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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Daselbst angekommen, schloß sie den Eingang mit der Hirschhautdecke, und als sich der Trapper auf einen Haufen Pelze setzte, so kniete sie zu seinen Füßen und bedeckte ihr Antlitz mit ihren Händen, wartend, bis die dunkle Wolke von seiner Seele gewichen. Das im Walde aufgezogene Mädchen, furchtlos, unerzogen, aber weichherzig, wußte sehr wohl, daß sein Herz für seinen rothen Bruder trauerte, daß Worte unpassend und nutzlos in einer solchen Stunde seien, daß im Schweigen eine tiefe Beredsamkeit herrsche, und daß der Sonnenschein sicher dem Sturme folgen werde, daß die Zeit Blumen auf den Gräbern der Geliebten blühen lassen und Hoffnung und Glück das sorgenbeladene Herz wieder freudig machen würden.

Die Nacht hatte ihren ebenholzschwarzen Mantel über die Erde ausgebreitet, ehe irgend eines von ihnen sich rührte. Das Mädchen stand auf, bereitete ein Nachtmahl, stellte es vor ihren Gatten und bat ihn, er möchte essen.

„Das Herz des Todsenders weint um Ching-wau-konce. Sein Körper ist schwach vom Fasten, seine Füße sind ermüdet von dem langen und steinigen Pfad, und seine Glieder sind wund von den tief einschneidenden Riemen. Der Gesang der zum Himmel sich aufschwingenden Lerche wird die dunkle nachtschwärmende Eule verscheuchen, und Rabenfeder wird süße Lieder für ihren Gatten singen und ihn in seinem Wigwam froh und freudig machen.“

Winters folgte, von den Liebkosungen seines jungen Weibes gerührt, ihrer Aufforderung und hielt ein köstliches Mahl, während dessen Rabenfeder sich für eine kurze Zeit entfernte. Dann kam sie wieder und beobachtete ihn schweigend, sehr zufrieden, daß es ihr gelungen, ihrem auf eine so sonderbare Weise gewonnenen Herrn zu gefallen. Als sein Hunger endlich befriedigt war, füllte sie das Calumet (Pfeife), zündete es an und brachte es an seine Lippen. Dann an seiner Seite niederknieend und ihm liebend in’s Antlitz sehend, sprach sie:

„Die Rabenfeder weiß, daß von dem Flügel der Trauer dunkle Schatten auf das Herz des Todsenders fallen. Sie rettete ihn vor den giftigen Bissen der wilden Thiere. Möge er nicht trauern um die Weiße Fichte. Während mein Herr aß, habe ich die Weiße Fichte besucht. Seine Feinde sind todt! Er war ein gewaltiger Krieger und Jäger und hat die Wölfe getödtet; aber deren Gift fließt in seinen Adern, und er hat nur wenige Tage zu leben, und die sind qualenreich und schrecklich!“

„Ja, Feder, Du rettetest mich; verflucht sei Richard Winters, wenn er es je vergißt.“

Er erhob sie vom Boden und setzte sie zu sich. „Was können wir für die Weiße Fichte thun, Rabenfeder?“

„Der Todesengel schwingt seine Flügel über ihn.“

„Kann denn nichts für ihn geschehen, um ihn wenigstens von der Qual und Pein der Tollheit zu erlösen?“

„Die Rabenfeder,“ erwiderte sie, „weiß, wo die dunklen Todeswolken ihren Thau destilliren, wo die Mandragora wächst, die Nachtvögel ihr Nest bauen und der Medicin-Mann der Ojib-was seine Zauber webt. In den dunkelsten Schatten wächst die Wurzel, die den Schlaf des Todes bringt, schweigend, schnell und schmerzlos! Der Tag ist am Sterben und die Nacht bricht an. Die Rabenfeder wird die lebenzerstörende Wurzel ausgraben und sie der Weißen Fichte geben, und er wird in das Land der Geister gehen, so ruhig als ein Kind einschläft, das sich auf den schwingenden Zweigen der Birke wiegt.“

„Ich danke Dir, Feder – ich danke Dir. Bring ihm die Wurzel, sie wird ihn wenigstens retten vor Qualen und –“

Rabenfeder hatte nur auf seine Beistimmung gewartet, und während er noch sprach, war sie bereits auf dem Wege, seinen Wunsch zu erfüllen. Rückkehrend, eilte sie zu der Wolfsgrube, in der sich Ching-wau-konce befand, und ehe noch der Vollmond eintrat, sang die „Weiße Fichte“ bereits ihren Jubelgesang in den glücklichen Jagdgründen jenseits des Grabes!




Reisende.
Von Fr. Gerstäcker.
Mit Illustrationen von L. Loeffler.
(Schluß.)

Wie schon gesagt, bilden die Badereisenden den Uebergang von Zweck- zu Vergnügungs-Reisenden. Viele von ihnen wurden nämlich durch einen wirklich kranken Körper, oder einen gesunden Arzt – der sich auch einmal eine Sommererholung gönnen wollte – in ein Bad geschickt – Andere wollen theils Menschen sehen, theils ihr Geld am grünen Tisch verlieren, theils auch – und das ist besonders die schöne Hälfte der Badegäste – einen Platz und Gelegenheit suchen, um gesehen zu werden; die schlechte Badekost verzehren sie dann nebenbei.

Mit einem derartigen Schwanken zwischen Zweck und Vergnügen, mit diesem ewigen ängstlichen Streben, das Angenehme mit dem Nothwendigen zu verbinden, ist aber nun ein für alle Mal Nichts anzufangen. Das Dasein solcher Badegäste theilt sich deshalb auch – solange ihre sogenannte Cur dauert – in die unausgesetzten Bemühungen, ihren Körper zu mißhandeln und wieder zu versöhnen, ihn Morgens selbst vor der kleinsten Aufregung zu bewahren, und ihn Abends der schlimmsten und gefährlichsten hinzugeben, die überhaupt auf der Welt existirt: dem Spiel.

Nach Baden-Baden.

Wasserbad und erbärmliches Essen mit harten Betten und saueren Weinen zehren dabei den Körper ab, und durch den ganzen Monat August fahren sämmtliche Bahnzüge, zur directen Verzweiflung aller gesunden Reisenden, mit heraufgezogenen und festverschlossenen Fenstern, weil in jedem Coupé wenigstens ein solches unglückseliges Menschenkind sitzt, das keinen Zug, nicht einmal mehr frische Luft vertragen kann. Natürlich kommt es direct aus einem Bade.

Doch fort mit der langweiligen Gesellschaft; da finden wir noch mehr Interesse an den wirklichen Vergnügungs-Reisenden, die, blos diesen einen Zweck verfolgend, zwei oder drei Monate im Jahre mit allen Wirthen Europa’s wegen bougies und service in Fehde liegen und sich, sobald sie nach beschwerlicher Fahrt irgend einen nächsten, erstrebten Ort erreichen, augenblicklich erkundigen, wann der nächste Zug weiter geht. Ihre Zeit wird denn auch während der Reise durch ein fortdauerndes Aus- und Einpacken in Anspruch genommen, das sie nur dann und wann einmal unterbrechen, auf irgend einen steilen Berg hinauf zu klettern. Oben angelangt finden sie nachher, daß „gerade heute“ ein dichter Nebel die ganze Gegend hermetisch verschließt; beim Heruntersteigen lassen sie sich von einem furchtbaren Gewitter erwischen, und bezahlen Abends noch, todtmüde, einen Lohnbedienten, um die Namen verschiedener Gebäude und Plätze, auf die sie sich später nie wieder besinnen können, mit ihrem Reise-Handbuch zu vergleichen.

Am gefährlichsten sind unter diesen eine gewisse Classe von Engländern, die nämlich der Mr. Smith’s und Jones etc., deren

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 276. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_276.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)