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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)


Wilhelmshöhe.
(Mit Abbildung.)

Wir hatten unsern Lesern für die Festtage einen Besuch in Wilhelmshöhe vorbereitet und freuen uns, ihnen in dem Holzschnitte, welchen wir heute geben, ein getreues Bild des Lustschlosses vorlegen zu können. Leider ist uns aber nicht gestattet, die Schilderung zu geben, welche das Bild begleiten sollte, da der mit der Abfassung betraute Autor das Manuscript nicht rechtzeitig geliefert hat. Indem wir daher den Abdruck des eigentlichen Textes unsern Lesern in einer der nächsten Nummern versprechen, beschränken wir uns heute darauf, die nothwendigsten Andeutungen zu geben, um der Veranschaulichung die Worte nicht ganz fehlen zu lassen. Viel über das Aeußere von Wilhelmshöhe zu sagen, hieße, bei seiner Berühmtheit, ohnehin Wasser in den Rhein tragen.

Das kurfürstlich hessische Lustschloß Wilhelmshöhe bei Kassel, der Sommeraufenthalt der regierenden Fürsten, ist durch seine Parkanlagen mit Wasserkünsten, in denen sich Natur und Kunst in reizender Harmonie verbinden, schon längst berühmt und deshalb das Reiseziel vieler, namentlich aber solcher Reisenden geworden, denen nur wenige Tage der Erholung gegönnt sind. Am Fuße des Hügels beginnen die Anlagen und erheben sich bis zum Gipfel des Habichtwaldes, von wo sie eine entzückende Aussicht in das Fulda-Thal bieten. Unter dem südwestlichen Flügel des Schlosses öffnet sich ein tiefes Thal, durch welches über Felsen schäumend ein Bach stürzt, der sich in einen romantisch gelegenen See ergießt. Ueber dem See liegt das chinesische Dorf Mulang, weiter westlich am Berge die Löwenburg. Auf der Höhe erblicken wir das Riesenschloß, unter welchem sich die Wasserbehälter für die Cascaden befinden, die sich in einer Länge von 600 und in einer Breite von 40 Fuß den Berg hinabziehen. Auf der Plateforme ragt die beinahe 100 Fuß hohe Pyramide hervor, worauf eine 31 Fuß hohe, aus Kupfer getriebene Nachbildung des Farnese’schen Herkules (in Hessen der große Christoph genannt) steht, in dessen Keule acht bis zehn Personen Platz finden und durch eine Fensteröffnung die köstlichste Aussicht genießen. Die übrigen romantischen Wasserwerke: der Steinhöfer’sche Wasserfall, der Wasserfall an der Teufelsbrücke, der Aquäduct, von welchem die 190 Fuß hoch steigende Fontaine gespeist wird, und der neue Wasserfall verleihen dem schönen Bilde jenen Naturreiz, mit dem sich sonst die Mutter Erde nur selbst ausstattet.

Die Geschichte des Schlosses und Näheres über den Park und die Anlagen gedenken wir in dem Hauptartikel zu bringen.




Garnison- und Parade-Bilder.
Nr. 4. Die Militairprüfung.

An einem köstlichen Septembermorgen zogen zwanzig junge Leute, die sämmtlichen Avantageure der zweiten Abtheilung siebenter Artillerie-Brigade, von Düsseldorf aus der fernen Hauptstadt Westphalens, dem frommen Münster zu, wo wir eines Mittwochs in soldatischer Haltung einrückten. Der älteste Camerad meldete unser Eintreffen dem Präses der Examinations-Commission, Hauptmann Mühler, und brachte uns mit den Quartierbillets den Befehl, um 4 Uhr des Nachmittags auf dem Schloßplatze zum Appell zu erscheinen. Die Anwesenheit des „Alten“, wie der Oberst v. Tuchsen[1] in cameradschaftlichen Kreisen allgemein genannt wurde, war in bestimmte Aussicht gestellt, und darum wurde uns Pünktlichkeit und Propreté dringend zur Pflicht gemacht.

Mit dem vierten Glockenschlage dieses Nachmittages traten wir, wie befohlen, auf dem geräumigen Schloßplatze zusammen. Der Feldwebel der Compagnie, welcher wir für die Dauer des Tentamens attachirt waren, stellte uns auf. Mit den Aspiranten der ersten Abtheilung standen zweiundvierzig junge Männer in der Front, von denen ein Jeder den Marschallsstab in der Tasche zu tragen meinte.

Der schon genannte Hauptmann Mühler, dem der Ruf ungemeiner Gutmüthigkeit voranging, erschien gleich darauf vor unseren Reihen. Die äußere Erscheinung des Capitains imponirte sehr wenig. Es fehlte dem schon bejahrten Officier jenes soldatische Exterieur, welches ganz von selbst Respect und unbedingten Gehorsam fordert. Es ist dies rein persönlich, hat mit der Officier-Uniform nichts zu thun, und muß noch zu erkennen sein, wenn der Mann im Schlafrocke steckt. Der Hauptmann Mühler trug eine auffallend unsichere, sorgsam um sich spürende Persönlichkeit zur Schau. Er war ein kleiner, gebeugter Mann mit dünnem Haar und schwachen, vertrockneten Beinen, die unmittelbar bis zu dem schmalen Brustkasten hinaufzureichen schienen. Sein Gesicht trug das Gepräge großer Gutmüthigkeit und war schön und geistreich, so lange es unbeweglich blieb. Setzte aber irgend eine Gemüthsbewegung die Linien desselben in Bewegung, so spiegelte sich die Unselbständigkeit und Furchtsamkeit seines Charakters darauf mit großer Treue ab. Man sagte von ihm, daß er sich lieber mit dem Tacitus, Plutarch oder irgend einem mathematischen Problem, als mit dem Dienst-Reglement beschäftige. Die Künste und Wissenschaften sollte er mäcenatisch beschützen. Der kleine Mann machte unwillkürlich den Eindruck eines hinter seinen Folianten verkümmerten Gelehrten, den man gegen seinen Willen in die Uniform gesteckt hatte. Der Oberst nannte ihn den „beepauletteten Professor“, sollte aber mit seiner dienstwidrigen Nonchalance ungewöhnliche Nachsicht haben, wofür der Hauptmann dem Alten die dankbarste Unterwürfigkeit entgegentrug.

Nach der freundlichsten Begrüßung machte uns der Capitain die Mittheilung, daß der Herr Oberst verhindert sei, uns heute zu besichtigen, daß derselbe aber während der ganzen Dauer des Tentamens in dem Locale, wo die Prüfung stattfinden sollte, anwesend sein werde, weshalb er uns bitten müsse, die größte Sorglichkeit auf unsern Anzug und unser dienstliches Benehmen zu verwenden. Er gab zu verstehen, daß wir an seinem guten Willen, uns leicht über die schweren Stunden der nächsten Tage zu helfen, nicht zweifeln möchten, und sprach uns mit herzgewinnender Güte Muth und Vertrauen ein. Hierauf theilte er die festgestellten Prüfungs-Specialitäten mit und empfahl sich.

Wir sollten soeben entlassen werden, als ein Officier vor unserer Front erschien, den die Cameraden der ersten Abtheilung als den Examinator in der Mathematik, Lieutenant v. Radel, bezeichneten. Es war eine leichte anmuthige Gestalt, die durch die ungemein saubere Uniform noch besonders gehoben wurde. Die Formen des Gesichts waren classisch schön, edel und geistreich. Der Teint, zart bis zur Durchsichtigkeit, war schattirt durch die scharfen Linien, mit welchen die Göttin mit magischem Gürtel das Antlitz der eifrigsten und liebenswürdigsten ihrer Priester zu kennzeichnen pflegt. Der Ruf bezeichnete ihn als einen geweihten Diener der Venus Amathusia.

Der Officier ließ zum Kreise schwenken, und nachdem er einige Augenblicke die ihn Umgebenden mit sichtbarem Wohlgefallen gemustert hatte, sagte er: „Meine Herren, ich werde das Vergnügen haben, Sie in der Mathematik zu prüfen. Ich bin im Voraus überzeugt, daß Sie in dieser von unserer Waffe so hochverehrten Wissenschaft gute Kenntnisse gesammelt haben, ich weiß aber auch, daß Aengstlichkeit und furchtsame Unterschätzung des eigenen Talents gar oft die Ursache sind, daß bei öffentlichen Prüfungen gerade die Begabtesten am wenigsten leisten. In Ihrem eigenen Interesse bitte ich Sie deshalb, sich jeder Furcht zu entäußern und meine Fragen bei der mündlichen Prüfung sicher und rasch zu beantworten. Seien Sie versichert, daß es mir gelingen wird, aus jeder Antwort etwas herauszuhören, wodurch sich die Prüfungs-Commission für befriedigt halten soll. Wenn der Herr Oberst, in seiner bekannten Weise, an Ihre Antworten seine freilich etwas derb-humoristischen Bemerkungen knüpfen sollte, so lassen Sie sich

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 331. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_331.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)
  1. Wie wir unsern Lesern bereits in Nr. 45 des letzten Jahrgangs mittheilten, derselbe Oberst v. Tuchsen, welchen Hackländer in seinen Soldatenbildern so anziehend schildert.  D. Red.