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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Gegen die Abendstunde schickte Frohn sich an, seinen Besuch bei Trenck zu machen. Er kroch in seinen Minengang und gelangte darin ungehindert bis an die Stelle, wo ihm seine Laterne die Fundamentmauer des Trenck’schen Kerkers zeigte. Hier aber hörte zu seiner großen Verwunderung heute sein Weg vollständig auf. Die brunnenartige Austiefung, durch welche er gestern noch in die Zelle Trenck’s gekommen, war mit einem Paar Sandsäcken zugeworfen und darüber lagen dicke Holzbohlen. Frohn schaffte sich zwar trotz der Säcke so viel Raum, daß er den Versuch machen konnte, die Bohlen zu heben. Aber sie schienen fest zugekeilt. Er klopfte. Nichts über ihm rührte sich. Er rief: „Trenck … Herr Camerad“ … erst leise, dann lauter. Keine Antwort!

Im höchsten Grade beunruhigt, mußte er sich zum Rückzug entschließen. Größere Anstrengungen, die Bohlen zu heben, durfte er nicht machen, ebenso wenig lauter rufen. Dies hätte die Schildwache, die zwischen seiner Casematte und den Pallisaden, welche Trenck’s Kerker umgaben, auf und ab schritt, aufmerksam machen können. Frohn mußte unverrichteter Dinge zurück. Aber die Rückreise war sehr unbequem. Der Raum war nicht weit genug, daß ein so starker breitschultriger Mann, wie Frohn, sich hätte wenden können. Er mußte wie ein Krebs rückwärts kriechen.

Als er wieder in seiner Casematte angekommen war, setzte er sich auf seine Matratze nieder und dachte eine Weile stumm über die Bedeutung dieses auffallenden Umstandes nach, daß Trenck ihm geflissentlich den Weg zu sich verschlossen. Oder hatte man Trenck’s Arbeiten entdeckt? Es war nicht wahrscheinlich; man würde dann gleich den ganzen Gang zugeworfen haben. Es war möglich, daß er krank war, daß er eine außergewöhnliche Inspection seines Kerkers zu fürchten Grund erhalten … es war aber auch möglich, daß Trenck Frohn verrathen, um durch die Mittheilung einer so wichtigen Thatsache an die Festungsbehörden seine eigene Begnadigung zu erkaufen. Frohn grübelte lange darüber nach, ob eine solche Handlung mit den Charaktereigenschaften verträglich, sei, welche ihm Trenck in seinen beiden Unterredungen mit ihm gezeigt hatte. Er wurde nicht ganz klar darüber. Der Charakter Trenck’s sprach dawider … und doch, ein großer Egoismus lag in diesem merkwürdigen Menschen, und was war ihm Frohn? ein völlig Fremder, eine Bekanntschaft von zwei Tagen. Der Letztere mußte jedenfalls auf seinen Hut sein!

Endlich sprang Frohn auf. Es war so dämmerig in der Casematte geworden, daß von draußen nicht bemerkt werden konnte, was darin vorging. Er rief die sämmtliche Mannschaft um sich her. „Es wird Zeit, Ihr Leute,“ sagte er, „daß wir uns zum Losschlagen bereit halten. Macht Euch darauf gefaßt. Vielleicht gebe ich schon morgen früh, wenn mir mein Frühstück gebracht und die Casematte dabei aufgeschlossen wird, das Signal – mit dem Rufe: „Es lebe die Kaiserin!“ Ihr wißt, was Ihr dann zu thun habt! Es stürzt sich Alles zum Thore hinaus. Die Schildwachen, die uns in den Weg kommen, werden niedergeschlagen, die Musketen und die Patrontaschen, die scharfe Patronen enthalten, ihnen genommen; die ganze Mannschaft eilt auf den Platz mitten in der Sternschanze. Hier aber folgen mir alle die, welche in der Artillerie gedient haben – wie viel sind Euer? die Artilleristen treten vor!“ –

Etwa vierzig Mann traten aus den übrigen heraus.

„Gut – Ihr alle kümmert Euch weiter nicht um die Andern, sondern Ihr bleibt auf meinen Fersen und folgt mir. Alle die Andern aber werfen sich auf die Wache vor der Caserne; Ihr schlagt die paar Leute zu Boden, reißt Ihnen die Gewehre fort und stürzt Euch dann in die Caserne, wo Ihr Gewehre findet. Ihr werdet mit dem kleinen Häuflein von Landmiliz, das darin liegt, bald fertig sein, könnt deshalb auch Pardon geben. Das Todtschlagen nimmt nur Zeit fort, die Hauptsache ist, daß Ihr Waffen bekommt! – Habt Ihr nun die Leute in der Caserne überwältigt und die Gewehre in der Hand, so besetzt Ihr das Thor der Sternschanze, bis ich komme und weitere Befehle gebe. Ihr habt nichts zu fürchten. Wenn unsere Unternehmung auch scheitert, so ist dafür gesorgt, daß wir freien Abzug haben; die Cameraden aus einer der Casematten am Fürstenwall besetzen das Brückthor, sodaß uns von drüben aus der Citadelle keine Gefahr droht, im Falle die Gefangenen in derselben sich ihrer nicht bemächtigen können. Der Weg in’s Freie bleibt uns immer offen, und nach einem Marsch von zwei Stunden sind wir an der sächsischen Grenze. Es sind auch keine Truppen in der Gegend, die eine Colonne wie die unsrige angreifen könnten …“

Die Leute waren in der muthigsten Zuversicht und erwarteten gespannt den kommenden Tag, der vielleicht die Entscheidung brachte.

Frohn befand sich bei dem Gedanken daran in einer leicht begreiflichen Aufregung. Er schloß erst sehr spät in der Nacht die Augen zu einem unruhigen Schlummer.

Der Morgen kam und die ersten Stunden desselben verliefen sehr ruhig. Der gefangenen Mannschaft wurde ihr Frühstück gebracht. Zur Arbeit wurden sie heute nicht geführt; die Leute hatten den Befehl von Frohn, wenn sie hinausgeführt werden sollten, sich der Arbeit zu weigern und zu bleiben.




Unterdeß hatte am frühen Morgen eine ganz eigenthümliche Scene in Trenck’s Kerker stattgefunden. Der gefangene Freiherr hatte nämlich einen höchst merkwürdigen Entschluß ausgeführt, einen Entschluß, der unbegreiflich sein würde, wenn wir ihn uns nicht aus einem Charakter erklärten, in welchem Eitelkeit und Ruhmsucht alle übrigen Eigenschaften beherrschten. Trenck glaubte seinen Fluchtplan so gut vorbereitet, daß er am Gelingen desselben keinen Zweifel hegte. Er hatte schon im Voraus den ganzen Triumph genossen, den es ihm gewähren würde, wenn er durch eigene Kraft und Klugheit sich aus einem Kerker, wie dem seinigen, befreit: er hatte bereits ganz Europa erfüllt von Bewunderung für eine so unglaubliche That gesehen.

Das Anerbieten des österreichischen Lieutenants, welches ihm jetzt, wo er sechs Monate hindurch und noch länger seine Flucht vorbereitet hatte, die Freiheit ohne sein Zuthun als Geschenk geben wollte, war ihm deshalb keinesweges willkommen gewesen. Wie er schon in seiner Haft in Glatz vorgezogen hatte, die Freiheit, welche er durch ein Gnadengesuch bei seinem Könige hätte finden können, mit entsetzlichen Mühseligkeiten und von tödtlichen Gefahren umringt zu gewinnen, so hatte sein unbeugsamer Kopf auch jetzt sich dawider empört, von den Schultern eines Andern bequem aus seinem Kerker getragen zu werden.

Dies hatte ihm seinen Entschluß eingegeben. Schon gestern hatte er deshalb den Weg in seine Zelle für Frohn versperrt gelassen, und jetzt, am frühen Morgen, hatte er verlangt, den Officier du jour zu sprechen. Ein Stabsofficier, begleitet von einem Lieutenant, trat bald hernach in sein enges Gemach.

„Herr Obristwachtmeister,“ redete er diesen an – „ich habe mir Kunde darüber zu verschaffen gewußt, daß der Gouverneur der Festung, der Herzog von Braunschweig, gegenwärtig in den Mauern von Magdeburg ist. Ich ersuche Sie, sich zu Seiner Durchlaucht begeben zu wollen und ihm zu sagen, der Freiherr von der Trenck lasse ihn bitten, sich selbst zu überzeugen, welche Maßregeln ergriffen sind, um ihm jeden Gedanken an die Möglichkeit einer Flucht zu nehmen. Der Herzog möge selber sehen, wie jedes meiner Glieder mit schweren Eisen gefesselt ist; wie zwei dicke, mit Platten überzogene Bohlenthüren mein Gefängniß von dem Vorraum abtrennen; wie zwei andere Thüren den Vorraum schließen, und eine fünfte die Pallisadenwand rings um das Gebäude. Er möge sehen, wie Tag und Nacht die Schildwachen auf ihrer Hut sind. Wenn er sich davon überzeugt hat, mag er mein Gefängniß visitiren lassen, die Schildwachen verdoppeln und dann befehlen, zu welcher Stunde morgen am hellen Tage ich mich außerhalb der Werke der Sternschanze, auf dem Glacis bei Kloster Bergen, in vollkommener Freiheit soll sehen lassen!“

„Wir reden irre, Trenck!“ sagte der Major kopfschüttelnd und wie sich zum Gehen wendend.

„Ich weiß, was ich sage, mein Herr Obristwachtmeister,“ fuhr der Gefangene fort. „Wozu ich mich anheischig mache, das führe ich auch aus. Dagegen aber, sagen Sie der Durchlaucht das, dagegen verlange ich von dem Herzoge, daß er, was ich gethan, dem Könige meldet und mir seine Protection bei dem Monarchen gewährt; der König mag aus meiner Handlungsweise abnehmen, daß ich ein reines Gewissen habe und verschmähe zu fliehen, obwohl es nur ein Leichtes ist, trotz aller seiner Gewaltmaßregeln!“

Der Major glaubte in der That, Trenck’s Prahlereien seien aus Irrsinn hervorgegangen, und nur das energische Drängen des Gefesselten bewog ihn endlich zu dem Versprechen, sich zum Herzoge begeben zu wollen.


(Schluß folgt.)
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 324. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_324.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)