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und des Geistes geschmückte Jungfrau geworden, welche mit ihrer Großmutter und ihrer Schwester Friederike abermals nach Frankfurt reiste, wo der König von Preußen, Friedrich Wilhelm der Zweite, im Kampfe gegen das revolutionäre Frankreich sein Hauptquartier aufgeschlagen hatte. Dort erblickte der Kronprinz die siebzehnjährige Louise bei der Tafel nach dem Schauspiele, und eine innere Stimme rief ihm, wie er selbst als Greis noch bekannte, die Worte zu: „Die ist es, oder Keine sonst auf Erden!“ Von der unwiderstehlichen Anmuth der holden Erscheinung mächtig angezogen, warb der Königssohn um ihre Hand, welche sie, von gleicher Liebe durchdrungen, ihm freudig überließ. Nicht die gewöhnlichen Rücksichten der Politik, sondern die innigste Neigung schlang das ewige Band um die jugendlichen Herzen; ein Glück, wie es nur höchst selten auf der goldenen Höhe des Thrones gefunden wird. Und um das Maß der Wonne voll zu machen, fühlte sich auch der jüngere Bruder des Kronprinzen zu der Schwester Louisens in gleicher Weise hingezogen, und wie Beide von frühester Kindheit Ernst und Spiel getheilt, so theilten sie auch jetzt der Liebe Glück und Segen. An einem Tage wurde in Darmstadt das Fest dieser Doppel-Verlobung gefeiert, und zwei selige Brautpaare lächelten zur selben Stunde einander zu.

Am 22. December 1793 hielten die fürstlichen Schwestern unter dem Jubel der guten Berliner ihren feierlichen Einzug in die Hauptstadt. Die Ehrenpforte mit festlichen Sinnbildern war nach den Angaben des bekannten Odendichters Rammler errichtet, ein kleines liebliches Mädchen begrüßte die zukünftige Kronprinzessin mit einigen passenden Strophen. Von der Anmuth des Kindes entzückt, folgte Louise dem natürlichen Zuge ihres bewegten Herzens; sie schloß die Kleine in ihre Arme und küßte den niedlichen Mund.

„Mein Gott!“ schrie die förmliche Oberhofmeisterin, über solche Verletzung der vorgeschriebenen Formen entsetzt. „Was haben Ew. königliche Hoheit gethan? Das ist ja gegen alle Etikette!“

„Wie?“ entgegnete lächelnd die Fürstin, „darf ich das nicht mehr thun?“

Ihr natürlicher Sinn sträubte sich von vornherein gegen den höfischen Brauch; auch in der Nähe des Thrones bewahrte sie ihr rein menschliches Gefühl, wobei sie an dem schlichten Charakter des Kronprinzen eine mächtige Stütze fand. Beide führten im Gegensatz zu dem regierenden Könige, der mit seiner Lichtenau schwelgte, ein wahrhaft deutsches, inniges Familienleben. Am liebsten verweilten sie auf dem bescheidenen Landgute Paretz in ländlicher Abgeschiedenheit, umgeben von einigen Freunden, fern von dem Geräusch und dem Luxus der Residenz. Hier schaltete Louise als Hausfrau und bewirthete ihre Gäste an dem einfachen Tische, wie ihn besser jeder reiche Privatmann aufzuweisen hatte; hier streifte sie an der Seite ihres hohen Gatten ohne Zwang durch die grünen Felder, oder ruhte unter dem Schatten der Bäume mit einem Lieblingsschriftsteller in der Hand. Die Kinder des Dorfes kannten und liebten die „gnädige Frau von Paretz“, wie sie allgemein hieß, und empfingen manch kleines Geschenk von ihr, Näschereien und Kleidungsstücke. Wenn der goldene Erntekranz auf das Schloß gebracht wurde, mischte sie sich unter das Gesinde und tanzte den Reigen mit ihrem Hofstaat; selbst die gestrenge Oberhofmeisterin mußte dann ein Tänzchen wagen, zur nicht geringen Belustigung der hohen Herrschaften.

Ihre glückliche Ehe wurde mit Kindern gesegnet, welche sie nicht Fremden überließ, sondern selbst mit mütterlicher Sorgfalt bewachte und auferzog.

Diese Gesinnungen verleugnete sie auch als Königin nicht, als ihr Gatte nach dem Ableben seines Vaters den Thron bestieg. Ihre Liebenswürdigkeit, Herzensgüte und Häuslichkeit blieb unter allen Verhältnissen sich gleich; der Glanz der Krone blendete sie nicht, die Huldigungen, welche ihr allgemein zu Theil wurden, bestachen nicht ihr gesundes Urtheil. Sie war das Muster einer deutschen Fürstin, geschmückt mit allen Reizen der Natur, mit allen Gaben des Herzens und des Geistes. Mit ihr begann an dem verwilderten Hofe eine neue Aera, die Herrschaft der bis dahin verbannten und unterdrückten sittlichen Elemente, welche sich um die schöne, tugendhafte Fürstin schaarten. Lüge und Heuchelei mußten vor ihrem klaren Blicke schwinden, jedes Vorurtheil vor ihrer Gerechtigkeit verstummen. Bei einer großen Cour fragte sie eine junge Officiersfrau: „Was sind Sie für eine Geborene?“

Die verlegene Dame stammelte in der Angst ihres bürgerlichen Herzens: „Ach, Ihro Majestät! Ich bin gar keine – – Geborene.“ Die höfische Umgebung lächelte spöttisch, aber der ernste Blick der Königin verscheuchte den aufsteigenden Hohn der adeligen Gesellschaft.

„Ei, Frau Majorin,“ sagte sie, sich freundlich zu der jungen Frau neigend, „Sie haben mir naiv-satirisch geantwortet. Ich gestehe, mit dem herkömmlichen Ausdruck: „von Geburt sein,“ wenn damit ein angeborner Vorzug bezeichnet werden soll, habe ich nie einen vernünftigen, sittlichen Begriff verbinden können, denn in der Geburt sind sich alle Menschen ohne Ausnahme gleich. Allerdings ist es von hohem Werthe, ermunternd und erhebend, von guter Familie zu sein und von Vorfahren und Eltern abzustammen, die sich durch Vorzüge und Verdienste auszeichneten, und wer wollte das nicht ehren und bewahren? Aber dies findet man, Gott Lob! in allen Ständen, und aus den untersten selbst sind oft die größten Wohlthäter des menschlichen Geschlechts hervorgegangen. Aeußere glückliche Lagen und Vorzüge kann man erben, aber innere persönliche Würdigkeit, worauf am Ende doch Alles ankommt, muß Jeder für sich und seine eigene Person durch Selbstbeherrschung erwerben. Ich danke Ihnen, liebe Frau Majorin, daß Sie mir Gelegenheit gegeben haben, diese, wie ich glaube, für’s Leben nicht unwichtigen Gedanken unbefangen auszusprechen, und ich wünsche Ihnen in Ihrer Ehe viel Glück, dessen Quelle doch immer nur im Herzen liegt.“

Wie sie hier dem Vorurtheile der Geburt begegnete, so suchte sie ein andermal die Ungerechtigkeit der Natur durch ihre Milde auszugleichen. Bei der Huldigungsreise durch Pommern wurde sie in Stargard von einer Schaar weißgekleideter Kinder empfangen, welche vor ihr her Blumen streuten. Bald war sie die Vertraute der Kleinen, die ihr erzählten, sie seien eigentlich ihrer zwanzig Mädchen gewesen, aber die Eine sei wieder nach Hause geschickt worden, weil sie gar zu häßlich ausgesehen habe.

„Das arme Kind,“ rief die mitleidige Königin, „hat sich gewiß gefreut und muß nun zu Hause sitzen und wird seine bittern Thränen weinen!“

Sogleich ließ sie die zurückgesetzte Kleine holen, um sie vor Allen auszuzeichnen und mit reichen Geschenken zu beglücken. In diesen kleinen Zügen offenbarte sich das Herz der Königin.

Kein Wunder, daß sie geliebt und angebetet wurde! Das Volk war stolz auf die gute Landesmutter, Dichter, wie Novalis und Schlegel, besangen sie, die edelsten Männer blickten bewundernd zu ihr empor, während die ganze Frauenwelt in ihr ein unerreichbares Ideal sah; aber vor Allem beseligte sie die unaussprechliche Liebe des Königs, dessen größter Schatz Louise war.

So lebte sie schöne Tage des Glückes, bis das längst drohende Schicksal über Preußen hereinbrach, bis die hohe Frau unter den schwersten Leiden und Prüfungen ihre göttliche Natur bewähren und die goldene Krone mit dem Dornenkranz der Märtyrerin vertauschen sollte.

Der Staat des großen Friedrich war unter seinem nächsten Nachfolger durch Verschwendung und schlechte Verwaltung innerlich tief zerrüttet worden, obgleich er äußerlich durch trügerischen Glanz sein früheres Ansehen zu behaupten suchte. Durch die französische Revolution und das Genie Napoleons wurde das Gleichgewicht Europa’s und somit auch die Stellung Preußens bedroht. Friedrich Wilhelm der Dritte zeigte sich besonders im Anfange seiner Regierung den neuen, großen Verhältnissen nicht gewachsen. Aus Bescheidenheit und Mißtrauen gegen sich selbst, eine Folge seiner Erziehung, überließ er die Leitung des Staates seinen Ministern und Rathgebern, die nicht immer die Besten waren. An ihrer Spitze stand der schwache, charakterlose, hin und her schwankende Graf Haugwitz. Der friedliebende König wünschte so lange als möglich in dem großen, welterschütternden Kampfe neutral zu bleiben, während er von allen Seiten gedrängt wurde, Partei zu nehmen. Am Hofe selbst standen sich zwei entgegengesetzte Richtungen gegenüber: auf der einen Seite die Anhänger der Franzosen, Haugwitz, Lombard etc., welche auf eine enge Verbindung mit Napoleon drangen; auf der andern Seite die Gegner Frankreichs, zu denen die königlichen Prinzen, vor Allen der geniale Prinz Louis Ferdinand, die Generale Blücher, Rüchel und Pfuel, die Minister Stein und Hardenberg gehörten. Auch die Königin Louise neigte sich zu der letzteren Partei, weil sie Preußens Heil allein in einem engeren Anschlusse an das gesammte Deutschland und besonders an Oesterreich sah.

Noch zögerte der König mit seiner Entscheidung, als Napoleon

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 214. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_214.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)