Seite:Die Gartenlaube (1860) 231.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Im Frühling 1797 verließen die Brüder von Humboldt Jena, um nach Italien zu gehen, Alexander blieb aber, von der revolutionären Bewegung zurückgehalten, mit Leopold von Buch in Salzburg und Berchtesgaden, wie Wilhelm in Paris, wo er später mit dem Bruder zusammentraf. Beide sahen den theuren Schiller nur noch einmal flüchtig wieder; Alexander unternahm seine Reise nach Amerika, Wilhelm blieb wenigstens in Briefwechsel mit dem Dichter bis zu dessen Tode, und er hat diesen Briefwechsel, ein Denkmal ihres beiderseitigen Hochsinns, der Oeffentlichkeit übergeben, wie überhaupt mit Körner und Frau von Wolzogen das Meiste dazu beigetragen, uns ein klares Bild von der Geistes- und Seelengröße unsers geliebtesten Dichters aufzustellen. Gleich auf die Nachricht von dem Tode des großen Freundes schrieb er in einem erst vor Kurzem bekannt gewordenen Briefe aus Rom vom 20. Juli 1805: „Mich hat sein Tod unendlich niedergeschlagen. Ich kann wohl behaupten, daß ich meine ideenreichsten Tage mit ihm zugebracht habe. Ein so rein intellektuelles Genie, so zu allem Höchsten in Dichtkunst und Philosophie ewig aufgelegt, von so ununterbrochenem edlen und sanften Ernst, von so parteilos gerechter Beurtheilung, wird eben so wenig in langer Zeit wieder auferstehen, als eine solche Kunst im Reden und Schreiben.“




Reise durch die Bank von England.

London ist der Mittelpunkt alles festen Landes der Erde, wovon sich Jeder durch eigenes Experiment an einem Globus überzeugen kann. Theilt man ihn so in zwei Hälften, daß auf die eine Hälfte so viel festes Land fällt, als überhaupt auf eine Hälfte zu bringen ist, und sucht dann den Mittelpunkt dieser Halbkugel, so finden wir London. In Handel und Wandel ist’s auch Brennpunkt aller Meere und wird es in viel höherem Grade in Folge der großen Cobden-Brightschen Revolution in Paris: Cobden und Bright, die blutlosen Helden von 1846, die den Engländern zum ersten Male unbesteuertes Brod verschafften, haben 1860 auch den von ganz Europa feig gefürchteten Napoleon besiegt, ihn zu dem englisch-französischen Handelsvertrage überredet und so die seit zehn bis zwölf Jahren erste, einzige, vernünftige historische That in Europa gethan, alle Handelsartikel – bis auf funfzehn – von Besteuerung und Vertheuerung befreit und so England zum Emporium der Welt, zum Freihafen der Bedürfnisse, Fabrikate, Producte und Lebensfreuden civilisirter Menschen erhoben. London wird nun erst recht Mittel- und Brennpunkt der Güter dieses Lebens, Bank und Börse aller Reichthümer der Erde.

Mittelpunkt im Mittelpunkte des Handels und Verkehrs, Brennpunkt und Herz Londons ist die Bank. Alle Wege, alle Omnibus in London, jeder City-Kaufmann, alle Herzen und Bestrebungen gehen bankwärts. Die Reichen und Mächtigen der Erde in allen civilisirten Theilen derselben pochen gleichsam im Geiste auf diesen Felsen ihres Vertrauens, und Potentaten, die fürchten, eines schönen Abends weggejagt zu werden, wie südamerikanische Republiken-Präsidenten und selbst der schwarze Faustin, deponiren vorher der Zukunft wegen ihre „sauern Ersparnisse“ in diese Herzkammer des Welthandels und Credits.

Die Bank zieht sich düster und augenlos an Fenstern als nördliche Seite der Hauptverkehrsschwingungsknoten im Londoner Verkehre. Diese Knoten werden in der Regel durch fünf zusammenlaufende große Verkehrsadern oder Straßen gebildet. Die fünf Straßen, welche hier in dem von Bank, Börse und Mansion-Haus (Wohnung des Lord-Mayors) gebildeten Dreieck zusammen- und wieder auseinanderlaufen, sind die Hauptschlagadern aller andern. In der Mitte vor der Börse reitet Wellington, umgeben von rothjackigen, numerirten Schuhputzerjungen, als wär’ er zu deren Director herabgesunken. Nördlich gegenüber führt ein einziger, enger, unscheinbarer Eingang in die ersten innern Höfe des ungeheueren, solarisch über die Erde strahlenden Mauerwerks, das die Reichthümer und den Credit des Welthandels enthält, erwärmt und befruchtet, die englische Bank. Sie bildet architektonisch ein unregelmäßiges, nordwestlich ausschwellendes, einstöckiges Viereck und bedeckt über vier Morgen Landes. – Ich war wohl gelegentlich in der Bank gewesen, aber nur in diesem oder jenem Bureau. Alles Uebrige war mir bis zu einem Märzmorgen dieses Jahres Geheimniß. Jetzt aber hatte ich einen „Paß“ für die ganze Bank von einem Director in den Händen, lautend für mich und fünf Freunde. Solch eine Karte – und nur eine solche – sichert uns einen officiellen Führer in erbsengrüner Uniform und öffnet alle Räume und deren Thätigkeit. Durch den engen Eingang von der Börsenseite her in den ersten Hof tretend, besuchten wir erst den größeren zweiten links mit dem immer muntern, trichterförmig sich drehenden Springbrunnen in der Mitte von Bäumen und Blumen. Seltsames Geplätscher in der plötzlichen Stille, da das ewige Knattern, Donnern und Krachen des Verkehrs draußen nicht durch die dicken Mauern hierher dringt und nur als ein allgemeines, dumpfes Beben und Schüttern, ein schwaches Brummen und Brausen, wie ein fernes Erdbeben mehr durch die Füße, als durch die Ohren vernehmbar wird. Springbrunnen, Blumen und Bäume und sogar zwitschernde Spatze zwischen deren noch kahlen Zweigen! Naturleben mitten zwischen diesem düsteren Gestein, ringsum meilenweit fern von Feld und Flur, hier wo die bescheidene Krokuszwiebel ungestört den Raum einnimmt, der zehnfach mit Gold belegt wird, um ihn in dieser Nachbarschaft nur als leere Baustelle nur zu pachten!

Ringsum in den Höfen öffneten und schlossen sich immerwährend ganz schweigend und von selbst Flügelthüren hindurchlaufenden, eifrigen, schweigenden Menschen links nach innen, rechts nach außen, sodaß die Leute immer, ungestört durch einander, geräuschlos durch die Thüren hinein- und herauslaufen, wie durch alle die Hunderte von Thüren und Räume der ganzen Bank.

Wir wußten nicht, durch welche wir unsern Führer suchen sollten, und wandten uns wieder an den Eingang zurück, wo links in einem engen Kasten ein ungeheurer, betreßter Dreimaster über die Times etwas hervorragte. Wir entdeckten dahinter einen dünnen Mann mit einem dicken, langen, schwerbesetzten, rothen Schlafrock, den Portier (alle Beamten-Uniformen in England sind nach unseren straffen, preußischen Begriffen komisch, schlotterig, reich und geschmacklos). Er wies uns durch verschiedene Corridors und Gänge in ein Bureau, wo unsere Karte geprüft, unsere Namen eingeschrieben und uns in einem Nebenzimmer Stühle angewiesen wurden, zum Warten auf den noch nicht disponiblen Führer. Durch die offene Thür hatten wir Gelegenheit, den ganzen Corridor der Directoren-Zimmer und ihres Salons zu besichtigen: dunkel marmornes Mauer- und Säulenwerk, schön gemalte Decken mit Glasdächern, die blos Licht von oben herein lassen und den Räumlichkeiten unten, Menschen und Decorationen darin eine angenehm gedämpfte Licht- und Farbentönung geben, wie uns hernach in unzähligen anderen Räumen mit „Himmelslichtern“ auffiel. Unten lagen kostbare Teppiche, die marmornen weißen Gänge waren mit regelmäßigen Figuren von Strohgeflechten belegt, so daß jeder Schritt der wichtig und geheimnißvoll schweigend hin und herschreitenden Personen geräuschlos hinglitt. Auch die lebensgroßen Portraits oben (darunter das von Abraham Newland, der erst Bäcker, hernach 60 Jahre lang Buchhalter der Bank war) sahen wichtigthuend und mysteriös herab aus ihren weißen Perrücken.

Der graugrün beleibrockte Führer, mit einem den lebendigen beinahe vollkommen ersetzenden künstlichen Arme, hielt mit uns zuerst draußen vor einem Balkon, von welchem man auf einen inneren offenen Hof hinabsah. Unten von einem eisernen Lastwagen warf ein gewöhnlicher Arbeiter schwitzend Kohlköpfe, wie es erst schien, auf den Balkon herauf. Es waren aber Säcke neuen gemünzten Goldes, eben von der Münze mit einem Fuhrmann und einem Schreiber durch die dickbevölkerten Straßen hergebracht (ohne Dragoner und sonstige Vorsichtsmaßregeln). Eine gewöhnliche Fuhre von 175,000 Pfund in Säcken à 701 Pfund. „Warum gerade à 701 Pfund?“ fragte ich. „Ist so immer gewesen, jeder Sack muß 701 Pfund enthalten,“ war die Antwort. Also eine jener Sonderbarkeiten, die sich in tausenderlei komischen, alten Gerechtigkeiten durch alle Labyrinthe des englischen Lebens ziehen. – Unten hielten noch mehr Lastwagen mit Goldstaub von Australien, andere, die Gold luden, scheinbar ohne alle Vor- und Aufsicht, da gewöhnliche Arbeiter, je 2–3, auf den Wagen und um dieselben beschäftigt waren.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 231. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_231.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)