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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

beide bis auf die Unterhosen und Stiefeln ganz aus. Wie sie so neben einander standen, fiel die überlegene Größe und der furchtbare Muskelbau des Amerikaners so auf, daß der Cours der Wetten sofort für ihn stieg und für den Engländer fiel. Doch die Eingeweihten wankten nicht und blieben bei der Ueberzeugung, daß der Engländer siegen müsse. Sie stellten sich zum ersten Gange gegenüber und fingen mit ihren furchtbaren, geballten Fäusten, die wie knotige Keulen aussahen, und ihren klobigen Muskelgebirgen in eigenthümlichen vorbereitenden Windungen an zu spielen, um sich gegenseitig etwaige Geheimnisse und Methoden ihrer „Kunst und Wissenschaft“ abzulauschen. Endlich fingen die Keulenschläge der Faustknollen zu knacken und zu plumpsen an. Die Eingeweihten haben tausenderlei rothwelsche, unverständliche Ausdrücke, um die verschiedenen Schläge und deren Wirkungen zu bezeichnen. Wir können ihnen in diesen Geheimnissen und Reizen des Genusses nicht folgen und müssen uns mit einer oberflächlichen Skizzirung des internationalen englisch-amerikanischen Ehrenkampfes begnügen. Der dritte Gang endigte mit einem Treffer auf den Nasensattel des Engländers, einem „Nieser“ und „Schnarcher“, der dabei schwer zu Boden fiel, während der Nasensattel zu einem „Conk“ oder gefüllten Pfannenkuchen aufschwoll. Die Wärter nahmen den Gefallenen auf den Schooß und behandelten ihn mit nassen Schwämmen und andern kunstgerechten Mitteln.

Der vierte, fünfte, sechste und siebente Gang (sie nennen’s Runde), jeder endigte mit krachender Niederschmetterung des Engländers, der nach jedem Falle gestrichen, gedrückt, mit stärkenden, kühlenden Flüssigkeiten benetzt, mit den entsetzlichsten, verschiedensten Entstellungen und Schwellungen bedeckt, mit „Schnüfflern“, „Küssern“, „Rothwein“ u. s. w., wüthender, aber schwächer auf die Beine und zum nächsten Gange gestellt ward. Den achten Gang boxte der Engländer hauptsächlich mit der linken Keule, die rechte war geschwollen, entstellt und verrenkt durch einen Schlag des Amerikaners. Beide knallten jetzt mit der höchsten Wuth und Hitze gegen einander. Aus Mund, Nase und dem rechten Auge des Amerikaners spritzte Blut, in welches der Engländer so lange mit seinen bluttriefenden Faustknollen hineinstampfte, bis er wieder zu Boden geschmettert ward. Der vom Blute und dem in Schwulst vollkommen geschlossenen Auge erblindete Amerikaner ward von den Seinigen gewaschen und gereinigt, gekühlt und gepflegt, der Engländer von den Seinigen. Neunter, zehnter, elfter, zwölfter, dreizehnter Gang. Nach jedem wurden furchtbare Beulen gewaschen, Blut und klaffende Wunden gekühlt, zugeschwollene Mäuler mühsam mit Essigschwämmen erquickt. Der vierzehnte endete mit Niederfällung Beider. Die nächsten vier schließt jedesmal ein schwerer Fall des Engländers. Nummer neunzehn und zwanzig wieder je doppelte Niederlage. Die beiden nächsten Nummern werden durch neue Figuren auf dem schon unkenntlichen Gesichte des Engländers bezeichnet. Die nun folgenden vier Gänge sahen schon wie Tollhaustobwahnsinn aus. In den Zwischenpausen wurde leidenschaftlich an Beiden herumgewischt, geklebt, eingeflößt und „erquickt“.

Das Gesicht des Thomas Sayers ist mit Augen, Nase, Mund und Backen eine einzige, unkenntliche Masse mit einem großen, blutenden Klumpen auf der Stirn. Ueber der Braue des einen Auges ein großer, offener Klaff. Aus den verschwollenen Nasen- und Mundöffnungen quillt Blut. So liegt er da auf dem Schooße eines Wärters und wird mit Stärkungsmitteln tractirt. Heenan kollert wie ein Trunkener bewußtlos schäumend auf dem blutigen Grase mit einer weit aufgerissenen Backe, einem ganz unsichtbar gewordenen, in rother Schwulst geschlossenen Auge, die andere Seite des Gesichts ein ungeheurer, blau und roth glühender Klumpen, die linke Faust „aufgepufft“ und unfähig, sich zu öffnen, im Ganzen „gar nicht mehr erkenntlich als menschliches Wesen“.

Beide werden wieder zurechtgewaschen und wieder auf die Beine gebracht zum sechsundzwanzigsten Gange, der abermals mit dem Falle des Engländers und einem Schlage des Amerikaners, als dieser schon fiel, endet. Hier schrieen die Englischen in furchtbarer Wuth: „Foul!“ und verloren alle Kraft, sich zu halten, als ihr Mann noch fünfmal hintereinander von den wüthendsten Faustkeulenschlägen des blinden Amerikaners niedergestoßen ward.

Dreiunddreißigster und vierunddreißigster Gang. Beide sind fast blind und stoßen mit schwerem, schnarchendem, röchelndem Athem, blutspeiend, mit jedem Athemzuge Blut ausröchelnd ihre geschwollenen, schwach gewordenen Armkeulen gegen einander. Noch keine Entscheidung? Noch Keiner besiegt? Noch Keiner des Preises von 200 Pfund Sterling gewiß? Nein, noch hatte sich Keiner für besiegt erklärt, noch war keiner von Beiden todt. Noch zwei Gänge und endlich der letzte mit dem dramatischen Effecte.

Zwei Stunden und zwanzig Minuten lang hatten sich die beiden Helden gegenseitig ihre Gesichter und nackten Glieder zerstoßen und zerdroschen, ohne daß es der Polizei – die zum Theil mit den Eisenbahnzügen in der Nacht incognito mit zur Stelle gekommen war, bis dahin gelungen war, in das Innere des Kreises einzudringen. Jetzt gelang’s ihr plötzlich. Sie drang durch den äußeren Kreis bis zu dem inneren der Stricke, die in demselben Augenblicke mehrfach zerschnitten wurden, so daß Polizei und Publicum eindrang und die beiden Kämpfenden dicht umgab. Heenan, schon längst voller Verdacht, daß ihm die Engländer kein „ehrlich Spiel“ gönnen wollten, glaubte jetzt, daß die wüthend gewordenen englischen Hallunken ihm an’s Leben wollten, und wehrte sich dagegen mit der wahnsinnigsten Wuth eines Verzweifelten, so daß er den Gegner und dessen Secundanten mit Fäusten, Füßen und Zähnen zugleich bearbeitete. Publicum und Polizei rissen und zerrten an den sich wälzenden, kratzenden und beißenden, nackten, blutigen Muskelmassen in unbeschreiblicher Confusion, bis es ihnen gelang, die ekelhaften Kerle auseinander zu reißen.

Heenan, geistig und körperlich blind, bewußtlos, wahnsinnig, floh nackt und blutig, zerrissen und bis zur gänzlichen Unkenntlichkeit verschwollen, in’s Weite und konnte erst spät eingeholt, in seine Kleider und zum Bewußtsein gebracht werden.

Sein Gegner wurde unter der confusen Menge hervorgezogen, verbunden und eingepackt und als hoffnungslos in Kissen und Betten gewickelt. Aber schon am folgenden Morgen wohnte er einer berathenden Versammlung des Preis-Boxer-Comités im Zimmer des Redacteurs der „Sporting“-Zeitung: „Bell’s Leben in London“ bei, um seine Stimme abzugeben, wann der zweite, entscheidende Tag des Kampfes stattfinden solle. Die siebenunddreißig Gänge mit dem cannibalischen Ende führten nach dem Richterspruch der Sachverständigen zu keiner Entscheidung. Die Sache kam im Parlamente zur Sprache. Man lachte darüber und wies es ab, sich irgendwie in diese bereits streng verbotenen Belustigungen einzumischen. Alle Zeitungen brachten Leitartikel darüber, theils begeistert für, theils entrüstet gegen diese nationale Schande.

Aber sie ist populär. Dieser Cannibalismus wurzelt tief im Volke und hoch in den obersten Zehntausend, die sich in ihrem großen Wett-Bureau „Tattersalls“ mit bedeutenden Wettsummen daran betheiligten. Arm und Reich aus allen Gegenden Englands senden Tom Sayers Geldgeschenke, auf der Stockbörse sind ihm 100 Goldstücke von den Mitgliedern derselben überreicht worden, und wo auch der Boxer erscheint, wird er mit Jubel empfangen.

Wir wenden uns mit Ekel von diesen Preis-Boxereien ab, eben so wie gebildete Engländer. Aber diese streng verbotenen „Belustigungen“ floriren, eben so wie verbotene Hahnenkämpfe und Rattentheater. Darin liegt ein großes Geheimniß der englischen Freiheit, welche wesentlich darin besteht, daß gesetzlich verbotene volksthümliche Sitten und Unsitten von der hohen Obrigkeit nicht gestört werden. So ekelhaft wie die Boxereien sind, sie kommen immer frei aus dem Volke und sind einmal eine alte, wenn auch rohe Form persönlicher Freiheit.




Aus dem Leben des Haushundes.

Von Dr. Ludwig Brehm.

Es ist lange meine Absicht gewesen, einige Erfahrungen über das geistige Wesen des Haushundes zu veröffentlichen, welche ich selbst machte oder durch glaubwürdige Freunde erfuhr. Wenn ich die hier mitzutheilenden Thatsachen auch nicht gerade als durchaus neue oder wenigstens unbekannte Geschichten ansehen darf, kann ich doch ihre Wahrheit verbürgen, und somit glaube ich immerhin, nichts Unwillkommenes zu bieten. Möglich, daß ich durch sie auch andere Beobachter aufmuntere, ihre Erfahrungen an diesem Orte zu veröffentlichen, und hierdurch die so anziehende Thierseelenkunde wenigstens mittelbar bereichere. Und dann ist meine Arbeit mir überreich belohnt worden.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 297. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_297.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)