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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

seine Lippen sich zu bewegen, und leise, aber wohlverständlich lispelte er in kurzen Absätzen:

Viel Pfade zieh’n bergauf, thalab,
Sie münden all’ im stillen Grab;
Darin zu ruhn ist Schlafengehn …

– „Und das Erwachen – Wiederseh’n!“ rief Therese, leise über ihn gebeugt. Auch Amalie neigte sich zu ihm. Wie von elektrischem Schlage berührt, öffnete Rudolph die Augen: er sah die Beiden über sich, las in ihren schmerzverklärten Zügen die Versöhnung … er erblickte Anna in Thränen aufgelöst neben ihnen …. und auch über seine Züge glitt ein lächelnder Schimmer des Entzückens, wie mitten in finsterer Waldeinsamkeit ein verlorener Sonnenstrahl sich Bahn bricht. Dann sank er zurück; Theresens Kuß nahm ihm den letzten Hauch von den Lippen; Amalie und Anna weinten auf seine erstarrenden Hände. Hand in Hand folgten sie dem Befreiten zum Grabe; Hand in Hand in unzertrennlicher Freundschaft gingen sie Beide bis zum eigenen Grabe.




Die Wolfsgrube am Superior-See.
Von F. Fenneberg.

„Schneid’ das Canoe los, wenn Dir Dein Leben lieb ist! Hinein und fort!“

Es war gut, daß die Weisung schnell vollzogen wurde, denn der Sprecher und sein Gefährte waren kaum im Canoe und hatten dasselbe vom Lande abgeschoben, als nahe an hundert mit den Kriegsfarben bemalte und bewaffnete Indianer auf die Stelle kamen, wo das Canoe lag, und einen Hagel von Pfeilen auf die Fliehenden abschossen. Deren Schnelligkeit hatte sie indeß von Folterqual und Tod, die sie sicher erwarteten, gerettet, und sobald das leichte, aus Birkenholz gebaute Schiffchen sich von der Küste entfernt hatte und auf den klaren, kalten Fluthen des Superior-Sees tanzte, sodaß die eilbeschwingten Pfeile sie nicht mehr erreichen konnten, erhoben sich die Beiden von ihrer liegenden Stellung und handhabten die leichten Ruder kräftig, um sich so schnell wie möglich jeder Gefahr zu entziehen.

Laute der Entrüstung und Wuth über getäuschte Hoffnungen erreichten ihr Ohr, unbeachtet oder nur mit einem schweigenden Lächeln erwidert, und dann ruhte der, der zuerst gesprochen, von seiner Arbeit aus und füllte seine Pfeife mit einer Mischung von Tabak und gut getrocknetem Kin-ne-ken-ic und sagte lachend zu seinem Gefährten: „Unsere Scalpe sind jetzt sicher, und diese blutdürstigen Teufel müssen sich nun eine andere Belustigung suchen, als die, zu sehen, wie lange es dauert, uns bei langsamem Feuer zu rösten.“

„Der gute Manitou vergißt seine Kinder nicht.“

„Manitou oder nicht Manitou, wir würden eben jetzt an einen Pfahl gebunden, voll von hervorstehenden feinen Splittern, mit einigen hundert Messerschlitzen am Leib, ein Haufen Holz würde um uns herum brennen, und wir schnell der künftigen Welt entgegeneilen nach der beliebtesten Mode der Indianer, ihre Feinde zu rösten, wenn nicht glücklicher Weise unser Canoe nahe für uns versteckt gewesen wäre. Wie hätte Dir das gefallen, alter Junge?“

„Ching-wau-konce[WS 1] würde, den Todesgesang auf seinen Lippen, gestorben sein.“

„Ich weiß das, „Weiße Fichte“, aber ich liebe es eben nicht, zu solcher Musik zu tanzen.“

„Der rothe Mann fürchtet den Tod nicht!“

„Auch ich nicht, aber ich möchte doch lieber einen andern Weg einschlagen, als diesen. Und dann, wer weiß wohin wir kommen, wenn der Tod uns überfällt?“

„Nach dem Lande der glücklichen Jagdgründe, wo die Blumen nie welken und der Matcha Manitou (böser Geist) keine Macht hat!“

„Indianer-Religion und des weißen Manns Bibel – glücklicher Jagdgrund und Himmel sind das Gleiche, wie ich denke, und was mich anbelangt – doch sieh dort!“ Der Redende deutete nach dem Norden, wo der Himmel und das Wasser sich zu begegnen schienen, während die Wolken, dunkel und von unbeschreibbarer Gestalt, dahin eilten und ein dumpfer, tiefer Klang gleich fernem Donner zu hören war.

„Die Möve fliegt hoch und landwärts. Der Geist der Gewässer ist erzürnt über seine Kinder, und sein dunkler Flügel breitet sich rasch von seiner nördlichen Heimath aus,“ war die Antwort des Indianers, während sein Ruder tief und kräftig durch das noch ruhige Wasser schnitt.

„Lieber dem Sturm als der Folter trotzen!“ sagte sein Gefährte und griff wieder nach seinem Ruder. Getrieben von ihren kräftigen Armen flog das kleine Boot, gleich einem Strauß der Wüste, seinem Ziele zu.

Die Freundschaft zwischen dem weißen Manne und seinem rothen Bruder war nicht so sonderbar, als man vielleicht zu glauben geneigt ist, denn selbst heut zu Tage sind solche Verhältnisse nichts weniger als ungewöhnlich, wenn wir fern von dem schrillen Laute, der aus den mächtigen Lungen des eisernen Pferdes ertönt, unsere Fußstapfen auf dem felsigen Pfade gegen Sonnenuntergang richten, wenn wir es wagen, in beinahe unbekannte Regionen zu dringen, in denen das wilde Pferd ungefesselt durch Zaum und Zügel umherschweift und nie durch Sattel oder Sporn belästigt wurde, und wo der Tritt der Büffelheerden gleich dem zornigen Brüllen des Oceans zu dem Ohre des Wanderers dringt, wo der graue Bär seine Höhlen wühlt, und der Adler inmitten ewigen Schnees sein Nest baut und sich hoch in die Lüfte sonnenwärts erhebt, das Sinnbild von Macht und Freiheit!

Erzogen in einer wilden Schule, in der halb civilisirten, halb wilden Weise, wie es an den äußersten Grenzen der Civilisation üblich, wäre es sonderbar gewesen, wenn der kräftige und furchtlose Bursche nicht frühe den Fesseln der Gesellschaft entflohen wäre und das wilde, herumschweifende und oft gefährliche Leben eines Jägers und Trappers erwählt hätte.

Richard Winters war für ein solches Leben geschaffen, denn die gütige Mutter Natur hatte ihn mit Muskeln von Eisen und einem Pulse geschaffen, der nie durch bleiche Furcht getrieben schneller schlug. Schlank und groß, an Entbehrungen und harte Arbeit gewöhnt, mit der Büchse nie sein Ziel verfehlend, in allen Geheimnissen der Waidmannskunst erfahren, schnellfüßig und unermüdbar auf der Fährte, wie mit seinem Ruder auf Strömen und Seen, in den finstersten Stunden der Nacht, wie im dichtesten Urwald sich heimisch fühlend, waren nur Wenige, wenn nicht Keine, die von den Freuden und Früchten eines solchen Nomadenlebens einen so reichen Antheil wie er zogen. Ohne einen Anstrich der modernen Verfeinerung von Sitten und Manieren besaß er ein edles, mannhaftes Herz, das nur durch das Recht regiert wurde, das alle menschlichen Geschlechter als Brüder erkennt. Seine schwarzen Augen waren stets wachsam, seine Züge hatten nur wenig Schönheitslinien aufzuweisen, trugen aber den Stempel unerschütterlicher Entschlossenheit, und wie er in seinem birkenen Canoe saß, nach echter Jägerweise phantastisch gekleidet, konnte man in ihm das meisterhafte Musterbild des furchtlosen Pioniers der Civilisation sehen.

Sein Gefährte Ching-wau-konce, die „Weiße Fichte“ genannt, ein vollblütiger Indianer, war ihm an Größe überlegen, aber nicht an Stärke und Muth. Stolz auf seine Federn, seinen Wampum und seinen Ruf als tapferer Krieger, ein echtes Kind des Waldes, vergaß er nie einen ihm erwiesenen Dienst oder eine ihm zugefügte Beleidigung. In einer Stunde furchtbarer Gefahr, zu der Zeit, wenn der Bär aus seinem langen Winterschlafe erwacht und die Gegenwart des weißen Mannes nicht fürchtet, hatte Winters ihn gerettet. Er hatte ihn gerettet, im Augenblicke, wo der Tomahawk aus des rothen Kriegers Hand geschleudert, sein Messer gebrochen war, er aus vielen schweren Wunden blutete und die Klauen des Bären in seinem Körper begraben, seine scharfen Zähne nahe seinem Herzen waren! Er hatte ihn gerettet mit Gefahr seines Lebens, wie tiefe Narben bewiesen, von sicherem Tode durch den wüthenden hungerigen Bären des Nordlandes, ihn, der für Richard dazumal ein Fremder und noch dazu ein Indianer war.

Freundschaft, auf solchem Webstuhl gewoben, ist nicht jenes dünne, sommerfadenartige Gewebe, das in der Gesellschaft der Reichen und der Modeherrn unter diesem Namen bekannt ist, sondern sie war stark und tief und dauerte so lange als ihr Leben selbst. Die Zeit knüpft solche Freundschaft nur fester, und nur dann, wenn Erinnerung und Leben zu Ende, ist solch’ ein Gewebe gebrochen

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Namensvarianten vereinheitlicht
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 259. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_259.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)