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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

„Habe nur noch eine kleine Geduld und spiele auch mir gegenüber den Arzt! Du mußt Dir ja doch die Schmerzen des Kranken und ihre Veranlassung erklären lassen! – Wir sahen uns wieder und erkannten Beide im ersten Augenblick, daß alle unsere Jugenderlebnisse nur das Vorspiel dieses Wiedersehens gewesen – wir wußten nun, daß wir uns schon damals geliebt hatten; das erste Wort dieses Bekenntnisses vereinigte uns nicht erst, es zeigte uns, daß wir, ohne es zu ahnen, einander schon angehörten. Unsere Verbindung, der keinerlei Hindernisse im Wege standen, wurde bald vollzogen, und ich führte mit Theresen das Glück in der schönsten Bedeutung dieses Wortes in mein Haus. Niemand war mehr über das Ergebniß erfreut, als unsere Jugendgespielin Amalie. Nach meiner Entfernung hatte sie sich noch inniger an Theresen angeschlossen; sie ward unzertrennlich von ihr und nahm dadurch – anfangs zufällig, dann mit Absicht, an ihrem Unterricht Theil. So wuchs sie mit Theresen heran, eine ernstere liebevolle Freundin, und verweilte in ihrem elterlichen Hause, bis ich Theresen daraus entführte. Wir zogen hierher, Amalie nahm eine Stelle als Erzieherin an, nachdem sie unseren Wunsch, auch ferner mit uns zusammen zu leben, hartnäckig zurückgewiesen hatte. – Meine Ehe mit Theresen war eine von den wenigen, in welchen ein vollendeter Zusammenklang der Gemüther, ein gegenseitiges Sichverstehen und Entgegenkommen zur Erscheinung kommt. Therese war nicht blos eine Hausfrau im tüchtigsten und zugleich im zierlichsten Sinne, sie war ein Musterbild edler Weiblichkeit, durch ihre bloße Berührung auch das Alltäglichste erhebend und verschönernd. Die Häuslichkeit ward meine Welt, und ich habe außer ihr zu leben verlernt. Im freundlichen Austausche unserer Ansichten, in gemeinsamem Lesen entwickelten sich unsere Herzen zu immer steigender Verwandtschaft, und was ja noch fehlte, ergänzte die Allzauberin – Musik. Therese besaß eine zwar nicht starke, aber wundersüße Altstimme, und so flog am Piano die Zeit wie spielend dahin! – Wie spielend – ja, das war der rechte Ausdruck, denn spielend begreift man nicht, wie kostbar die Minuten sind!“

Weindler streifte die Asche von der Cigarre und rückte mit einer Gebehrde der Ungeduld auf dem Stuhle.

„Ich bin am Wendepunkt angelangt,“ sagte Rudolph, es bemerkend, „abwärts zum Sturze geht es schneller, als hinauf zum Gipfel. – Unser Glück erreichte den höchsten Grad mit der Geburt meiner Anna; ich sah in ihr ein lebenden Pfand für dessen Beständigkeit, um nur zu bald enttäuscht zu werden. Zwei Jahre – sie werden der Kern und Inhalt meines ganzen Lebens bleiben – zwei himmelvolle Jahre gingen uns so dahin; die Geburt eines Sohnes vermehrte die Zahl unserer Lieben und unserer Freuden … da trat die Katastrophe meines Lebens ein …. Mutter und Kind befanden sich vollkommen wohl, als wir Nachts durch den Brand des Nachbarhauses aufgeschreckt wurden. Die Gefahr war plötzlich da, und in der drohendsten Gestalt, denn nach wenigen Minuten hatten die Flammen schon das Dach über uns ergriffen. Im eigentlichsten Sinne durch Rauch und Feuer, mußte das Kind und die noch zu Bette liegende Mutter weggebracht werden. Zwar gelang es bald darauf, des Brandes Meister zu werden; der größte Theil meiner Habe war gerettet – aber ich hatte verloren, was unersetzbar war. Die vernichtende Wirkung des Schreckens hatte Theresen in ein heftiges Fieber versetzt; sie erkannte Niemand mehr, phantasirte fortwährend und schien am Rande des Grabes zu stehen … Der Knabe starb nach wenigen Tagen … erlaß mir, Dir zu schildern, was ich litt – und doch, was war alles damals Empfundene gegen das, was meiner noch harrte! … Therese genas körperlich – aber vergebens hofften wir, die Klarheit ihres Bewußtseins zurückkehren zu sehen – nach wenigen Tagen blieb nur die entsetzliche Gewißheit … daß sie wahnsinnig geworden …“

Der Erzähler athmete tief auf, schlug die Hände vor’s Gesicht und machte eine Pause, um sich von der angreifenden Erinnerung zu erholen.

(Fortsetzung folgt.)




Deutsche Bilder.[1]
Nr. 1. Eine deutsche Königin.

Nur selten verfehlt der Fremde, welcher zum ersten Male Berlin sieht, dem benachbarten Charlottenburg einen Besuch abzustatten, um das weitberühmte Denkmal der Königin Louise in Augenschein zu nehmen. Eine dunkle Allee von Trauerbäumen führt zu dem würdigen Mausoleum, in dessen Innerem das Marmorbild der hohen Frau, von der Meisterhand eines Rauch geschaffen, zu schlummern und zu athmen scheint. Eine unaussprechliche Anmuth ist über die rührende Gestalt ausgegossen, der Zauber der höchsten Weiblichkeit, gepaart mit der Würde der Königin und dem Frieden einer Heiligen. Man glaubt ein überirdisches Ideal zu erblicken, wie es die schaffende Phantasie in den Stunden der erhabensten Weihe vom Himmel borgt, und doch hat der Künstler, nach der Versicherung der Zeitgenossen, die Wirklichkeit kaum erreicht, geschweige übertroffen, obgleich dies Werk allein ihn schon unsterblich macht.

Aber nicht nur im Marmor lebt die Unvergeßliche, ein unvergänglicheres Denkmal hat sie selbst in den Herzen ihres Volkes, des an ihrer Seite ruhenden Gatten und ihrer Kinder hinterlassen. Die Königin Louise war und ist der Schutzgeist Preußens, ihre Tugenden knüpften das Band zwischen dem Fürsten und seinem Volke fest und unauflöslich; ihre Leiden und ihr Tod weckten das schlummernde Nationalgefühl und den Haß gegen die Unterdrücker des Vaterlandes, ihr abgeschiedener Geist umschwebte die Fahne der preußischen Krieger und führte sie zum Siege; ihr sittliches Beispiel, ihre Einfachheit und Bescheidenheit, ihr Sinn für Häuslichkeit, ihr Pflichtgefühl als liebende Gattin und Mutter wirkten veredelnd auf die Gesellschaft ein, welche bei ihrem Regierungsantritte, angegriffen und angefault von französischer Frivolität, einer moralischen Auflösung entgegenging. Sie weckte von Neuem die erstorbene Liebe zur Familie, sie hob die gesunkene Würde der Frauen, sie stellte durch ihr eigenes Walten die vielfach verletzte Heiligkeit der Ehe wieder her, indem ihre hohe Reinheit das Laster aus ihrer Nähe bannte und die verhöhnte Tugend schützte. Wie von Stein, Hardenberg und Scharnhorst die politische Wiedergeburt Preußens ausging, so war von ihr jene sittliche Regeneration schon früher eingeleitet, welche den am Rande des Abgrundes schwebenden Staat einzig und allein noch retten konnte. Ohne je die Schranken der Weiblichkeit zu überschreiten, indem sie stets in ihrem zugewiesenen Kreise blieb, nie in die Zügel der Regierung griff, gewann die hohe Frau einen mächtigen historischen und socialen Einfluß nicht nur auf ihre nächste Umgebung, sondern auf das ganze Volk. In ihrem Herzen wurzelte die Liebe zu dem großen deutschen Vaterlande, welche sie als ein Erbtheil ihren Kindern hinterließ; denn wie sie als Frau und Mutter an deutscher Treue und Sitte fest hielt, so fühlte sie sich auch auf dem Throne vorzugsweise als deutsche Fürstin. Nicht allein das Unglück und die Schmach Preußens, sondern des gemeinsamen Vaterlandes schlugen ihr die tiefsten Wunden, an denen endlich ihr Herz verblutete.

Sie wurde den 10. März 1776 in Hannover geboren, wo ihr Vater damals die Würde einen kurfürstlich hannoverschen Feldmarschalls bekleidete, indem er erst achtzehn Jahre später seinem unvermählten Bruder als Herzog von Mecklenburg in der Regierung folgte. Ihre Mutter, die Tochter des Landgrafen von Hessen-Darmstadt, wurde frühzeitig den Ihrigen durch den Tod entrissen, nachdem sie dem zehnten Kinde das Leben geschenkt hatte. Louise kam mit ihren Schwestern an den Hof der Großeltern, wo sie eine sorgfältige Erziehung unter der Leitung des Fräulein Gélieux[WS 1] aus der Schweiz erhielt. Frühzeitig lenkte die würdige Gouvernante den Sinn der begabten Schülerin auf das Höhere, obgleich

  1. Wir beginnen mit diesem Artikel die früher versprochenen „Deutschen Bilder.“ Sie sollen ein Spiegelbild unseres deutschen Geschichtslebens abgeben, eine ungeschminkte Darstellung unserer Größe und Schwäche, unseres Besten und Niederträchtigsten, Bilder zur Beschämung und zum Troste. Wir werden viel Schmerzliches, Bitteres, Schmachvolles, aber auch viel Hohes, Schönes und Glorreiches erzählen können. Aus Deutschlands großer Geschichte wollen wir lernen, uns eine bessere Zukunft zu bauen.   Die Redaction.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Gelieux
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 212. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_212.jpg&oldid=- (Version vom 17.2.2024)