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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

mit jenem ihr eigenthümlichen Zucken der Lippen, das ihren Mund so ausdrucksvoll machte, „ich habe sehr berühmte Namen darin gelesen, den meinigen würdet Ihr vergebens suchen!“

Wilhelmine Schröder-Devrient wies jede erniedrigende Protection, jede Annäherung der „Herrn von der Claque“, alle unwürdigen Anerbietungen, die bald in der feinsten, bald in der unverschämtesten Form gestellt wurden, mit Abscheu zurück. Es ist ihr freilich auch passirt, daß die Herren, die für Journale über sie geschrieben hatten, ihr nachträglich eine Rechnung für „Correspondenzen“ überreichten. Einmal wurden ihr sogar für Empfehlungsbriefe, die sie aus Gutmüthigkeit angenommen, aber niemals abgegeben hatte, hundert Thaler abgefordert. Sie hat in solchen Fällen dem Unverschämten entweder ohne Umstände die Thür gewiesen, oder sie hat die geforderte Summe bezahlt, „um das Gesindel los zu werden“ – aber sie hat das nie gethan, ohne ihre tiefe Verachtung auszusprechen oder ohne dem „gefälligen Freund“ zu bedeuten, daß er ihre Schwelle nicht mehr betreten dürfe. Diese Herren haben sich dann gerächt mit allen Mitteln, die ihnen zu Gebote standen, d. h. sie haben verleumdet und intriguirt.

Schon in Paris hatte die Künstlerin in dieser Beziehung bittere Erfahrungen gemacht, auch in Berlin sollte sie die Macht der beleidigten Coterie kennen lernen. Vergebens sprach sich das Publicum, vergebens der bessere Theil der Tagespresse ganz entschieden für sie aus – die Unterhandlungen waren und blieben abgebrochen, obwohl die Berliner Oper damals keine Primadonna hatte. Der Einfluß ihrer Widersacher ging sogar so weit, daß ihr das Benefiz verweigert wurde, welches vorher jedem bedeutenden Gast: der Schechner, der Sontag, der Heinefetter, gewährt war.

Am 26. März trat Wilhelmine zum letzten Male – als Fidelio – auf. Sie hatte sich inzwischen entschlossen, eine zweite Einladung nach Paris anzunehmen, der ein bleibendes Engagement folgen sollte, und wollte ihre Reise schon am nächsten Tage antreten. Das Publicum überschüttete sie mit Beifallszeichen. Es war, als wollte man sie durch verdoppelte Liebe für die Kränkungen entschädigen, die sie in den letzten Wochen erfahren hatte. Die Künstlerin war tief ergriffen. Als mit dem letzten stürmischen Hervorruf von allen Seiten die Worte: „Hierbleiben! Wiederkommen!“ erschallten, trat sie dicht an die Lampen und erwiderte mit jener einfachen Herzlichkeit, durch welche ihr Wesen so unwiderstehlich war:

„Ich danke Ihnen für Ihre nachsichtsvolle Güte. Sehnlich hätte ich gewünscht, daß es mir vergönnt gewesen wäre, hier zu verweilen. Mit Schmerz scheide ich von meinem Vaterlande, das ich nie vergessen werde!“

Sie konnte nicht weiter sprechen. Noch einmal überflogen die schönen, in Thränen schimmernden Augen das überfüllte Haus; dann nahm sie einen der vielen Kränze und ein Gedicht, das vor ihren Füßen niedergefallen war, vom Boden auf und entfernte sich mit gesenktem Haupt und zögernden Schritten.

Als Abschiedsgruß erhielt sie noch am nächsten Morgen ein Blatt von Ludwig Rellstab, das sie bis an’s Ende unter ihren liebsten Andenken aufbewahrt hat. Es enthielt die Verse:

„Erstaunt seh ich Dein zauberisch Verschwenden;
Ein Herz hat jede Brust doch nur zu spenden,
Und Du schenkst eines jedem Ton und Blick.
Dennoch erschöpfst Du nie des Reichthums Quellen,
Denn jeder Blick, jedweden Tones Schwellen
Bringt Dein Geschenk Dir tausendfach zurück.

Berlin, 27. März 1831.   L. Rellstab.

Empfunden bei jedem Ton, den ich von Ihnen gehört.“




Blätter und Blüthen.


Bild aus Alexander von Humboldt’s Leben. Während A. v. Humboldt’s großer Reise im südlichen Amerika mit Aimé Bonpland, in den Jahren 1799 bis 1804, durchstreiften sie einst, wie so oft, mit wissenschaftlichen Forschungen beschäftigt, das wilde Cordillerengebirge. Sie waren manchen Tag in den einsamen Wäldern umhergeirrt, ohne ein menschliches Antlitz gesehen zu haben, nur das Geschrei der zahlreichen buntgefiederten Vögel erfüllte ihr Ohr. – Plötzlich horcht Humboldt auf; ein eigenthümlicher Ton, der unmöglich von den Vögeln des Waldes herrühren kann, hat sein Ohr berührt und seine Seele wunderbar ergriffen. Der Ton ist verstummt; dem Naturforscher ist, als habe er geträumt. Da läßt sich der Ton wieder und näher vernehmen; Humboldt winkt Bonpland zu, während sich seine Augen mit Thränen der Ueberraschung und Rührung füllen. Ton reiht sich an Ton, es ist die allen Deutschen wohlbekannte und theuere Melodie des Volkslieds von Usteri: „Freut euch des Lebens“, die von einem menschlichen Munde lustig gepfiffen wird. Die horchenden Naturforscher vernehmen endlich ferne Schritte, der Pfeifer der Liedsweise kommt näher und nun wechselt er und statt des Pfeifens singt er mit heller Stimme:

„Man schafft so gern sich Sorg und Müh,
Sucht Dornen auf und findet sie,
Und läßt das Veilchen unbemerkt,
Das uns am Wege blüht.“

Humboldt hält sich nicht länger; er stürmt auf den fröhlichen Sänger los. Noch wenige Schritte, und er steht einem einfach gekleideten Manne gegenüber, dessen gesunde Gesichtsfarbe und Züge eine heitere deutsche Menschenseele verkünden und der vielleicht zehn Jahre älter ist als er selbst. Der Mann ist mit den Utensilien des Vogelfangs ausgerüstet und augenscheinlich beschäftigt, Papageien und Loris zu fangen.

„Hoho, Mann, Ihr müßt ein Deutscher sein?“

„Das versteht sich, ein ganzer und echter Deutscher vom Kopfwirbel bis zur Fußzehe. Das beste Stück daran ist das Ding, das unterm linken Knopfloch hämmert. Das ist erst einmal recht deutsch. Und Sie, Herr, sind doch wohl auch ein deutscher Landsmann?“

„Errathen! Ich bin aus Berlin. Und Sie, Landsmann?“

„Ich bin aus Waltershausen am Thüringerwalde.“

„Wo Bechstein, der Naturforscher wohnt, der die treffliche Naturgeschichte der Singvögel geschrieben hat.“

„Der ist mein Schulcamerad und Kumpan. Wir sind genug zusammen auf den Vogelfang in unsere Berge gegangen. Der hat viel von mir gelernt, und ich von ihm.“

„Aber, Landsmann, wie kommen Sie denn in diese amerikanischen Wälder? Es scheint, um auch hier Vögel zu fangen?“

„So ist’s. Ich bin der Vogelfänger und Vogelhändler Thiem. Die deutschen Singvögel führ’ ich tausendweise nach Amerika, und nehme amerikanische Vögel als Rückfracht nach Deutschland mit.“

„Sie sind ein interessanter Mann, Landsmann. Auch ein Stück Naturforscher, wie ich selbst. Wie sind Sie denn auf diesen in seiner Art einzigen Betriebszweig gekommen?“

„Meines Zeichens bin ich eigentlich ein Schuster. Ich hatte aber kein rechtes Sitzfleisch; der Vogelfang war nun einmal meine Leidenschaft. Es erging dem Matthäus Bechstein ebenso. Der studirte auf den Pfarrer, gerade wie ich aus den Schuster; wir liefen mit der Leimscheide, dem Gärnchen und der Würmerschachtel in die Berge und fingen Vogel. Hernach, als er zum ersten Mal predigte, bracht’ er nichts als Vogelfang vor. Er gründete die Forstlehranstalt in unserer Vaterstadt, mich aber bracht’ er auf die Idee, mit meinen eingefangenen und angelernten Singvögeln auf den Handel zu gehen. Zuerst reiste ich damit nach Rußland und hab’ in Petersburg manche Jahre gute Geschäfte gemacht, die mir die Lust erweckten, auch nach Amerika zu gehen. Erst verkaufte ich in New-York und andern großen Städten meine thüringischen Waldmusikanten und nahm Papageien dafür mit. Endlich kam mir der Gedanke, die amerikanischen Vögel selbst hier zu fangen, wie die deutschen drüben. Und so sehen Sie mich, Herr Landsmann, als Vogelfänger und Vogelhändler zweier Welttheile.“

Humboldt’s Freude über den deutschen Landsmann und Geschäftsgenossen war ungemein groß, und der treffliche Bonpland theilte sie. Sie blieben einige Zeit mit dem lustigen Thüringer zusammen, der sie durch seine Schnurren und Erzählung seiner Abenteuer oft ergötzte, und Humboldt pflegte später oft die Scene in den Urwäldern Südamerika’s zu erzählen, die seiner Versicherung nach ihm die höchste und angenehmste Ueberraschung seines Lebens bereitet. Er pflegte dann lächelnd hinzuzusetzen: „Was doch alles aus einem deutschen Schuster werden kann: Hans Sachs ein großer Dichter, Jakob Böhme ein großer Philosoph und Thiem ein großer Vogelfänger in Europa und Amerika!“


Ich habe Thiem noch gekannt; er war ein sehr origineller Mensch und setzte seine ungeheuern Reisen mit Vögeln bis zu seinem Tode fort. Abwechselnd ging er nach Amerika und Rußland, und nach Petersburg und Moskau führte er die gefiederten Bewohner des Thüringerwaldes und der Cordilleren. Eine Menge Menschen in unserem südwestlichen thüringischen Gebirge fingen für ihn Meisen, Finken, Rothbrüstchen, Drosseln, Gimpel (Dompfaffen), Nachtigallen etc. und lehrten sie künstliche Gesänge. Sehr interessant war sein großer Wagen, der außer dem Gestell aus lauter kleinen hölzernen Gebauern zusammengesetzt war. Diese waren so geschickt placirt, daß die Vögel bequem gefüttert und getränkt werden konnten. Fuhr Thiem nach Rußland, so mischte sich auf seinem Wagen das Geschrei der Aras und Loris in das Gezwitscher der gefiederten Kinder unserer heimischen Wälder. – Ich konnte als Knabe nie an dem von Pferden in die weite kalte Welt hinausgezogenen ungeheueren Vogelhaus mit seinen Tausenden von Bewohnern vorübergehen, ohne daß mir das Wasser in die Augen trat. Die armen freundlichen Kinder unserer schönen Berge! Da wurden sie aus ihrer grünen, sonnigen Heimath mit den kühlen Quellen, mit den lauschigen Waldplätzchen, hinausgeschleppt in das entsetzliche steinerne Petersburg und über das Weltmeer in das trostlose New-York, um sich nach wenigen Monaten schon aus Sehnsucht nach ihren lieben Wäldern todt zu grämen und zu singen. – Damals wußte ich freilich noch nicht, daß das nicht allein das Loos der Singvögel ist, die dumm genug sind, grausamen, habsüchtigen Menschen in’s Garn zu gehen.

L. St.



Für „Vater Arndt“

gingen in letzter Woche weiter ein: 5 fl. Wagl, Doktr. in Grätz – 2 Thlr. 20 Ngr. Schündler in Neuenteich – 20 Ngr. Joseph Keil in Neuenteich – 2 Thlr. 20 Ngr. aus Oberösterreich – 2 fl. Pollak in Krems (a. d. Donau) – 1 Thlr. Gust. Thon in Haynau – 5 fl. Gutsbesitzer Hecht in Katzengrün (Böhmen).

Ernst Keil.

Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 304. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_304.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)