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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Aus der Schlacht von Bronzell.
Erinnerungen eines preußischen Officiers.

„Herr Lieutenant, es ist Zeit zur Ablösung!“

Diese wohlbekannten Worte weckten mich aus einem Mittagsschlummer, den ich mir in gewohnter Weise, als Entschädigung für die wiederum in Aussicht stehende schlaflose Nacht, gegönnt hatte. Wir standen in Hessen auf Vorposten. Wiederum hatten es die pfiffigen Herren Diplomaten so weit gebracht, daß deutsche Brüder, die lieber Arm in Arm zusammen dem gemeinschaftlichen Feinde entgegen marschirt wären, sich zürnend und mit Kampfesgedanken gegenüber standen. Hüben und drüben grollte man über dieses unnatürliche Zusammenhetzen, aber wir waren Soldaten und hatten nur zu gehorchen. Mir war das Glück beschieden, fast einen Tag um den anderen auf Feldwache ziehen zu müssen. Das trübe Licht des Novemberspätnachmittags zeigte mir die lange Streu in dem Officier-Zimmer der großen Bach-Mühle, dem Standorte unseres Bataillons seit mehreren Tagen, vollständig leer. Die Koffer und Mantelsäcke am Fußende der Lagerstätte deuteten die Plätze ihrer Besitzer an. Mäntel, Helme, Stiefeln lagen und standen umher, wo eben Platz war. Der einzige Tisch und die Fensterbreter waren mit Toilettengegenständen, Zigarrenkisten, Feldflaschen, Speiseresten, Gläsern bedeckt, zwischen denen hier und da der braune Schaft einer Pistole, eine halbaufgerollte Karte oder der zerfetzte Umschlag einer Broschüre hervorsah. Ein eiserner Ofen verbreitete angenehme Wärme. Durch die stark beschlagenen Scheiben erschienen draußen die in lange Mäntel gehüllten Figuren der Soldaten nur als undeutliche, graue Silhouetten, und ich gürtete daher mit leisem Seufzer, einen so heimlichen Ort verlassen zu müssen, die Schärpe um den Palletot. Vor der Thür standen die Offieiere des Bataillons rauchend und plaudernd beisammen, und ich erfuhr bald, die Mobilisirung der Armee sei ein Factum, der commandirende General habe die Doppelposten und Feldwachen besichtigt, sich dabei besonders gnädig und gesprächig erwiesen; es sei also unzweifelhaft, daß jetzt die Unthätigkeit ein Ende habe. Die Baiern, hieß es, würden sicherlich heute noch, oder mindestens morgen, angreifen.

Unser Capitain war ganz glücklich und prophezeite eine baldige Schlacht. Sein wohlwollendes Gesicht strahlte von Inspiration. Jede seiner Behauptungen wurde durch nachdrückliche Gesticulation der rechten Hand unterstützt, während die linke den Degengriff fest umfaßt hielt. Manchmal glitt ein schneller, prüfender Blick des lebhaften blauen Auges über die Gesichter seiner Zuhörer; da dieselben aber nur gespannteste Aufmerksamkeit und unbedingtesten Glauben zeigten, so wurden nach jeder solchen Vergewisserung die Prophezeiungen immer kühner. Mein Dazwischentreten gab, wie es schien, willkommene Gelegenheit, die Voraussagungen gerade zur rechten Zeit abzubrechen.

„Ich gratulire, Herr Lieutenant,“ rief er mir zu, „Sie sind ein Bevorzugter des Himmels. Just heute, in einem so kritischen Momente, auf Vorposten, gleichsam als Vorkämpfer berufen zu sein – Avancement und Orden können da gar nicht ausbleiben!“ Wenn schon weit entfernt, solchen Jünglings-Hoffnungen noch irgendwie nachzuhängen, empfand ich als Officier doch Freude, endlich einmal ins Feuer zu kommen. Ich sagte den Cameraden ein flüchtiges Lebewohl und marschirte mit meinen Leuten nach unserem Posten ab. Der Weg dahin war nicht weit. Er führte wenige hundert Schritte in der Landstraße auf den Kamm einer Hügelreihe. Mein rechter Flügelposten stand an dem Absturze dieser Höhe in die Ebene. Nach links hatte ich Verbindung mit der Postenkette eines westphälischen Regimentes. Vor mir barg eine Waldecke, welche die Landstraße berührte, ein Ulanen-Detachement, in dessen Officier ich einen Cadetten-Cameraden wiedergefunden, und mit ihm gemeinsame Maßregeln verabredet hatte.

Die Leute auf den Posten zeigten, trotz eines abscheulichen scharfen Windes, der zeitweilig Regen, Schnee und Hagelschauer in die Gesichter trieb, den allerbesten, frohen Muth. So schrieb ich denn zufriedenen Sinnes, nach geschehener Besichtigung meiner Stellung, den üblichen Rapport an den Vorposten-Commandeur. Nicht lange darauf rief mich eine Meldung auf die Landstraße. Vor den schußfertigen Gewehren des Doppelposten stand ein elender, aber verschmitzt aussehender Bauer. Er führte einen großen, mit vier Ochsen bespannten Leiterwagen, auf welchem viele sehr ansehnliche leere Fässer lagerten.

„Wo kommt Ihr her?“ frug ich das Bäuerlein.

„Aus L.,“ war die Antwort.

„Und wohin fahrt Ihr und was soll’s mit den Fässern?“

„Bier holen, Herr Officier, Bier für die in L. liegenden Chevaux-Legers – drüben in F.“

Das war mir denn doch zu arg. Die durstigen Feinde schickten also ihre Abgesandten mitten durch unsere Vorposten nach unserem Hauptquartier, um Stoff für ihre trockenen Kehlen zu holen. Und der Durststiller der Strafbaiern war ein Hesse! Diese Gefälligkeit veranlaßte mich, dem biederen Hessen mit der flachen Klinge mehrere wohlgemeinte Hiebe auf den breitesten Theil seiner schlotternden Lederhosen, als Anerkennung für seinen Patriotismus, zu appliciren. Nun merkte der Schelm, er habe sich verrathen, deutete sehr beflissen mit der Peitsche auf unsere Ulanen und versicherte, für diese Chevauxlegers solle er das Bier holen. Ich bedauerte jetzt lebhaft das vorgefallene Mißverständniß lobte sowohl den Durst unserer Cavalleristen, als die Bereitwilligkeit des kleinen Mannes und bedeutete diesen, jetzt stehe seiner Fahrt nach F. natürlich Nichts mehr im Wege.

„Müller,“ commandirte ich einem Gefreiten, der mein Augenwinken sofort verstand, „begleiten Sie den Mann und sorgen Sie dafür, daß unsere Ulanen das Bier recht bald erhalten.“ Der erbärmliche Schlingel sah mich wohl einen Augenblick betroffen an; doch als ich dem Gefreiten, der, meiner Ordre nachkommend, schon auf dem Wagen Posto gefaßt hatte, einen flüchtig mit Bleistift geschriebenen Zettel mit den Worten reichte: „An den Vorposten-Commandeur, damit der Fuhrmann ungehindert passiren kann,“ setzte dieser sein Gefährt mit großem Gerumpel in Bewegung. In noch nicht einer Viertelstunde war die Meldung dieses Vorfalls in der ganzen Postenkette bekannt und der Bierkutscher besorgt und aufgehoben; denn in unsere Aufstellung hinein war er wohl gekommen, heraus führte für ihn vorläufig kein Weg mehr. Ich freute mich überaus, daß die durstigen Bavaren bald inne werden sollten, wie wir den Vorpostendienst nicht mit so großer Gemüthlichkeit ansahen, als sie, die da zu glauben schienen, über den Durst müsse auch der Feind jede andere Rücksicht vergessen. Warum heute gerade den feindlichen Kehlen das reichliche Ausspülen mit dem edlen Gerstensafte so nöthig war, das sollte ich bald genug erfahren.

Nach nicht allzulanger Zeit naheten sich unseren Doppelposten vielfache Trupps von Bauern, Bauerweibern und Kindern. Sie trieben weinend kleine Heerden von allerhand Hausthieren, Schweinen, Schafen, Gänsen und dergleichen vor sich her. Ein altes, graues Bäuerlein erzählte mir, daß die Baiern ihnen bisher täglich, ohne zu fragen und ohne zu bezahlen, auf bloße Quittungen hin, eine Menge Vieh geschlachtet haben, mehr als sie zur Sättigung bedurften. Was nicht gebraten und gegessen worden, das sei blutig auf dem Felde liegen geblieben. Heute besonders sei die Schlächterei großartig gewesen; daher sei ihnen endlich nur der Ausweg geblieben, sich nach F., hinter unsere Truppen zu flüchten. Zurück dürften die Seinigen nicht, ohne sich den gröbsten Mißhandlungen auszusetzen, so bitte er nur für sich und seine Begleiter um freien Durchzug. Ohne Zögern ließ ich die armen Leute mit dem nöthigen Ausweis passiren.

Eben hatten sich die Letzten mit dankendem Händedruck von mir gewandt, das Blöken der Schafe, das Schnattern der Gänse hallte noch durch den Hohlweg zurück, da nahte sich mein Sergeant mit verlegenem Lächeln. „Herr Lieutenant,“ bat er, „würden Sie uns wohl heute ein kleines Extramahl erlauben?“

„Hier auf der Feldwacht? Wo wollt Ihr Proviant hernehmen? Haben die Musketiere im Dorfe einigen Hühnern die Köpfe abgedreht?“

„Nein, Herr Lieutenant, unsere Leute sind keine Marodeurs. Wir haben von dem alten Bauer, der dort seine Schafe forttreibt, einen Schöps unter der Bedingung erhandelt, daß Sie Ihre Genehmigung ertheilen würden; wenn also der Herr Lieutenant nichts dawider – –“

Gern gab ich meine Einwilligung und auch die Bezahlung zu dem Kauf. Mit bewundernswürdiger Geschwindigkeit brachten zwei Musketiere den errungenen Schöps herbeigeschleppt. Unter meinen Soldaten befand sich ein Schlächter. Er wurde sofort zum Calefactor ernannt. Schnell war der kriegerische Schmuck mit dem Costüm

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 279. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_279.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)