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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

zu hören vermeint, wie ihm die Brust vor Wonne und Wehmuth springe. Drüben im Dorfe haben sich alle Thüren längst geschlossen. Einzelne trübe erleuchtete Fenster, hinter denen der Schmerz der Krankheit sich ruhelos auf dem Lager wälzen mag, bohren sich noch in das Dunkel hinein. Hin und wieder bellt ein Hund kurz auf. Die Dorfstraße ist öde und still, nur der Wind treibt kräuselnd ein Paar Halme daher. Vom andern Ende hat der Nachtwächter bereits sein Sprüchlein hergesungen, und selbst das leise Rauschen des Windes ist verweht. Da hebt die Nachtigall von Neuem an. O, wer sie so niemals gehört, der kennt ihr Lied gar nicht. Ihm darf nicht einmal der Mond leuchten, damit es mit seinen Schwingen, die gewaltiger als die des Adlers, um das in Duft und Dunkelheit beklommene Herz sich schlage, so schauerlich und süß, wie die Natur selber, in der Tod und Leben ja so eng an einander liegen.

Aber die Hähne krähen schon einzeln, und die Haidelerche am Waldrande ist hoch in die Luft dem jungen Tage entgegengeflogen, der wieder kommt, seine Sonne bis zum nächsten Abende leuchten zu lassen über der Vöglein Lieben und Leben.




II. Wie die Vöglein ihre Brut erziehen.

Und wenn der Tag geschieden,
Dann eilen wir zufrieden
Zurück zu unsrer Mutter Schooß.
Das ist das Loos
Der kleinen bunten Sänger,
Je länger
Je lieber süßes Loos!
 Ernst Schulze.


Du hast gewiß schon einmal ein aus dem Neste gefallenes Vöglein gefunden, lieber Leser. Ist Dir nun da nicht der große Unterschied zwischen einem solchen und den auf dem Hofe umherlaufenden Küchlein oder jungen Entlein aufgefallen? Gewiß. Du wirst die richtige Bemerkung gemacht haben, daß das erstere der beiden jungen Vögelchen von den Eltern eine geraume Zeit noch gefüttert wird, ehe es flugbar das Nest verlassen kann, während die Küchlein oft mit der halben Schale auf dem Rücken in die Welt hineinlaufen, und emsig scharrend und umherspähend selbst ihr täglich Brod verdienen. Es wird Dir ferner aufgefallen sein, daß das junge Schwälbchen oder Spätzlein fast noch ganz nackt war, als Du es in die Hand nahmst, hin und wieder nur mit etwas spärlichem weißen Flaume bedeckt, während die Entlein oder Küchlein einen dichten gelben oder grünlichen Pelz trugen, der, verbunden mit der Wärme unter den Flügeln der Mutter, vor Nässe und Kälte hinreichend schützte. Dergleichen Brut, wie die der Schwalben und Spatzen, und andererseits wie die der Hühner und Enten, gibt es nun mehr, und diejenigen, welche ihre früheste Jugend nach der ersteren Art verleben, nennt man mit einem Worte Nesthocker (Insessores), während die letzteren Nestflüchter (Autoplagi) heißen.

Uebrigens macht hier die Natur durch Uebergänge öfter Ausnahmen von ihrer eigenen Regel, wo sie es zu ihren Zwecken gerade braucht, und so finden wir mitten unter den Nesthockern das vollständige Dunenkleid der Nestflüchter (z. B. bei den Raubvögeln) und unter diesen wieder das lange im Neste Verweilen der ersteren (z. B. bei den Reihern, Scharben [Halieus]). Milch haben die Vögel nicht, um mit diesem Nahrungsmittel ihre Jungen aufzuziehen. Es muß daher irgend etwas vorhanden sein, was diese Stelle vertreten kann. Das sind denn vor allen Dingen die Insekten. Nestflüchter daher, wie Nesthocker können im Ganzen und Großen dieselben als erstes Futter durchaus nicht entbehren, und diejenigen Küchlein unserer Höfe, welche ab und zu eine Spinne oder einen Regenwurm (wenn auch beides gerade keine Insecten, so doch als Nahrungsmittel diesen sehr ähnlich) erwischen können, gerathen immer besser, als wenn sie nur Vegetabilien vorgeworfen erhalten. Wo Nesthocker indessen niemals Insecten füttern, wie die Tauben es thun, da bereiten die Alten in ihrem Kropfe aus den Körnern schon vorher einen milchähnlichen, leicht verdaulichen Brei, der mit zunehmendem Wachsthum der Jungen auch derber und kräftiger wird, und sich bei deren Flugbarkeit schon nicht mehr von den um diese Zeit fast reifen Sämereien der Leguminosen, der Cruciferen und Euphorbien unterscheidet, welche hauptsächlich die Nahrung unserer wilden Tauben ausmachen.

Der Schauplatz des Lebens der Nesthocker ist nun, wie dies wohl leicht einzusehen, hauptsächlich Wald und Busch, während den Nestflüchtern das Feld, die Wiesen und die Ufer der Gewässer angewiesen sind. Alles, was unter’m grünen Laubdache zwitschert und singt, hat im Moose, zwischen Baumwurzeln, im hohlen Stamme oder in den Zweigen bis zum Gipfel hinauf sein Nestchen an irgend einer verborgenen Stelle, die meistentheils mit wunderbarer Präcision ausfindig gemacht worden ist, da ja hierin der ganze Schutz des ersteren besteht. Ueberall steckt denn so eine kleine Räuberhöhle mit mindestens vier unersättlichen Rachen, denen fortwährend gefangene Insecten zugeschleppt werden, um in diesen Schlünden spurlos zu verschwinden. Ein Schnäbelchen voll ist auf einmal nicht viel, aber es wird viel durch die Zahl der Angreifer und die Dauer, in welcher der Krieg geführt wird. Es wäre in der That sehr gefährlich, hier durch eine Schwächung der dem Menschen freundlichen Partei ein Uebergewicht auf der entgegengesetzten Seite hervorzurufen. Indessen taugen die luftigen Schwingenträger nur für das Tirailleurgefecht, und ein Kampf in geschlossenen Reihen sagt ihrer Natur nicht zu. Wenn daher aus Mangel an vernichtenden Schnäbeln oder aus irgend welchen anderen geheimen Ursachen ein Ueberfluthen lebendigen Stoffes, wie Buffon es nennt, stattfindet, wenn der Fraß etwa des Maikäfers, der Nonne (Liparis Monacha), des Schwammspinners (L. dispar) oder der Processionsraupen (Gastropacha processionea und G. pinivora) überhand nimmt: dann fliehen die Vögel die kahl zerfressenen Orte, anderen Mächten den Streit überlassend, den sie selber jetzt nicht mehr zu bestehen vermögen. Der lichte Wipfel kann ihre Nester nicht mehr verbergen, und in Massen verzehren nur sehr wenige Vogelarten die haarigen Raupen oder die großen Käfer. Spanner (Geometra) und Wickler (Tortrix), sowie die glatten After-Raupen der Blattwespen (Tenthredo) sind ihre Lieblingsspeise, und diese Thiere müssen ebenfalls vorkommen, da der Hunger der Vögel mit dem hurtigen und wie durch eine innere Angst beschleunigten Fraße des heraufgezogenen Heeres doch nicht gleichen Schritt halten kann.

Doch kehren wir zu den Vögeln und ihren Nestern zurück. Es ist eine eigene, sorgsame Wirthschaft bei diesen Thieren, die, hinsichtlich ihres lockeren Federkleides, das nur durch dichte Ueberdachung und Anschließung der einzelnen Theile über und neben einander seinen Zweck der Erwärmung des Körpers erreichen und besonders die Möglichkeit des Fluges verschaffen kann, auf die exacteste Reinlichkeit angewiesen sind. Mögen Specht und Meise noch so tief durch ihr gemeißeltes oder sonstwie entstandenes Loch in den gehöhlten Baumstamm hineingegangen sein, immer werden ihre Jungen reinlich gebettet liegen. Jedes Krümchen Koth trägt die Mutter mit dem Schnabel zum Flugloche hinaus. Wenn der Wiedehopf, der durch seine Stänkereien zum Sprüchwort geworden ist, hierbei eine Ausnahme macht, so ist der Grund davon wohl hauptsächlich in dem langen, dünnen Schnabel desselben zu suchen, der, schwach außerdem noch an der Spitze, ein Herumsuchen in der Bruthöhle nicht gestatten würde. Daß übrigens die jungen Wiedehopfe nur kurze Zeit, nachdem sie flugbar geworden, sowie die Alten nur während des Brütens und der Jungenpflege auf eine so mephitische Weise parfümirt sind, kann auf das Bestimmteste versichert werden. Bei den Vögeln, welche nicht in Höhlen brüten, ist das Hinaustragen des Kothes nicht weiter nöthig, indem hier die Jungen selber für Entfernung desselben sorgen, welches Geschäft manche äußerst komische Position zur Folge hat. Aber selbst bei denjenigen Nesthockern, welche auf der Erde bauen, findet man keinen Wall von Excrementen um die Wohnung her, indem auch hier der größte Theil derselben von der sorgsamen Mutter entfernt wird, der der Instinct sagt, daß in verdorbener Luft keine Jungen gesund und fröhlich aufwachsen können. O, warum besitzen so viele Weiber (nicht Weibchen!) unserer eigenen, ebenfalls nesthockenden Species nicht denselben Instinct? –

Sind die Federstoppeln größer und größer geworden, haben sich die Flügelchen ein wenig entfaltet, und ist das Schwänzchen bereits einige Linien lang, so richtet sich schon hin und wieder einer der kleinen Insassen der Nester keck über seine Nachbar- und Brüderschaft auf, langsam gähnend und das Flügelchen reckend, als fange es ihm bereits an, gar sehr langweilig zu werden. Die Jungen der Raubvögel zerreißen in diesem Stadium schon selbst die ihnen vorgeworfene Beute. Endlich ist die Brut flugbar geworden. Das stärkste erhebt sich eines schönen Vormittags zuerst auf den Rand des Nestes, reckt noch einmal die Flügel, setzt zum Sprunge an und flattert hinüber zu dem kaum mehr als

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 346. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_346.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)