Seite:Die Gartenlaube (1860) 307.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Nachdem er hierüber Frohn’s Verwunderung sattsam erregt, wandte er sich der von starken Eichenbohlen gefertigten und eisenbeschlagenen Thüre seines Kerkers zu, und arbeitete ein paar Augenblicke lang an der Einfassung derselben, ohne daß Frohn sehen konnte, was er beginne. Dann trat er in einen Winkel der Zelle und machte sich unten an dem Fußboden zu schaffen. Endlich hielt er Frohn die offene, mit kleinen Geldrollen gefüllte Hand hin. „Sie fragten nach Gold?“ sagte er, „da sehen Sie Gold, und ich habe noch mehr. Es macht mir Vergnügen, es hier zu haben, obwohl ich nicht ein Stück Brod dafür kaufen kann. Aber ich mache mir zur Abwechselung zuweilen das Vergnügen, mir einzubilden, ich sei ein Geizhals, der in seinen Keller gestiegen ist, um seine Schätze zu hüten. Kann ich nicht hier bei meinen Dukaten eben so stolz, so neidisch, so mürrisch lächeln, als der Mammonsknecht, der ängstlich bei seinem Gold schwitzt? Und noch mehr als dieser, denn ich bin vor Räubern sicher! Ein anderen Mal bilde ich mir ein, ich sei ein Bergmann, der in einem tiefen Schachte sitzt und arbeitet, auch von Licht und den Lebendigen fern, auch bei seinen Goldadern. Freilich leistet das Gold mir auch wesentlichere Dienste. Von den vier Officieren, welche abwechselnd die Inspektion bei mir haben, habe ich drei bestochen. Ich erhalte von ihnen alles Mögliche, was ich wünsche.“

Frohn hatte sich während dieser Rede des Gefangenen auf den Sandsack gesetzt, der in der Mitte des Raumes lag, während Auerhuber neben ihm auf dem Rand der Grube saß; Trenck stand perorirend vor ihnen, in der einen Hand sein Licht, in der andern seine Goldrollen; es war ein merkwürdiges Bild, dessen Seltsamkeit durch die charakteristische Erscheinung Trencks um Vieles erhöht wurde. Der berühmte Gefangene der Magdeburger Sternschanze war groß und kräftig gebaut, sodaß er Frohn wenig nachgab. Seine Züge waren wo möglich noch edler und schöner, als die des Letzteren; die Blässe, welche die Kerkerluft darauf gelegt hatte, ließ der rothe Lichtschein wenig wahrnehmen, und seine dunklen, großen Augen zeigten das Feuer eines ungebeugten Muths. Eigenthümlich war sein Costüm. Es bestand aus einem Kittel von grobem blauem Tuche; weil aber die Fesseln ein Aus- und Anziehen der Kleidungsstücke, wenn sie nach gewöhnlichem Schnitt gemacht worden wären, verhindert hätten, so zeigten sie von oben bis unten an den Seiten Reihen von Knöpfen, vermittelst deren sie angelegt und festgehalten werden konnten. Ein Paar wollene Strümpfe und Pantoffeln bedeckten die Füße. Man sah übrigens, daß dem Gefangenen trotz seiner langen Haft nicht die Lust an einer gewissen Sorgfalt für sein Aeußeren geschwunden war; sein langes, schwarzes Haar war wohl gekämmt und hing in dichten Locken auf seine Schulter; sein Kinn war glatt, wie eben rasirt – er hatte sich die schmerzliche Operation nicht verdrießen lassen, die Haare immer einzeln auszurupfen.

„Und wie bekommen Sie das Gold?“ fragte Frohn nach einer Pause.

„Sie haben gehört, daß ich Schreibzeug besitze,“ antwortete der Gefangene, indem er ging, seine Goldrollen wieder an ihren Platz zu bringen. „Ich schreibe an einen Freund in Wien; ich sende ihm Anweisungen auf meine großen Herrschaften in Ungarn und Slavonien; er besorgt mir die Summen nach Gommern, zwei Stunden von hier, jenseits der sächsischen Grenze; dort werden sie durch einen Vertrauten abgeholt. Bedürfen Sie vielleicht Geld, Herr Camerad? – es steht zu Ihrer Disposition.“

Frohn antwortete im Augenblick nicht – er war innerlich zu beschäftigt, sich Rechenschaft über den räthselhaften Charakter des Mannes zu geben, der ihm eine seltsame Verbindung von Unerschrockenheit, Muth, geistiger Energie, Eitelkeit und Prahlerei schien – dann sagte er: „Eine Rolle Gold würde allerdings meine Pläne wesentlich erleichtern. Aber ich will es nicht eher annehmen, als bis ich Ihnen angedeutet habe, wozu Sie es hergeben. Sagen Sie mir erst, welche Fluchtpläne Sie haben – wir wollen sehen, wie wir unsere Entwürfe combiniren können.“

„Meine Fluchtpläne? Wollen Sie auch das wissen? Nun, Sie sehen ja, ich habe den Gang unter der Mauer dort ausgegraben, um in die Casematte drüben zu kommen. Es ist eine Arbeit von vielen Monden, von Jahren. Zu dem Sande unten ist leicht zu wühlen. Aber die Schwierigkeit war, den Mauerschutt und den Sand fortzuschaffen. Es wäre nicht möglich, wenn ich nicht einen Grenadier bestochen hätte, der von Zeit zu Zeit vor dem Luftloch meiner Zelle draußen Wache steht. Er hat mir ein Paar Sandsäcke zukommen lassen, die ich ihm durch die Stangen des Fensters zuschiebe, und die er dann ausleert, so gut er kann. Und nun ist das Schlimmste, daß ich die Stunden vor Mittag stets damit verlieren muß, den Fußboden wieder so herzustellen, daß, man bei dem täglichen Besuche meines Kerkers nichts bemerkt. Eine entsetzliche Arbeit war es auch, diesen Fußboden zu durchschneiden. Wie Sie sehen können, besteht er aun drei Lagen von je drei Zoll dicken eichenen Bohlen. Ohne die Stange zwischen meinen Handschellen, die ich mir an dem einen Ende scharf geschliffen habe, wäre es gar nicht möglich gewesen. Aber ein Kopf und eine Hand wie die meine werden mit Allem fertig. Ich würde heute beinahe bis unter die Casematte drüben gekommen sein, wenn ich nicht das Arbeiten jenseits gehört hätte, was mich bewog, inne zu halten und mich in meine Zelle zurückzuziehen, um abzuwarten, was kommen werde.“

„Und wenn Sie bis in die Casematte vorgedrungen wären?“

„So würde ich die Arbeit so lange haben ruhen lassen, bin eine Auswechselung von Kriegsgefangenen oder das Ende des Krieges die Casematte von ihren jetzigen Einwohnern befreit haben würde. Meine Verständnisse mit gewissen Leuten haben mir den Schlüssel zu der Thüre der Casematte verschafft, die sich damit von innen aufschließen läßt. In einer sternlosen Nacht kann ich ganz bequem zu dieser Thüre hinaus, über die Festungswälle, durch die Gräben, in’s Weite; ich habe an einem bestimmten Orte meine gesattelten Pferde stehen!“

„Sie haben den Schlüssel zu unserer Casematte?“ fragte Frohn.

Von der Trenck nickte mit dem Kopfe.

„Dann freilich,“ versetzte Frohn, „haben Sie eine große Chance, daß Ihre Flucht gelingen kann.“

„Eine Chance? Gewißheit!“

„Nun, es ist immer gut, sich auf Zufälle und unvorhergesehene Ereignisse gefaßt zu machen, die unsre besten und klügsten Pläne zu Nichte machen können.“

„Soll ich Ihnen die Geschichte meiner Flucht aus der Festung Glatz erzählen?“ fiel Trenck selbstbewußt ein. „Sie werden dann keinen Zweifel mehr an dem hegen, was ich zu Stande bringen kann.“

„Ein anderes Mal,“ erwiderte Frohn, „wir wollen die Zeit in diesem Augenblicke besser benutzen; aber Sie reden ein wenig laut, Herr Camerad – die Schildwache, die ich draußen gehen höre, könnte Verdacht schöpfen …“

„Haben Sie deshalb keine Sorge,“ antwortete Trenck lächelnd – „die Wachen wissen, daß zuweilen die Herren Officiere von der Besatzung bis tief in die Nacht hinein bei mir sind und sich meiner geistreichen Unterhaltungsgabe erfreuen. Hinein schauen in meinen Kerker kann die Wache nicht – ich habe, wie Sie sehen, eine Decke vor das Fenster gehängt.“

„Desto besser,“ versetzte Frohn – „so haben wir Muße, den Vorschlag zu discutiren, den ich Ihnen machen will, Herr Camerad.“

„Sprechen Sie.“

„Zuerst will ich meinen Begleiter beurlauben. Auerhuber, Du kannst die Rückreise antreten. Kriech in die Casematte zurück; Du kannst dort erzählen, daß ich hier eine sehr anziehende Bekanntschaft gemacht habe, mit der ich mich noch eine Weile unterhalten werde.“

Auerhuber hätte eigentlich vorgezogen, dieser Unterhaltung beiwohnen zu dürfen, er gehorchte jedoch, und während Frohn ihm die Laterne hielt, tauchte er alsbald unter, um wie ein Maulwurf unter der Erde zu verschwinden.

„Mache nur, daß Dich ja die Schildwache nicht hört“ – flüsterte Frohn ihm nach; er löschte darauf sein Licht aus, um die Kerze zu sparen, und dann sich zu Trenck wendend, sagte er: „Wir sind jetzt allein, und ich will Ihnen meinen Plan anvertrauen. Vielleicht sind Sie geneigt, Ihren Plan mit dem meinigen zu combiniren. Ich glaube, ebenso wenig wie Sie mein Ehrenwort auf unbedingtes Stillschweigen verlangt haben, brauche ich das Ihrige zu verlangen. Ich traue Ihnen zu, daß Sie lieber sich foltern ließen, als einen Cameraden in’s Unglück zu bringen …“

„Sie thun sehr wohl, ein solchen Ehrenwort nicht von mir zu verlangen – ich würde unter meiner Würde halten, es zu geben,“ erwiderte von der Trenck stolz.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 307. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_307.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)