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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Schon hatte man diesen erreicht, als aus einer Seitengasse der Major du jour herangesprengt kam. Er sah sich plötzlich von allen Seiten umringt und umdrängt. Frohn eilte auf ihn zu.

„Herr Oberstwachtmeister,“ schrie er ihm entgegen, „ich bitte um Ihren Degen und Ihr Pferd!“

Der Officier starrte ihn an, als ob er vor Ueberraschung seine Sinne verloren habe – zwanzig kräftige Fäuste hatten ihm im nächsten Augenblick das Absteigen erleichtert und den Degen entwunden. Frohn schwang sich in den leergewordenen Sattel und ritt seinem Gewalthaufen vor.

Auf dem Marktplatz Hürde aus allen Kräften der Generalmarsch geschlagen. Soldaten der Besatzung liefen mit ihren Musketen herbei, der Hauptwache zu. Die Mannschaft war aufgestellt und lud eben die Gewehre. An den zu beiden Seiten aufgefahrenen Regimentsgeschützen waren Kanoniere beschäftigt.

Frohn rückte vor. Seine Truppe erfüllte bald die ganze eine Seite des Marktplatzes.

„Herr Oberstwachtmeister,“ wandte er sich an den gefangenen Officier, „hier kann ich Sie als Parlamentair gebrauchen. Stellen Sie dem Officier auf der Wache vor, daß er über kaum fünfzig Mann zu gebieten hat und ich über mehr als hundert, die mit Musketen und Munition versehen sind, und ein paar Tausend, die Knittel, Stangen, Wagenhölzer und andere Waffen führen. Ich werde sofort die Hauptwache umringen lassen und Keinem Pardon geben, wenn der Lieutenant seine Leute nicht augenblicklich die Waffen strecken läßt. Auch werde ich den Tambour niederschießen lassen, wenn er noch einen Schlag auf sein Kalbfell führt. Wenn die Leute die Waffen gestreckt haben, können sie sich zerstreuen und in ihre Quartiere oder in ihre Heimath begeben. Es wird ihnen nichts geschehen, bei meinem Wort!“

Der Oberstwachtmeister übernahm den Auftrag und näherte sich der Wache, indem er dem Tambour winkte, mit seinem Trommeln einzuhalten. Frohn ließ seine Leute aufmarschiren, sodaß sie eine Fronte, so breit wie der Platz es erlaubte, bildeten.

Der Major du jour sprach jetzt mit dem wachhabenden Officier. Es war ein lebhaftes Hin und Wider – der Officier schien anderer Ansicht als der Major – da trat ein Ereigniß ein, welches ihn schnell umstimmte. Von jenseits des Platzes donnerte ein lautes: „Vivat die Kaiserin!“ und eine Colonne, wenigstens fünfzehnhundert Mann stark, marschirte aus einer auf den Marktplatz mündenden Straße auf, dem Haufen Frohns gerade gegenüber; die beiden Truppen begrüßten sich mit dem Schwenken ihrer Mützen und donnerndem Jauchzen.

Dem Officier von der Wache mußte jeder Gedanke an Widerstand schwinden. Er befahl seinen Leuten, die Gewehre zusammenzustellen. Frohn sprengte hinzu.

„Auch die Patrontaschen und die Seitengewehre lassen Sie ablegen!“ rief er herrisch dem Lieutenant zu. Dieser wendete ihm zähneknirschend den Rücken, brach seinen Degen mit dem Fuße entzwei und warf die Stücke vor die Hufe von Frohns Pferd.

Der Letztere ließ ihn ruhig abziehen, während die Wachmannschaft seine Befehle vollzog. Er ließ dann die Waffen von Leuten der eben angekommenen Colonne aufnehmen, durch diese die Wache besetzen, sandte ein starkes Detachement nach dem Brückthore, um zu recognosciren, ob dieses von der Abtheilung der Gefangenen, die früher die Anweisung dazu bekommen, besetzt sei, und versammelte nun die Officiere der Truppen zu einem Kriegsrath um sich. Sie umringten ihn inmitten des Marktplatzes in dichter Gruppe, und diese verstärkte sich in jedem Augenblicke durch diejenigen Officiere, welche ihr Ehrenwort gegeben hatten, nicht fliehen zu wollen, und deshalb frei in der Stadt wohnten, jetzt aber alarmirt von allen Seiten herbei eilten.

Die Meldung, daß das Brückthor besetzt sei, wurde gebracht.

„Dann, meine Herren,“ rief Frohn über die Menge fort, „dann, meine Herren, ist Magdeburg unser! Nur unsere Cameraden von der Citadelle scheinen ihre Aufgabe nicht gelöst zu haben – ich höre dort drüben immer noch den Generalmarsch schlagen. Wir werden ihnen zu Hülfe kommen müssen – die Citadelle wird uns Allen Waffen liefern, denn dort ist das Zeughaus!“

Er gab dann mehreren der Officiere Befehle, mit denen sie zu den Leuten eilten, deren Casematten sie getheilt hatten, ordnete die frei gebliebenen Officiere einzelnen Abtheilungen zu, sprengte von dem einen Haufen zum andern, und so gelang es ihm bald, seine ganze Mannschaft in vier starke Bataillone zu theilen, deren jedes eines der gewonnenen Regimentsgeschütze erhielt. Die mit Musketen Bewaffneten bildeten die vordersten Glieder.

Eine halbe Stunde später marschirte diese Kriegsmacht der Elbbrücke zu. Frohn ritt ihr vorauf über die Brücke. Zu seiner Seite ging der preußische Major du jour, den er bei sich behalten hatte, um ihn als Parlamentair zu gebrauchen. Vor der Citadelle angekommen, sah er bald, daß in Beziehung auf diese sein Anschlag mißglückt sei. Das Thor war verschlossen, die Zugbrücken waren aufgezogen, auf den Wällen waren Artilleristen neben den Wallgeschützen mit brennenden Lunten bereit, die Feinde zu empfangen.

Frohn sandte sofort seinen Parlamentair vor, um die Citadelle am Feuern zu verhindern. Der Major eilte, ein weißes Tuch schwenkend, an das Thor und rief die Wache oben auf der Plattform desselben an. Nach etwa fünf Minuten Harrens erschien ein Stabsofficier an der Brüstung. Die Unterredung währte ziemlich lange. Frohn sprengte ungeduldig über das Glacis, um daran Theil zu nehmen.

„Mit wem hab’ ich die Ehre?“ fragte der Stabsofficier von der Plattform herunter.

„Ich bin der kaiserlich königliche Oberlieutenant von Frohn, Chef der Truppen, welche in diesem Augenblick die Festung Magdeburg im Namen ihrer Kaiserin in Besitz genommen haben.“

„Davon ist mir, dem königlich preußischen Oberst Reichmann, Commandanten der Citadelle und Stadt Magdeburg, nichts bekannt,“ rief der Officier zurück; „das meuterische Gesindel, welches dort aus der Stadt hervordringen zu wollen scheint, werde ich sogleich niederkartätschen lassen! … “

„Sie verkennen Ihre Lage, mein Herr Oberst,“ antwortete Frohn kühl – „die Stadt und die Sternschanze sind in unserer Hand, und bei der geringen Garnison der Citadelle wäre es sehr thöricht von Ihnen, dieselbe vertheidigen zu wollen. Die Gefangenen in derselben …“

„Haben allerdings ausbrechen wollen,“ schrie der Oberst zurück, „wir haben sie aber bereits zur Raison gebracht und völlig unschädlich gemacht, darauf verlassen Sie sich!“

„Wenn Sie die Citadelle nicht sofort auf Gnade und Ungnade ergeben,“ rief Frohn zur Antwort, „so lasse ich alle Geschütze zusammenfahren und damit vom Fürstenwall herunter Bresche in Ihre Citadelle schießen; dann lasse ich stürmen und Alles massacriren, was darin ist.“

„Versuchen Sie es,“ entgegnete der Oberst.

„Auf Ihren Kopf kommen die Folgen,“ versetzte Frohn. „Ich werde meine Leute nicht abhalten können, die Stadt zu plündern …“

„Daran kann ich Sie nicht hindern. Thun Sie, was Sie verantworten zu können glauben. Ich werde meine Schuldigkeit thun.“ Mit diesen Worten zog sich der Oberst zurück.

Frohn begab sich zu den Seinen zurück. Er befahl zunächst, die Mannschaften in den Straßen gedeckte Aufstellungen nehmen zu lassen. Dann wurde abermals Kriegsrath gehalten. Frohn war entschieden für einen Angriff auf die Citadelle. Er glaubte, daß ein Sturm, ohne Weiteres unternommen, glücken müsse. Sollte er mißlingen, so konnte die Citadelle einem Feuer aus den ihre Flanken bestreichenden Geschützen der übrigen Festungswerke, namentlich des Fürstenwalls, nicht vierundzwanzig Stunden lang widerstehen. Dann war man Meister der Hauptfestung des Reiches, ihren Zeughauses, ihrer unermeßlichen Vorräthe – es war ein Gewinn, der dem ganzen Kriege eine andere Richtung geben konnte!

Aber Frohn wurde überstimmt. Die Stabsofficiere, ein Paar alte Generalmajore, die unter den Gefangenen waren, bemächtigten sich bald des Wortes und der Leitung der Debatten – Frohn sah, daß man ihm, dem jungen Oberlieutenant, nicht lange die Anführerschaft lassen werde; daß der Geist, der sich unter seinen Cameraden geltend machte, ihn sehr bald zwingen werde, seinen jungen Oberbefehl der verjährten Autorität Seiner Excellenz des kaiserlich königlich österreichischen Feldmarschall-Lieutenants Zopf zu überlassen. Die Meinungen neigten sich entschieden einer Capitulation über eine friedliche Auseinandersetzung zu.

Den Bedingungen derselben wurden denn endlich in einem der nächsten ansehnlichen Bürgerhäuser schriftlich aufgesetzt, sie lauteten:

„Der Gouverneur von Magdeburg läßt sofort sämmtliche noch in der Citadelle befindlichen kaiserlich königlichen Kriegsgefangenen in Freiheit setzen.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 340. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_340.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)