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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

welcher der von mir besetzte Höhenzug aufstieg, wurde erst ziemlich weit von meiner rechten Flanke wieder von einzelnen Bergen begrenzt. Einer derselben sprang, mit scharfer jäher Felsspitze, dicht bewaldet, bis etwa in die Höhe meiner Aufstellung vor und hinderte so nach rechts die weitere Aussicht auf Felder und Wiesen.

Dieselben belebten sich in unserem Rücken durch lange Züge freundlicher Infanterie-, Cavallerie- und Artillerie-Massen, welche Gefechtsaufstellung nahmen. Eine Husaren-Vedette beobachtete auf der erwähnten Felsenhöhe, am Rande des auf derselben befindlichen Tannenwaldes, das vorliegende Hügelgewirr. Doch sowohl diese Husaren, als auch meine Musketiere strengten ihre Augen lange vergeblich an. Endlich bewegten sich die Colonnen in der Ebene. Die Infanterie rückte zuerst vor und verschwand hinter dem Berge, auch Cavallerie und Geschütze avancirten, blieben aber noch zum Theil sichtbar. Auf etwa Gewehrschußweite vor dem Felsenhange hielt eine Schwadron Husaren. Noch harrte Alles in stummer Erwartung – da hörte man jenseits des Tannenwaldes schießen; das berühmte Gefecht von Bronzell war engagirt.

Ich glaubte, in wenigen Minuten sicher auch im Feuer zu sein, zog den Degen und erwartete mit Ungeduld das Erscheinen der ersten feindlichen Tirailleurs. Doch vor mir blieb es öde und wie ausgestorben. Da – endlich! scheint das Gefecht sich auch zu uns wenden zu wollen. Im Rücken der erwähnten Husaren-Vedette, welche, den Carabiner auf dem Schenkel, noch ruhig und aufmerksam das Vorterrain beobachtet, belebt sich der tiefdunkele Saum des Tannenwaldes durch viele weiße Rauchwolken, denen das im Echo scharf wiederholte Knallen von Gewehrschüssen folgt. Die Husaren sind also umgangen, doch zeigen sie darüber nicht die geringste Bestürzung; in größter Ruhe wenden sie vielmehr ihre Pferde nach dem Feinde, recognosciren den Waldrand, erwidern das Feuer und reiten dann vorsichtig den steilen Hang hinab, um bei der Schwadron zu melden. Sobald die Hufe das weiche Gras der Ebene betraten, stürzten aus dem Walde die Gegner, österreichische Jäger, hervor. Sie waren, in ihren vollständig grauen Uniformen, sehr schwer vom Erdreich und dem Felsen zu unterscheiden, dessen oberste Kante sie vortheilhaft besetzten. Bei der Schwadron machten einige herausfordernde Schüsse wenig Eindruck. Die Pferde hielten ruhig, nur scharrten einzelne ungeduldig mit dem Hufe im schwarzen Wiesengrunde. Auf der anderen Seite der von den Oesterreichern besetzten Waldhöhe dauerte unterdeß das Schießen fort.

Da schien unseren Husaren denn doch die Zeit lang zu werden. Die Schwadron ritt plötzlich im kurzen Trabe, mit eingesteckten Säbeln, bis an den Fuß der Anhöhe, wo sie halten blieb. Die vor der Fronte befindlichen Officiere schauten mit untergeschlagenen Armen zu den feuernden Kaiserjägern hinauf, die sich aber dadurch nicht verleiten ließen, ihre sichere Stellung aufzugeben. Die Schüsse waren zahlreich, aber unwirksam.

Nachdem die Husaren sich denselben eine Zeit lang in ruhiger Verachtung der Gefahr ausgesetzt hatten, machte die Escadron auf Commando Kehrt und ritt im Schritt, ohne umzuschauen, auf den alten Standpunkt zurück. In dieser Bewegung traf, glaub’ ich, ein Schuß das Pferd eines Trompeters, den bekannten Schimmel von Bronzell.

Mich, wie meine Leute, hatte das ruhige Benehmen der Vedette und die kühne Herausforderung der Schwadron in wahre Begeisterung versetzt. Wir brannten vor Begier, es bald mit den vorsichtigen Schützen aufzunehmen; doch daraus sollte nichts werden. Kaum standen die Husaren wieder, so hörte das Feuern jenseits des Waldes auf. Wir horchten mit gespannter Aufmerksamkeit. Plötzlich trabte ein junger Kürassier-Officier in rasselnder Waffenrüstung heran. Zwanzig Schritte von mir parirte er mit einem Ruck seinen prächtigen Rappen und „Hahn in Ruh!“ schnarrte er mir den Befehl des Generals zu, das Feuern einzustellen. Ich sah den Herrn Cameraden zwar sehr verwundert an, hielt aber jede Entgegnung für überflüssig, steckte mein unblutiges Schwert ein, und – dahin waren all die schönen Träume von kriegerischem Ruhme!

Bald nach Entfernung des Hiobs-Boten führte ein alter Cavallerist den im Hinterschenkel verwundeten Schimmel bei meiner Feldwacht vorbei und erzählte mir im Grimme über die vereitelten Hoffnungen, ein alter Capitain unseres Regiments, dessen Compagnie das eigentliche Gefecht von Bronzell bestanden, habe nach den ersten Schüssen sich zu seinen Füsilieren gewandt und, seine Brille zurechtrückend, ihnen zugerufen: „Kinder, wir haben einen europäischen Krieg begonnen!“ – Dieser europäische Krieg war nun beendet. – Seine Opfer waren auf feindlicher Seite einige Verwundete und ich glaube auch ein Todter; auf unserer Seite der Schimmel und der Palletot eines Regiments-Adjutanten.

Gegen fünf Uhr stieg aus dem Tannenwalde dicker, weißer Qualm friedlich in die Höhe. Die Kaiserjäger kochten ihr Abendbrod, während unsere Truppen ruhig, wie nach einem beendeten Manöver, nach F. zurückzogen. Mir kam das Alles höchst wunderbar vor, doch tröstete ich mich endlich mit dem Gedanken, nur die hereinbrechende Nacht habe das Gefecht beendet, und es werde am andern Tage zu einem tüchtigen Kampfe kommen. In dieser Hoffnung sah ich es nicht ungern, als die Stunde der Ablösung schlug und ich auf meinem bescheidenen Plätzchen auf der Streu von den Mühen der letzten vierundzwanzig Stunden ausruhen konnte. Gegen neun Uhr weckten mich die Cameraden, welche, Einer nach dem Andern, die Lagerstatt suchten, einige Augenblicke aus dem Schlafe; doch die Unterhaltung der Eintretenden ward nur einsilbig, leise und kurze Zeit geführt, so daß ich bald Bronzell, Schimmel und Palletot glücklich wieder vergessen hatte.

Am anderen Morgen war ein unbestimmtes Hin- und Herfragen und Laufen im Lager des Bataillons. Die verschiedensten Nachrichten kreuzten sich. Bald hoffte man das nahe Gefecht, bald befürchtete man den Rückmarsch. Officiere und Soldaten langweilten sich dabei in gleicher Weise. Um die Zeit zu vertreiben, ergötzten sich die Musketiere an verschiedenen unter ihnen üblichen Scherzen und Spielen. Ein Hauptspaßmacher aus meinem Zuge, der auf Märschen, wenn es so recht trübselig herging, mit seiner guten Laune Alles wieder belebte, war auch hier die Seele der Vergnügungen. Den ziemlich großen, schwarzledernen Mantelsack unseres Compagnie-Chirurgus hatte er sich als Leierkasten umgehängt. Der eine, zerrissene Griff des „Pflasterkastens“ diente als Kurbel. Dabei sang der Leiermann in näselndem Tone alte und neue schöne Lieder und Mordgeschichten, meist nur den Soldaten bekannt, die im Chorus eifrig begleiteten. Sobald dieser einfiel, ahmte der Spielmann die Klänge der Drehorgel nach, wobei er nicht vergaß, die verstimmten und intermittirenden Töne gehörig anzudeuten. Abwechselung brachte das Vorführen einer Menagerie. Die einzelnen Exemplare waren in den häßlichsten und einfältigsten Kerlen herausgesucht und auf Holzhaufen postirt. Der improvisirte van Aken ergötzte das Publicum mit der genauen Naturgeschichte jedes einzelnen Thieres, wobei natürlich auch kleine cameradschaftliche Beziehungen in drolligster Weise, manchmal zur großen Verlegenheit der Charakteristirten, eingewebt wurden. Hier und da ertheilte der Gewehrputzstock des Vortragenden auch wohl eine kleine Tracht Prügel; dann vergaßen die Gezüchtigten oft ihre Rollen, zeigten menschliche Empfindsamkeit und verließen mißmuthig, kopfschüttelnd und achselzuckend ihre Plätze, was natürlich die Heiterkeit nur erhöhte. Kameel, Bär und Affe schlossen die Vorstellung, und der Bär machte eben auf Commando unter lautem Brummen seine Complimente, als sich der Compagnie-Chirurgus zornrothen Gesichtes durch die Zuschauer Bahn brach. Mit heftigen Vorwürfen schritt er auf van Aken zu, die sofortige Herausgabe seines Mantelsackes fordernd. Er erhielt, was er wünschte, und drohte in vielen zornigen Worten mit Anzeige bei dem Compagnie-Chef. Der Uebelthäter schien aber nicht eben sehr erschreckt und nur darauf bedacht, die gute Laune seines Auditoriums, welche unter der Last der Drohungen zu schwinden begann, zu erhalten. Lächelnd nahm er daher den Helm ab und bat den „Herrn Doctor“ um eine kleine Gabe für die Vorstellung. Die Soldaten lachten, der Chirurgus wandte sich zu schnellem Rückzüge, und der listige Schalk vollendete seine Sammlung, die ihm von den Officieren, welche vom Fenster aus zugesehen hatten, manches Silberstück einbrachte. Die Soldaten gaben scherzend Steine, Holzspähne, kleine Kupfermünzen, und der baare Ertrag wurde von den Acteurs bei dem Marketender in Bier, Wurst, Schnaps und Cigarren verjubelt.

Gegen Mittag endlich sprengte ein Adjutant von der Garde zu unserer Feldwache. Wir sahen dieselbe ihre Posten einziehen, und bei uns rief die Trommel zum Appell. Verstimmt traten die Leute unter’s Gewehr, die Officiere nahmen mit gerunzelter Stirn, in Ahnung des Kommenden, ihre Plätze ein. Unter lautlosem Schweigen kündigt der Major dem Bataillon an, daß auf Befehl die Stellung aufgegeben werden solle. Die Truppen dürften sich nicht als geschlagen ansehen, im Gegentheil; aber man sei aus politischen Rücksichten genöthigt, Cantonnements weiter im Inneren

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 281. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_281.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)