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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Am Marmortischchen von Rübeland.
Von E. A. Roßmäsler.

Wenn kein anderer Unterhaltungsstoff mehr vorhalten will, die Natur bietet sich immer und überall als unversiechliche Quelle.

Im Café Parrot in Frankfurt a. M. haben die Tische marmorne Tischplatten. Darauf ist mir manche Tasse Kaffee kalt geworden, weil ich mich in der Entzifferung der zahllosen eingebackenen Versteinerungen vertieft hatte, während unten auf der Zeil die paulskirchlich und bundestäglich zwiegespaltene Stadt herumpromenirte. Doch waren auf jenen Marmorplatten die versteinerten Lebensformen eben so fragmentarisch und verworren untereinander gewürfelt, wie damals die politischen Zustände, oder noch besser: wie eben jetzt wieder. – Da lobe ich mir das Marmortischchen aus Rübeland, von dessen Platte[1] unser Holzschnitt eine Stelle mit vollkommener Treue wiedergibt. Dessen urweltliche Schriftzüge sind keine unleserlichen Hieroglyphen, sondern deutliche Illustrationen auf einem Blatte der Erdgeschichte.

Und doch mag vor manchem solchen Tische mancher Salon-Sterbliche sitzen und, indem er seinen Thee umrührt, nicht viel klüger auf die weißlichen Gestalten des Marmors schauen, als ein Kindlein auf die Sixtin’sche Madonna, und sich dabei vielleicht gründlich langweilen.

„Was sich der Wald erzählt,“ wissen wir; hören wir einmal, was uns ein Marmortischchen aus Rübeland zu erzählen weiß.

Marmor-Tischplatte.

Vor langer, langer Zeit – Ihr höchstens seit 15,000 Jahren auf’s Tapet gekommenen Menschenkinder macht Euch gar keinen Begriff von der Zeitlänge – krochen wir sonderbaren Schalthiere, deren Ueberreste Ihr hier vor Euch seht, auf des Meeres tief unterstem Grunde. Die paar überlebenden Abkömmlinge unseres einst großen und mächtigen Geschlechtes werden von Euren Naturgelehrten Kopffüßler genannt. Wenn darin ein Spott liegen soll, so geben wir ihn Euch zurück; denn Ihr geht ja selbst auf dem Kopfe und seht oft das Niederste als das Höchste und überhaupt Vieles verkehrt an.

Wir vorweltlichen Kopffüßler gehörten größtentheils zu der von Euch beneideten Classe der Hausbesitzer, nur mit dem Vorzuge, daß sich ein Jeder von uns, Vater, Mutter und Kinder und Kindeskinder, sein Haus selbst baute und also sicher sein konnte, daß es ihm bequem war und nicht über Nacht wieder einfiel. Da jeder Einzelne von uns sein eigenes Haus hat, so brauchte es bei unserer Genügsamkeit eigentlich auch nur ein einziges Gemach, und in Wahrheit ist es auch so. Aber wir werden immer größer, und darum muß auch unser Zimmer immer größer und weiter sein. Da sich nun das jedesmal bewohnte nicht wie Gummi Elasticum ausdehnen kann, so bauen wir von Zeit zu Zeit vor das verlassene ein neues weiteres Gemach und mauern die Thür zu dem alten bis auf eine kleine Oeffnung zu. Daß Euch dies eine komische Baukunst dünkt, läßt sich denken; aber es ist nun einmal so unsere Art. Dabei legten die Einen von uns dieses ihr Haus so an, daß der Anbau der neuen Kammern in gerader Linie stattfand, bei den Andern in einer Spirallinie. Doch das Letztere wißt Ihr ja von dem Nautilus her, einem der wenigen Unsrigen, der es in Euren gegenwärtigen Erdzuständen lebend noch aushalten kann. Von beiderlei Häusern, von geradlinigen, wie von solchen, welche eine Spirallinie bilden, seht ihr in dem Marmor der Tischplatte Beispiele genug, und Ihr werdet dann auch die Scheidewände sehen, welche allemal vor dem verlassenen Gemach angelegt wurden.

Ihr fragt, wie wir armen Thiere hierher in diesen Marmor gekommen sind? Das wollen wir Euch erzählen.

Allerdings mag es Euch Wunder nehmen, wie wir ehemaligen Seebewohner hierher auf die Höhen des Harzes in festen Marmorstein gekommen sind, von wo doch Euer nächstes Meer, die Nordsee, wohl an die dreißig Meilen weit entfernt sein mag. Wir sagen Euer Meer, denn Eure jetzigen Meere waren nicht unsere Meere. Wo Ihr jetzt zu unserer Ruhestätte hoch hinaufsteigen müßt, da hättet Ihr zu unseren Lebzeiten tief in’s Meer hinabtauchen müssen. Ihr übermüthigen Menschen seid alle miteinander blos Emporkömmlinge. Eure Länder, in denen Ihr Euch so breit macht, als müsse das ewig so gewesen sein und müsse ewig so bleiben, haben einst tiefen schlamm- und moderbedeckten Meeresgrund gebildet, der langsam emporstieg und allmählich zum Wohnplatz für Euer Leben im Trocknen tauglich wurde.

Wie das möglich gewesen sei, fragt Ihr? Ja, da fragt Eure Erdgeschichtsforscher, die sich eben jetzt darüber in den Haaren liegen, wie Ihr denn überhaupt selten einmal einen wissenschaftlichen Kampf ausfechten könnt, ohne dabei heftig und persönlich zu

  1. Das Original befindet sich in dem Besitz des Verlegers der Gartenlaube.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 325. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_325.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)