Seite:Die Gartenlaube (1860) 344.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Fingerfertigkeit, durch die sich die Menge verblenden ließe; aber es fehle ihm an aller Wärme, und zu singen verstände seine Violine nicht.“ Paganini erfuhr diese Aeußerung und ließ die Sängerin fragen: „ob sie es auf einen öffentlichen Wettstreit ankommen lassen wolle; er wäre jeden Augenblick dazu bereit.“ Marie Malibran hatte darauf eine hochmüthig abweisende Antwort gegeben, konnte sich aber nicht verbergen, daß sie durch ihre unvorsichtige Aeußerung nur sich selber geschadet hatte.

Eingeschüchtert durch diese Erfahrung, beschloß die Malibran, Wilhelmine Schröder-Devrient mit andern Waffen zu bekämpfen, als mit Worten. Als die erste Aufregung vorüber war, sagte sie sich zum Trost, oder ließ sich von ihren Freunden einreden, daß Wilhelmine ihren Triumph nur der hervorragenden Rolle zu verdanken hätte, daß sie aber nicht im Stande sein würde, sich neben der berühmten italienischen Sängerin zu behaupten. Auf diese Ueberzeugung baute die Eifersüchtige ihren Racheplan.

Ihr Benefiz sollte in den nächsten Tagen stattfinden. Sie wählte dazu Rossini’s Othello und behielt sich selbst die Titelrolle vor, während die Partie der Desdemona Wilhelmine Schröder-Devrient übertragen wurde. Auf diese Weise wollte sie zugleich die Unerschöpflichkeit des eigenen Talentes durch eine ganz neue Kunstschöpfung in’s hellste Licht stellen und die ungetreuen Pariser überzeugen, daß die Desdemona der Malibran von keiner anderen Sängerin erreicht werden könnte.

Sie hatte sich verrechnet! Wilhelminens Desdemona war allerdings eine ganz andere, als die der spanisch-italienischen Künstlerin, aber sie war nicht minder wahr und schön, und das träumerisch Innige, das die deutsche Frau der Shakespeare’schen Desdemona abgelauscht hatte und das sie, trotz aller Leidenschaft des Ausdrucks, immer wieder anklingen ließ, verlieh ihrer Schöpfung einen unwiderstehlichen Reiz. Die Malibran dagegen erschien als Othello so unvortheilhaft als möglich; ihre zarte Gestalt, die im Männerkleide und neben Wilhelminens üppiger Schönheit fast dürftig erschien, paßte schlecht zu der gewaltigen Leidenschaft des Mohren, und die wunderbare Grazie, die der Künstlerin sonst eigen war, ging in den Uebertreibungen verloren, durch welche sie in dieser Rolle die Manneskraft zu ersetzen suchte. Ihr Augenrollen, Stampfen, Kopfschütteln, das Verzerren der feinen Lippen, das Ballen der kleinen Hände machte einen beinah komischen Eindruck, und sie hatte es nur der entschiedenen Vorliebe des Publicums, der Erinnerung an ihre anderen Leistungen zu verdanken, daß man sie nicht für ihren Mißgriff strafte. Ihre Freunde bemühten sich sogar, dem Beifall, den Wilhelme Schröder-Devrient erntete, das Gegengewicht zu halten – aber Marie Malibran war eine viel zu geistreiche Frau, um nicht zu verstehen, daß sie trotz dieses scheinbaren Erfolges eine Niederlage erlitt. Ihre Verzweiflung, ihre Wuth stieg von Scene zu Scene und beraubte sie endlich so ganz der Besinnung, daß sie zuletzt die todte Desdemona zu dicht an die vordere Lampenreihe schleppte und ihren Kopf so niederlegte, daß ihr der niedersinkende Vorhang unbedingt das Gesicht zerschlagen mußte. Glücklicherweise sah der Maschinist die Gefahr und ließ den Vorhang nicht nieder. Das Publicum, das erst applaudirt und herausgerufen hatte, stutzte, wunderte sich, wurde ungeduldig und rief, des Anblicks der Leiche müde: „à bas le rideau!“ Wilhelmine lag in Todesangst, unverwandt zwischen den vorsichtig geöffneten Lidern zu dem drohenden Vorhang emporstarrend. Plötzlich war es ihr, als sänke er tiefer und tiefer – sie ertrug die Angst nicht mehr und schob den Kopf so vorsichtig als möglich zur Seite. Aber das Publicum hatte die Bewegung gesehen und mißverstanden – man glaubte allgemein, Desdemona wolle sich überzeugen, ob Othello, bei dieser hartnäckigen Unbeweglichkeit des Vorhangs, seine Rolle als Todter noch immer fortspiele. Ein schallendes Gelächter brach los, während der Vorhang nun wirklich niedersank. Hatte Frau Malibran – wie Viele behaupten – ihren Fehler absichtlich begangen, so hatte sie erreicht, was sie bezweckte. Der Effect der Vorstellung war vollständig gestört. Sich in einen Wettstreit mit Wilhelmine Schröder-Devrient einzulassen, hat die Künstlerin aber nicht mehr unternommen. Ueberhaupt trat sie damals nur noch ein paar Mal in der Pariser italienischen Oper auf und ging im Januar 1832 nach Italien, wo sie sich mit dem Violinspieler Beriot vermählte.

Wilhelmine hat der Malibran trotz dieser Feindseligkeiten allezeit die begeistertste Anerkennung gezollt, und ihren frühen Tod – Marie Malibran starb in Manchester am 26. Septbr. 1836 – hat vielleicht keine ihrer Kunstgenossinnen so aufrichtig beweint, wie die von ihr gehaßte und verfolgte Schröder-Devrient.

In Paris blieb Wilhelmine, auch nach der Entfernung ihrer Hauptrivalin, von feindseligen Elementen umgeben. Spontini kam an die italienische Oper und benutzte hier, wie in Berlin, seinen ganzen Einfluß gegen die Künstlerin. Er vermochte die Pasta zurückzukehren und setzte es durch, daß ihr fast alle bedeutenderen Rollen übertragen wurden. Wilhelmine sah sich zu einer Unthätigkeit verurtheilt, die dieser strebsamen Natur im höchsten Grade peinlich war. So oft sie sang, erntete sie enthusiastischen Beifall, aber ihr Repertoir blieb auf wenige Stücke beschränkt, und so kam die Vielseitigkeit ihres Talentes nicht zur Geltung.

Obwohl sich Wilhelmine in diesen Verhältnissen sehr unbehaglich fühlte und mit sehnsüchtiger Ungeduld dem Ende ihres Engagements entgegensah, verkannte sie nicht, von welcher Bedeutung dies Zusammenwirken mit den besten Sängern der Zeit für ihre künstlerische Entwickelung war. Wie sie immer bereit war, das Gute anzuerkennen, war sie es auch, zu lernen und an sich selbst zu arbeiten. Rubini, die Pasta, die Malibran waren ihr Vorbilder im Gesang, denen zu folgen sie sich eifrig bestrebte – ein Streben, das der beste Erfolg belohnt hat.

Aber auch nach außen hin, für die Verbreitung ihres Ruhmes, war ihr das Engagement bei den Italienern von Nutzen. Monk-Mason, Director der deutsch-italienischen Oper in London, trat mit ihr in Unterhandlungen, und am 3. März 1832 wurde der Contract geschlossen, der sie für die Saison desselben Jahres (Mai und Juni) engagirte. Monk-Mason versprach ihr für die zwei Monate die Summe von 20,000 Francs und bewilligte ihr außerdem eine Benefizvorstellung, die im Mai oder Juni stattfinden sollte. Sie mußte sich dagegen verpflichten, monatlich wenigstens zehn Mal zu singen und während der Dauer ihres Engagements auf keiner andern englischen Bühne aufzutreten. In Concerten und Privatgesellschaften zu singen, stand ihr frei.

Als Imogene in Bellini’s Oper „il pirato“ nahm sie Abschied von Paris – sie hat seitdem keine französische Bühne wieder betreten. Das Haus war überfüllt bei dieser Vorstellung – obwohl es die achte Wiederholung des Piraten war – der Applaus überstieg alle Grenzen. Mit Blumen und Lorbeeren beladen kam Wilhelmine in ihre Wohnung zurück.

Am folgenden Tage war in vielen Zeitungen ein Nachruf an die Scheidende zu lesen. In einem dieser Blätter heißt es: „Frau Schröder-Devrient hat in einer Weise von uns Abschied genommen, die sie uns ewig unvergeßlich machen wird. Wie hat sie die Angst der Mutter dargestellt, als Gualtiero droht, ihr Kind zu tödten; wie leidenschaftlich und doch wie maßvoll ist ihr Entzücken, als ihr der Pirat den Sohn zurückgibt! In dem großen Duett mit Rubini hat sie Alles übertroffen, was wir je gehört haben. – Gewiß, diese Frau steht als Künstlerin neben den größten Sängerinnen aller Zeiten – ihre Bescheidenheit aber hebt sie über alle Andern empor.“




Aus der Vogelwelt.
Von Dr. A. H.
I. Wie die Vöglein Hochzeit machen.

Die Vögelein im grünen Wald,
Die wollten machen Hochzeit bald.
 Volkslied.

Georges Sand sagt unter Anderen in ihrer Histoire de vie: „Der Vogel ist, was der Künstler unter den Menschen,“ und ich kenne keine größere auf diesen Punkt bezügliche Wahrheit, mit weniger Worten ausgesprochen. Es ist in der That so. Der Vogel ist eine künstlerische Natur durch und durch, aller ihrer Flatterhaftigkeit, aller ihrer liebenswürdigen Launen, aller ihrer genialen Productivität und aller ihrer Grazie voll. Eine solche ist indessen immer schwer zu verstehen. Sie will mit

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 344. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_344.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)