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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

habe, aus dessen Atelier eben dieses Blatt hervorgegangen sei. Wohl schon längst hat uns der Künstler die stille Sehnsucht nach einer Deutung des bereits erwähnten großen Cartons angesehen, von dem der Holzschnitt die eine linke Seite bringt. „Es ist die Schlacht von Salamis,“ erklärt er in etwas gebeugter Stellung und mit sinnendem Blicke vor der gewaltigen Composition stehend, „eines von den für das Münchner Maximilianeum bestimmten, die bedeutendsten Ereignisse der Weltgeschichte darstellenden Bildern, die König Max an verschiedene Künstler in Auftrag gegeben hat. Rechts die Griechen, links die Perser; dort kämpfen Männer wie Themistokles, Aeschylus, der junge Sophokles, hier Weiber, dort Ruhe, edle Begeisterung, hier wilde Hast und verzweifelnde Verwirrung. Ueber dem Griechenheere schweben in lichter Glorie die Geister der homerischen Helden, die den Griechen nach Thukydides sollen beigestanden haben, auf jenem Plateau gegenüber erbebt in wilder Verzweiflung der Perserkönig, dem der Meergott höhnend die Fesseln entgegenhält, mit denen er einst das Meer züchtigen wollte. Denn die Schlacht naht sich dem Ende – der Sieg neigt sich den Griechen zu – und von diesem Kampfe eines kleinen, aber freiheitglühenden Volkes gegen den persischen Koloß, von diesem Siege datirt die griechische Freiheit, von dieser Freiheit die griechische Cultur – und wir sind die Producte dieser Cultur.“

Während er dies spricht, haben wir Gelegenheit, uns seinen Kopf näher zu betrachten. Ein Physiognomiker würde hier ein reiches Feld haben. Auf der wunderbar gewölbten Stirne, in den tiefen Augen der große historische Ernst, um die Lippen so viel Ironie, Sarkasmus, so viel Weltklugheit. Wie alle bedeutenden Menschen, ist er mit der Zunge nicht freigebig. Gedanken kann er besser verwerthen, als für bloße Conversation verschleudern, und leere Worte hält er seiner unwürdig. Er spricht nicht fließend, sobald er aber spricht, ist seine Rede bedeutend und voll Pointe. Wir sind nicht mehr mit ihm allein, die Gesellschaft hat sich um einige Herren vermehrt, um Namen, die in der Wissenschaft und Literatur von gutem Klange sind.

Kaulbach nimmt auf einem grünen Lederstuhle seinen Platz vor einer Staffelei ein, fährt an einer Kreidezeichnung zu arbeiten fort, die Conversation spinnt sich weiter, er nimmt hie und dort mit einem Scherz oder einer feinen Bemerkung daran Theil – endlich steht er auf und gönnt der Gesellschaft den Blick auf den ersten Entwurf zu dem Abschluß der Berliner Fresken, dem Zeitalter der Reformation.

Welche Fülle von Gestalten, welche Vereinigung von Elementen, die jener gewaltigen Epoche der Geschichte vorangingen, sich aus ihr erzeugten, oder in ihr zusammentrafen. Dort die Blutzeugen der Albigenser, hier Albrecht Dürer, da Copernikus sein System an die Wand zeichnend, im Vordergrunde Columbus seine Hand auf die Weltkugel legend, Vasco de Gama, Martin Behaim, Regiomontanus. Dort Petrarca, hier Shakespeare, weiter zurück die Helden des dreißigjährigen Krieges, und in der Mitte des Ganzen, während die geistlichen Gehülfen am großen Werke auf der einen Seite den deutschen fürstlichen Schirmern und Schützern des gereinigten Glaubens den Abendmahlskelch reichen, auf der andern Seite Königin Elisabeth mit ihren Bischöfen erscheint, in der Mitte des Ganzen, Alle überragend, Alle auf sich beziehend, die drei großen Reformatoren, das Zeugniß des neuen Glaubens, das Buch der Bücher hoch und freudig emporhaltend.

„Ja, bei Gott, Kaulbach,“ ruft einer der Freunde des Künstlers entzückt aus, „Sie sind ein großer Maler!“

„Nicht doch, ich bin Director der Akademie,“ erwidert mit schelmischem Lächeln der Künstler. „Die Herrschaften müssen mich jetzt entschuldigen, ich muß zur Conferenz.“

G. H.




Der Tugendbund.

Zu allen Zeiten lebt in dem Volke selbst, wenn es nicht gänzlich entartet ist, eine innere Heilkraft, welche sich in den Zeiten der Gefahr und großer Krisen stets bewährt. Wie im menschlichen Organismus, wenn er schwer erkrankt, die Natur mit Aufwendung aller Mittel das Uebel beseitigt und die Genesung einleitet, so wirkt auch in dem Staatsorganismus der Geist des Volkes unter ähnlichen Verhältnissen belebend, erhebend und kräftigend, indem er sein eigener Arzt wird und neue, frische Kräfte aus sich selber schöpft. – Als durch die Schlacht bei Jena die preußische Monarchie fast in den letzten Zügen lag, kam die Rettung zunächst aus dem Volke selbst. Zwar erkannte die Regierung die Fehler der Vergangenheit und suchte dieselben durch eine Reihe zweckmäßiger Reformen zu beseitigen, aber sie befand sich nur in der Lage des Arztes, welcher seine Mittel verschreibt, ohne zu wissen, wie weit die Naturkraft des Kranken ausreichen und ihn unterstützen wird. – Aus dem Volke selbst entwickelte sich aber jene innere, wohlthätige Reaction, welche einzig und allein die verlorene Gesundheit wiederbringen kann. Ein solches Streben nach dem Besseren that sich vor Allem in dem sogenannten „Tugendbunde“ kund.

Mitten in der allgemeinen Verwirrung und Auflösung erkannte ein wahrer Patriot, „daß Preußen seine Größe nur in sich selbst suchen, daß die Bürger des tief entwürdigten und geschwächten Staates durch Förderung und Aufrechthaltung vaterländischer Tugenden zum Bewußtsein ihrer moralischen, geistigen Kraft, zum Gefühl ihrer sittlichen Würde wieder emporgehoben werden müßten.“ In Stunden geschäftsloser Muße übermannte ihn oft der tiefe Schmerz über die Schmach des Vaterlandes; seine Seele war voll Trauer über die jämmerlichen Zustände. Tag und Nacht sann er auf Rettung, die er einzig und allein in der Wiedererweckung, Stärkung und Bewährung vaterländischer Tugenden, in der thatkräftigen Wirksamkeit echtpatriotischer Gesinnung zu finden glaubte.

Dieser treue Vaterlandsfreund war Beamter, der Oberfiscal Mosqua zu Königsberg. Er verkannte nicht die großen Schwierigkeiten, die sich seinem Vorhaben entgegenstellten, aber mit fester Beharrlichkeit steuerte er auf sein Ziel los. Am 18. März 1808 that er den ersten Schritt zur Verwirklichung seiner Pläne, indem er sich an den damals in Königsberg anwesenden Geheimen Cabinets-Rath Beyme vertrauensvoll mit folgendem Schreiben wandte: „Ich glaube, die Zeit ist vorhanden, wo man seine Kräfte für König und Vaterland hergeben kann und muß, ohne die Wirkung verfehlen zu dürfen. Was die äußere Macht nicht vermocht hat, wird gewiß die innere Kraft in’s Werk richten, welche wir erst kennen lernen müssen, um davon den zweckmäßigsten Gebrauch machen zu können. In dieser Meinung habe ich es für dienlich gehalten, Seine Königliche Majestät in der beiliegenden Eingabe um die Erlaubniß zur Errichtung einer vaterländischen Privat-Gesellschaft zu bitten, ohne daß solche dem Staate einige Aufopferung kosten darf.“

In der Eingabe selbst hieß es nach einigen einleitenden Worten: „Ich will es freimüthig heraussagen: die deutschen Tugenden sind schon sehr tief untergraben. Aber noch stehen ihre Grundfesten unerschüttert da; noch ist es Zeit, dem Ungeziefer entgegenzuarbeiten, welches dazu gebraucht wird, das deutsche Vaterland zu zerstören. Noch sind wir Deutsche! Von allen Tugenden, die in uns leben, will ich nur eine hervorheben: es ist die deutsche Treue. – Nur eine Gesellschaft deutscher Biedermänner von Kopf und Herz ist im Stande, mit vereinten Kräften dem Uebel entgegenzutreten, welches uns mit gänzlicher Vernichtung bedroht. Zu ihrer Vereinigung wünsche ich aus rein patriotischem Eifer die erste Hand anlegen zu dürfen, ohne mich an die Spitze stellen zu wollen. Um aber den Feinden der guten Sache den Anlaß zu nehmen, sie sogleich im Beginn zu verdächtigen, glaube ich, daß die Gesellschaft einstweilen unbekannt bleiben und im Stillen Gutes zu thun suchen müsse.“

Beyme’s Antwort lautete zwar vorsichtig, aber doch im Ganzen ermuthigend, so daß Mosqua ungesäumt an die Ausführung ging. Zu diesem Zwecke versammelte er einige ihm befreundete Gesinnungsgenossen, den Major von Both, die Kriegsräthe von Tepper und Velhagen, den genialen Professor Lehmann etc., um mit ihnen das Nähere zu besprechen. Auf Wunsch dieser Versammlung arbeitete zunächst der geistvolle Lehmann ein „Allgemeines Grundgesetz zum Tugendverein“ aus, worin er die zu Grunde liegenden Ideen ausführlich folgendermaßen entwickelte: „Ein musterhaftes Leben, Humanität und Anfesselung jedes Menschen an Jeden und an das Gesetz ist das Strebeziel des Vereins.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 286. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_286.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)