Seite:Die Gartenlaube (1860) 207.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Zwar mußte er wegen gänzlichen Mangels an Beweisen nach anderthalbjährigem Inquiriren frei gesprochen werden, aber zugleich wurde er von seinem Amte ohne jeden Grund suspendirt. Mitten im Vollgefühle seiner Kraft sah er sich zu einer gezwungenen Unthätigkeit verdammt, willkürlich aus seiner ihm lieb gewordenen Stellung als Lehrer herausgerissen und, wenn auch nicht moralisch, so doch polizeilich in seiner bürgerlichen Ehre gekränkt. Dazu kam noch der Tod seines jüngsten Söhnleins, das er außerordentlich geliebt; der sechsjährige Knabe war in den Fluthen des Rheins ertrunken.

Herzzerreißend war seine Klage über die „Zerreißung und Zermürsung“ seiner Kräfte; er verglich sich mit dem Thurme, dem man, so lang er steht, nicht ansieht, wie Sturm, Regen und Schnee seine Fugen und Bänder allmählich gelöst und gelockert haben. Still „wie rostiges Eisen“ saß er in seinem Häuschen vor dem Koblenzer Thore, traurig, aber nicht gebrochen. An der Seite der „tapferen“ Gattin erhob er sich von den furchtbaren Schlägen des Schicksals und kehrte zu seiner früheren schriftstellerischen Thätigkeit allmählich zurück. Er verfolgte die Geschichte seiner Zeit und gab sein Votum in allen wichtigen Tagesfragen ab; so schrieb er „Christliches und Türkisches“, „Belgien und was daran hängt“, eine Reihe von Flugschriften, die den Stempel seines Geistes trugen.

Endlich nach zwanzig Jahren unfreiwilliger Muße setzte Friedrich Wilhelm der Vierte beim Antritt seiner Regierung den nun „alten Arndt“ in seine frühern Würden ein, „den Greis, der, von der Last des Alters und andern Lasten zusammengedrückt, im Schimmel der Unthätigkeit und Vergessenheit gelegen hatte, der aber noch immer gern die alten, zusammengeschrumpften Blätter regen und entfalten wollte.“ Durch ganz Deutschland wurde die That des Königs mit Jubel begrüßt, der alte Arndt aber von seinen Collegen in Bonn zum Rector magnificus für das Jahr 1840–41 gewählt, von der akademischen Jugend mit Begeisterung empfangen. Die allgemeine Freude verjüngte auch den alten Stamm, daß er, wie in milder Frühlingsluft, neue Sprossen und Knospen trieb. So erschienen jetzt seine gesammelten Gedichte in neuer verminderter und doch vermehrter Auflage und „die Erinnerungen aus dem äußeren Leben“, im Gefolge einer Reihe kräftiger Flugschriften „an und für seine lieben Deutschen“, in denen sich der „Geist der Zeit“ noch einmal frisch wie in den ersten Jugendtagen folgendermaßen aussprach: „Oeffentlichkeit und gerade Gerechtigkeit in allen unseren Dingen, freie Presse, freie Verhandlungen des Bundestages, freies Aussprechen unserer Schmerzen und Freuden vor ganz Europa, wie die anderen großen Völker es thun dürfen, freier offener Mund unserer Landtage und Gerichte“ sind die Forderungen, zu denen er das deutsche Volk berechtigt glaubte.

So lautete gleichsam sein politisches Testament, da er seine Laufbahn für geschlossen hielt; zugleich kehrte jetzt wunderbarer Weise der Greis zu den Neigungen und Erinnerungen seiner Kindheit zurück; eine geheime Sehnsucht zog ihn nach der nordischen Heimath; er beschäftigte sich jetzt fast ausschließlich mit skandinavischen Alterthümern und Uebcrsetzung von schwedischen Gedichten. In seinen Briefen kam es sogar öfter vor, daß er statt eines deutschen Wortes oder Wendung eine schwedische Redeweise gebrauchte.

Da kam das Jahr 1848 mit seinem Völkerfrühling, seinem Sonnenschein und wilden Stürmen, seinen Hoffnungen und Täuschungen. Vater Arndt durfte dabei nicht fehlen. Denn an ihm und in ihm verkörperte sich gleichsam das Schicksal des deutschen Volkes, dessen Glück und Unglück er vor Allen zu tragen berufen schien. Er trat in die Paulskirche, wie er selbst, zum Sprechen aufgefordert, sagte, „gleichsam wie ein gutes altes deutsches Gewissen“ und weil er an „die Ewigkeit seines Volkes“ glaubte.

Seine kurze Rede wurde von dem stürmischen Jubelruf der Versammlung unterbrochen, die auf Soiron’s Antrag dem Dichter des Liedes: „Was ist des Deutschen Vaterland“ ein dreimaliges donnerndes Lebehoch ausbrachte.

So huldigte der Reichstag dem Deutschesten der Deutschen und ehrte ihn, als die Geister der Parteien wild auf einander platzten. Auch Arndt träumte von einem deutschen Kaiser und stimmte für die Erwählung Friedrich Wilhelm des Vierten zum Herrn des Reiches; er selbst war einer der Abgesandten, welche die deutsche Kaiserkrone nach Berlin trugen und abgewiesen wurden. Damals sang der edle Dichter in seinen „Bilder der Erinnerung, meistens um und aus der Paulskirche in Frankfurt“:

Kaiserschein, Du höchster Schein,
Bleibst Du denn im Staub begraben?
Schrein umsonst Prophetenraben
Um den Barbarossastein?
Nein! und nein! und aber nein!
Nein, Kyffhäusers Fels wird springen.
Durch die Lande wird es klingen:
Frankfurt holt den Kaiser ein.

Sein letztes Wort auf der Tribune galt der Einheit des deutschen Volkes, „das, wenn es auch nur halb einig wäre, die Welt überwinden müßte, wie weiland.“ Einige Wochen später verließ er, seiner Ueberzeugung treu, die Paulskirche mit der Partei Gagern, der er sich angeschlossen. Die nachfolgende Zeit der Schmach erschütterte nicht seinen Glauben, seine Treue, seinen Muth. Wieder griff er zu der Feder, der getreue Eckard seines Volkes, und hielt mit offenen, hell glänzenden Augen Wacht gegen die inneren und äußeren Feinde. Wo er Gefahr sah, ließ er seine Stimme erklingen, so gegen die übermüthigen Dänen in seinem „Mahnruf an alle deutsche Gaue in Betreff der schleswig-holsteinschen Sache,“ dem er sein herzliches Buch: „Pro populo germanico“ und „Meine Wanderungen und Wandelungen mit dem Reichsfreiherrn von Stein“ folgen ließ, ein Denkmal dem großen Freunde errichtet, wodurch er ihn und sich ehrte.

Solch ein reiches, schönes Leben, bis in’s höchste Alter von Thatkraft und Segen geschwellt, konnte nicht ohne äußere Anerkennung bleiben. Ganz Deutschland kannte und liebte den alten Arndt, dem das Volk den höchsten Ehrennamen „Vater“ beilegte. Noch bei seinem Leben setzte ihm die Universität Greifswald zu ihrer vierhundertjährigen Jubelfeier ein Denkmal von Marmor, seine Reliefbüste, wofür er seinen Dank in den schönen Worten ausprach: „Ich habe nach dem Ruhm eines ehrlichen Mannes gestrebt. Will man durch das Denkmal in mir eine gewisse Beständigkeit und Festigkeit des Lebens ehren, was man den nordischen, altsächsischen, pommerschen Charakter nennt, so ist das eine Ehre, die ich mit Stolz annehme, mit dem Stolze, ein Sohn Pommerns zu sein. Möge der Name Pommern als der Name der Tapferkeit, Redlichkeit und Treue ein unsterblicher Name bleiben.“

Am klarsten aber sprach sich die allgemeine Liebe bei Arndt’s neunzigstem Geburtstage aus, den er in voller Geistesfrische als jugendlicher Greis im Kreise der Seinigen, aber von ganz Deutschland beglückwünscht, feierte.

Der Tod fand ihn noch mit dem Lächeln des eben erst genossenen Glückes auf den Lippen; sanft nahm er die Hand, welcher die nimmer rastende Feder entsank, womit er noch die letzten Dankesworte schrieb, und führte den Sterbenden zur Unsterblichkeit. Das deutsche Volk wird aber seinen „Vater Arndt“ nie vergessen, der für deutsche Freiheit und Einheit gelebt, gekämpft, gelitten und gesungen hat: „Was ist des Deutschen Vaterland?“

Max Ring.




Blätter und Blüthen.

Aus dem Leben Tamburinis. In Palermo, wo sich der berühmte Sänger zwei Jahre aufhielt, gab er einen Beweis von Geistesgegenwart, der ihn für immer zum Liebling des Publicums machte. In jener Stadt herrscht der eigenthümliche Gebrauch, daß das Publicum am letzten Tage des Carneval mit Kindertrompeten, Trommeln, Schellen, kupfernen Kasserolen und andern Lärminstrumenten im Theater erscheint, um während der Vorstellung eine Katzenmusik aufzuführen. Tamburini wurde, sobald er auftrat, mit einem betäubenden Tusch empfangen. Man hätte in dem Getöse kaum einen Donnerschlag, vielweniger die Stimme eines Sängers vernehmen können, und Tamburini, welcher augenblicklich verstand, daß heute Alles erlaubt sei, blieb ruhig stehen, um eine Pause der Erschöpfung abzuwarten und sich dann durch einen Scherz Gehör zu verschaffen. Man spielte Elisa und Claudio, und sobald das Publicum einen Moment schwieg, um Athem zu schöpfen, begann der Sänger seine Baßarie mit Frauenstimme vorzutragen. Die Fistelstimme Tamburini’s war von merkwürdiger Reinheit und Biegsamkeit, und die überraschte Menge legte ihre Lärminstrumente vorsichtig bei Seite, um mit Aufmerksamkeit zuzuhören. Der Scherz gefiel; das Publicum, das den hingeworfenen Handschuh so heiter aufgenommen sah, erlaubte Tamburini die Arie ohne Unterbrechung zu Ende zu singen. Aber die übrigen Sänger hatten kein Recht auf gleiche Nachsicht, und als Madame Liparini, welche die Elise spielte, auftrat, begann der Charivari womöglich noch ärger als zuvor. Die Künstlerin hielt

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 207. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_207.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)