittel, dann aber auch gründlich. Kein Mensch konnte begreifen, daß ein Löwe in dieser Weise gezähmt werden könne, wie es hier ersichtlich war; Jedermann schien vielmehr zu glauben, ein Opfer des Ungeheuers werden zu müssen, und auch die Zudringlichsten machten sich eiligst auf die Socken, wenn wir mit der Löwin auf sie zukamen.

Während unseres Aufenthaltes in Kairo gab Bachida den „Söhnen der Begnadigten“ mehrere Male ein ganz außergewöhnliches Schauspiel. Um ihr zuweilen den Genuß von freier Luft zu verschaffen, führte ich sie nämlich an der Kette spazieren, und einige Male bin ich mit ihr über die stets von Spaziergängern erfüllte Esbekie gegangen. Man kann sich denken, welche Menschenmenge augenblicklich sich versammelte, um solches nie Gesehene gehörig betrachten zu können. Unter den Ausrufen der vollsten Bewunderung folgte Jeder, welcher uns sah, sodaß unsere Schleppenträger bald zu Hunderten anwuchsen. Ihre Bewunderung schien jedoch vorzugsweise der Löwin, nicht aber meiner Wenigkeit, zu gelten, da ich Ausrufe, wie: „Bewahre uns der Allmächtige vor dem aus seinen Himmeln herausgestürzten Teufel!“ „Behüte uns der Herr vor allem offenbaren Zauber!“ „Gott verdamme diesen Christen!“ und andere öfters zu hören bekam. Gewöhnlich wurde der Zulauf zuletzt so unerträglich, daß ich nach kurzem Spaziergange zurückkehren mußte. Dabei wurde ich aber keineswegs durch die Menge der Zuschauer gehindert; denn wie in Oberegypten machte auch hier Jedermann eiligst Platz, wenn das bewunderte Thier erschien, auf dessen Gutmüthigkeit man sich dennoch nicht ganz verlassen zu können glaubte.

Bauerhorst schenkte die Löwin dem Thiergarten in Berlin, und ich übernahm gern die Begleitung von ihr und einer ganzen Menge anderer Thiere, welche der preußische Generalkonsul Dr. v. P. derselben Anstalt geschenkt hatte, obwohl sich unter den Thieren auch ein erwachsener, männlicher Löwe befand, mit welchem nicht gerade zu scherzen war. Unsere Ueberfahrt von Alexandrien war rasch und glücklich, wenn sich auch die Thiere mit dem finstern Schiffsraume nicht recht befreunden konnten. Selbst Bachida schien sehr mißmüthig und ärgerlich darüber geworden zu sein, obschon ich sie tagtäglich zum großen Ergötzen und Erstaunen der Reisenden auf’s Verdeck heraufholte. Sie mußte dabei eine leiterartige Treppe heraufsteigen, und dies schien ihr stets viel Beschwerde zu verursachen, wurde jedoch nach Katzenart mit vielem Geschick bewerkstelligt. So oft sie auf Deck erschien, war sie artig und liebenswürdig, wie immer; in den dunkeln Schiffsraum kehrte sie aber stets mit großem Verdrusse zurück. Einmal verkannte sie mich gänzlich und ließ ihrem Grolle freien Lauf, als ich an ihrem Käfig vorüberging. Ich wollte sie streicheln, wurde aber von ihr plötzlich so heftig am Arme gepackt, daß ich heute noch die Narben der dabei erlittenen Verletzungen an mir trage. Allerdings war sie außer sich, als ich sie anrief, und sie ihr Unrecht erkannt hatte; ich aber merkte, daß in dieser Lage mit ihr nicht zu spaßen sei. Sogleich nach unserer Ankunft in Triest war sie wieder das liebe gute Thier, wie früher, und als ich sie nach viertägigem Getrenntsein wiedersah, kannte ihre Zärtlichkeit gar keine Grenzen. Es wurde für mich fast gefährlich, zu ihr in den Käfig zu gehen, da sie mich mit Gewalt dort festhalten wollte, und ich jedesmal nur durch List von ihr loskommen konnte. Unser Abschied ging mir sehr nahe, und ich muß offen bekennen, daß ich von Hunderten von Menschen mich getrennt habe, ohne auch nur entfernt so ergriffen worden zu sein, als ich es in jenem Augenblicke war, welcher mich für Jahre von meiner treuen Freundin scheiden sollte. Auch sie schien es zu ahnen, daß wir nun getrennt werden würden; denn sie jammerte fast kläglich, als ich zuletzt von ihr gehen wollte und doch immer noch einmal zu ihr zurückkehren mußte, um sie von Neuem zu liebkosen.

Und in der That vergingen Jahre, ehe ich Bachida wiedersah. Erst zwei Jahre nach meiner Rückkehr aus Afrika kam ich nach Berlin, und meine erste Frage war natürlich nach Bachida. Ich erfuhr zu meiner Freude, daß sie sich wohl befinde, groß und schön geworden sei und ihre alte Liebenswürdigkeit sich noch bewahrt habe. Da trieb es mich denn fast mit Gewalt zu ihr. Ich bedurfte keiner neuen Vorstellung seitens eines Aufwärters, denn ich erkannte meine Löwin auf den ersten Blick wieder. Eine ziemlich zahlreiche Gruppe von Neugierigen stand vor ihrem Käfig, als ich mit einem Freunde mich näherte. Man warnte mich freundlich, nicht zu nahe zum Käfig zu gehen, allein ich glaubte diesmal dieser Warnung nicht zu bedürfen und beruhigte die Besorgten, indem ich sagte, daß ich die Gewalt habe, die Thiere durch den Blick meines Auges zu bändigen, und ihnen gleich beweisen würde, daß es wahr sei. Und wirklich war das höhnische Gelächter einiger Anwesenden, welches die Entgegnung dieser Worte war, zu früh, denn der Erfolg bestätigte das, was ich erwartet hatte. In der völlig veränderten Kleidung, in welcher ich vor Bachida stand, erkannte sie mich augenblicklich zwar nicht, allein beim ersten Worte, welches ich an sie richtete, lauschte sie hoch auf, ihre Augen funkelten, sie legte sich wie zum Sprunge zurecht und lauschte nochmals. Und als ich dann wie in alten Zeiten zu ihr sagte: „Bachida, ja Bachida, Habibti, kef chalak, kef salamtak?“ das heißt, als ich sie begrüßt hatte, wie man eine theure Freundin begrüßt, in der Sprache, in welcher man zur Freundin redet, da war Bachida mit einem Satze an dem Gitter und reichte mir durch dasselbe beide Pranken. Ich gab ihr furchtlos meine Hand, sie zog sie an sich, legte sich nieder und auf den Rücken, wie sie es zu thun pflegte, wenn sie sich recht glücklich fühlte, und ließ sich nun mit der höchsten Befriedigung von meiner Seite streicheln und hätscheln wie in vergangenen Tagen. Es bedurfte einer großen Ueberwindung, um mich wieder von diesem Thiere trennen zu können, und ich nahm noch einmal ebenso traurig Abschied von ihr, als ich ihn in Wien genommen hatte.

Es war der letzte; denn Bachida ist todt.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 203. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_203.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)