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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Fassen wir das Resultat unserer Untersuchungen nochmals kurz zusammen:

1) Die Thatsache steht fest, daß im nordwestlichen Deutschland alljährlich zu bestimmten Zeiten Moorbrände stattfinden, bei welchen ungeheure Massen von Rauch entwickelt werden.

2) Der bei uns auftretende Höhenrauch oder Moorrauch hat denselben specifischen Torfgeruch und dieselbe Färbung, wie der durch das Moorbrennen erzeugte Rauch. Je mehr man sich den Gegenden der Moorbrände nähert, um so deutlicher treten diese Eigenthümlichkeiten hervor.

3) Der sogenannte Höhenrauch tritt nur dann ein, wenn bedeutende Moorbrände stattfinden oder soeben stattgefunden haben.

4) Die Richtung des Windes beim Erscheinen des Höhenrauches ist die nämliche, in welcher die Gegenden liegen, wo Moor gebrannt ist. (Die selten vorkommenden Ausnahmen von dieser Regel sind oben bezeichnet und erklärt worden.)

Man sollte glauben, daß eine unbefangene Prüfung dieser Thatsachen die Herkunft des Höhenrauches auch dem einfachsten Verstande außer Zweifel setzen müßten. Aber die Sucht nach dem Wunderbaren, für welches Gall mit vollem Rechte ein besonderes Organ im menschlichen Gehirn statuirt hat, ist gar mächtig im Menschen und verleitet ihn nur zu oft, das Naheliegende, Natürliche zu verschmähen und Dinge, die eine sehr einfache Erklärung zulassen, mit Gewalt in das Reich des Uebernatürlichen, Wunderbaren, Schwindelhaften, Unklaren hinüber zu ziehen. Die Leser der Gartenlaube haben ihre Theilnahme einer Zeitschrift zugewendet, die schon oft wacker und erfolgreich für Wahrheit und Aufklärung gegen Aberglauben, Mysticismus und Vorurtheile gekämpft hat. Möge auch der vorliegende Aufsatz dieser Tendenz der Gartenlaube durch die Berichtigung alter, verbreiteter und eingewurzelter Vorurtheile entsprechen!




„Seine Ehre gebrochen“.
Eine Erinnerung an Johanna Kinkel.[1]

Ich beabsichtige keine Charakteristik, noch weniger eine Biographie dieser ausgezeichneten Frau zu schreiben, die durch ein grauenvolles Verhängniß ihrer Familie entrissen wurde, als ihr Leben sich eben wieder auf das Glücklichste zu gestalten begonnen hatte. Sie wird ihren Biographen finden, sie verdient, sie bedarf ihn, einfach, weil sie wirklich ausgezeichnet war und weil der böse Leumund sich am liebsten mit dem Ausgezeichneten beschäftigt und es neidisch und mißgünstig in die Sphäre eigner Niedrigkeit herabzuziehen trachtet.

Nur einige charakteristische Züge aus ihrem Leben mit Gottfried Kinkel mitzutheilen, sei mir gestattet, die mehr als emphatische Apotheosen den hohen Werth dieser Frau erkennen zu lassen geeignet sind.

Mit Kinkel seit Jahren in brieflichem Verkehre, wollte ich ihn 1848 auf einer Studienreise – richtiger könnte ich meine damaligen Wanderungen im aufgeregten Vaterlande nicht bezeichnen – aufsuchen, um den Mann, dessen Worte stets von eben so viel Anmuth als Herzlichkeit durchweht waren, auch persönlich kennen zu lernen. Ich traf ihn nicht, wohl aber traf ich Johanna Kinkel, die mich freundlich bewillkommnete und mich durch ein lebhaftes Gespräch leicht zu fesseln wußte. Bald riefen Mutterpflichten sie zu ihren Kleinen, die krank gewesen waren, und ich folgte gern ihrer Einladung in das Kinderzimmer, um sie, wie ich sie vorher als geistreiche und liebenswürdige Gesellschafterin bewundert, nun auch als die zärtlichste, sorgsamste und verständigste Pflegerin ihrer kleinen Lieblinge kennen zu lernen. Jeder weiß, wie verhältnißmäßig selten diese drei Eigenschaften bei Müttern vereinigt angetroffen werden; bei Frau Kinkel kam noch die seltene Intelligenz hinzu, mit der sie Erziehung und Pflege betrieb. Gottfried, das älteste Kind, war Reconvalescent von einer hitzigen Gehirnentzündung; Arzt und Mutter hatten das Glück und Verdienst gehabt, den kleinen Patienten von dieser gefährlichsten aller Kinderkrankheiten zu retten. Unermüdlich Tag und Nacht hatte sie gesorgt, und nun stand ihr Liebling wieder gerettet vor ihr, die großen, klugen Augen zu mir aufschlagend und die Strophen halb singend, halb declamirend, in die ihm die geniale Mutter die Verhaltungsmaßregeln des Arztes eingekleidet hatte. Rührend war die Treuherzigkeit, mit der er die Schlußzeilen besonders betonte:

„Sonst kommt der Doctor Velten
Und thut gewaltig schelten.“

Ueber Politik war kein Wort gefallen, und auch als Kinkel nach ungefähr einer Stunde aus dem Colleg heimkehrte und ich mich zum Mittagessen halten ließ, waren es keinesweges die banalen Stichworte der Parteien, denen man damals kaum in irgend einer Gesellschaft entgehen konnte, welche das einfache, aber lecker bereitete Mahl begleiteten. Von Kindern und Kinderzucht, vom Rhein und von Rheinreisen war die Rede, und dabei verstand es Kinkel nicht nur, wie wenig Männer, seiner Johanna, der einzigen Dame bei Tische, die ihr gebührende Aufmerksamkeit und Artigkeit in ungezwungenster Weise zuzuwenden, er gab auch durch Wort und Ausdruck die glückliche Befriedigung seines Seelenlebens zu erkennen, der er durch ihren Besitz theilhaftig geworden war.

Nach Tische kamen einige Handwerker, deren Wünsche, obgleich sie noch weit über das verrottetste Innungsgelüste hinausgingen, doch mit freundlicher Klarheit berichtigt wurden. Nach ihrem Fortgehen klagten beide Ehegatten, wie schwer es sein werde, den Forderungen dieser Classe, die nur ihr nächstes und eigenstes Interesse in’s Auge zu fassen vermöge, gerecht zu werden. „Weil unser Bäcker keineswegs ein sonderlich virtuoses Brod bäckt,“ sagte Johanna, „verlangt er von Kinkel, er solle den Eingang des oberländischen Brodes verhindern, und ein verarmter Nagelschmied will ein Gesetz gegen die Anfertigung der Fabrikdrahtnägel. Aber so sind unsere Menschen fast sämmtlich. Kaum Einer unter den Tausenden, die wir sprechen hören, ist aufrichtig gemeint, dem Jahre 48 ein Opfer zu bringen. Weil Jeder zu gewinnen trachtet, wird der Fortschritt zum Bessern aufgehalten und einstweilen Jeder, der von höheren Ideen erfüllt ist, verlieren.“

Trotz der Kürze der Zeit war ein inniges Freundschaftsbündniß zwischen uns angeknüpft, und besonders von Johanna in Briefen fortgesetzt, die ich als ein theures Vermächtniß aufbewahre.

Kinkel wurde mehr und mehr von dem Ungestüm seiner Partei in den Strudel gerissen, dem er so wenig wie Andere einen Damm entgegen zu setzen vermochte, der aber, wie jede unvorbereitete Bewegung, sein natürliches Ende finden mußte, und dem sich zu entziehen er für ehrlos hielt. Es verfing nichts, daß ich ihm vorhielt, man werde nicht gründlicher, wenn man radicaler werde, und zuletzt seien die Verhältnisse stärker, als die Menschen. „Das Alles sagen wir uns selbst oft,“ bemerkte Johanna, „aber wenn Kinkel aus der Bewegung zurücktritt, welcher Bessere soll sie dann leiten? muß sie nicht in die Hände der unsaubern Geister fallen?“

Eine öffentliche Anstellung, die sich mir bot, nahm ich deshalb gern an, um den Kummer über das unausbleiblich bevorstehende Scheitern vieler meiner Hoffnungen zu bekämpfen, und widmete meine sämmtlichen Mußestunden den ernstesten Berufsstudien. Es gelang mir, des Fiebers, das auch in meinem Blute glühte, Herr zu werden, bis nach ungefähr Jahresfrist eine Zusammenkunft mit meiner Mutter mich wieder nach Bonn führte. Als die theure Frau bald wieder nach dem nördlichen Deutschland abgereist war, sah ich mich nach meinen Freunden um, aber ich traf nur noch wenige. Die ich sprach, waren ernst und traurig, einige waren ausgewandert, gar manche als Opfer gefallen, Kinkel war in der Pfalz.

Ich war viel allein, auf dem alten Zoll, auf dem Schänzchen. Jene Todessehnsucht kam über mich, die in jungen Jahren zu den gewöhnlichen Erscheinungen gehört, selbst wenn die Wirklichkeit keine herbe ist und höchstens mit den schwärmerischen Idealen ungereifter Ansichten contrastirt. Die kurze Frist im Kreise der Meinigen hatte mir wohl gethan und war mir im Gefühl wie ein Abschiedsfest, das mich frei gemacht habe. Der blutige Tod, die

  1. Siehe Gartenlaube 1859, Nr. 1.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 313. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_313.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)