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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Gesträuchen des Gartens von Achselmannstein. Auch auf der Straße wird es lebendig. Vom Thore her rollt der Stellwagen, überfüllt mit Frühaufgestandenen, die beim Bothenwirthe eingestiegen und gottvergnügt in den jungen Tag hineinfahren, nach Anger, nach Salzburg, nach Hellbrunn, Gott weiß, wohin.

Da blitzt es himmlisch im Morgen. Die ersten Strahlen der Sonne zittern golden über das Thal, alle Matten mit Diamanten und Rubinen übersäend. Den Blumen stehen beim Anblick der Sonne die Thränen der Freude in den Augen. Hörner und Clarinetten klingen dazwischen:

„Die Sonn’ erwacht.“

Die weißen, an den Bergen dahinliegenden Nebel zerfließen in immer zartere Schleier, bis das ganze Thal abgeklärt und so frisch, als ob es soeben aus der Hand des Schöpfers hervorgegangen, im Glanze des Morgens ruht. Wie verliert sich die Riesenpyramide des Hochstauffen mit ihrer kreuzgeschmückten Felsenstirn in tiefes Blau! Wie thronen so gewaltig die Alpen im Hintergrunde; wie fallen die Steinbastionen der Reitalp so jäh in die Tiefe; wie schaut selbst der düstre Untersberg im Morgensonnenlichte nicht unfreundlich herüber! Seine Märchen und Gnomen, die ihn in nächtlicher Weile umklingen und umwandeln, sind vor der Sonne gewichen. Verschlossen sitzt der alte Kaiser im Marmorpalaste, und die tobenden Zechgelage in des Kaisers Weinkeller beim Hallthurm sind verstummt vor dem Frühgesange der Haidelerche. Wie einladend winkt die kleine Alphütte dort auf dem Vorbau des Müllnerberges! Wer auf einer jener sonnigen Höhen stehen und ausschauen könnt’ über die Welt und Gottes Pracht und Herrlichkeit, über die Gletscher und Eisfelder bis zur erhabenen Schneepyramide des Großglockner; über die grünen Landschaften von Oberbaiern, die gesegneten Fluren von Salzburg, die blitzenden Seen in Nähe und Ferne!

Und das Thal selbst! Wie idyllisch umarmt von den Bergen! Wie lachen die freundlichen Schweizerhäuser mit ihren grünen Jalousien und zierlichem Schnitzwerk, laubumrankt, rosenumblüht! Dort auf dem Calvarienberge das Kirchlein mit seiner weithin leuchtenden goldenen Thurmspitze. Umringt von grünen Matten, bachdurchströmt, waldumrahmt das gastliche Kirchberg. Im Hintergrunde auf kecker Felsenstirn das tannenumrauschte Sanct Pankraz mit seinem uralten Nachbar, dem epheuumrankten Karlstein. Dort am Fuße des Hochstauffen, noch umschattet von den Morgenbergen, das Kirchlein Nonn mit seinen paar ländlichen Wohnungen, wo man so trefflichen Rahm bekommt. Weiter zur Linken die freundliche Paddingeralm, wo die Alpenveilchen so reichlich blühen. Und all diese grünende und blühende Herrlichkeit durchrauscht und durchblitzt von der Saalach, dem frischen, raschen Tyrolerkinde.

Ländliche Morgentoiletten, reizende Sommerhütchen werden sichtbar auf Altanen und in den Lauben. Die Kaffeetassen klirren im Morgenlichte. Heitere Gespräche, Scherz und Rosenlaune. Kleine Landmädchen kommen von den Bergen und bieten Walderdbeeren zum Verkauf. Für wenig Kreuzer, welche Frühlingsgabe! Welcher Duft! Wo sich der Blick hinwendet, Alles so froh, so glücklich in diesem von der Welt so abgeschiedenen reizenden Erdenwinkel.

Wie glücklich aber ist erst derjenige, welcher zu keiner Badecur mit obligaten Sool-, Moor- und Nadelbädern, Molken- und Kräutertränken verurtheilt ist, sondern gesund, „frei, frisch, froh, fromm“ sich dieses prächtige Leben mit munterm Herzen und Auge anschauen darf! Es wird ihm, sobald der duftende Kaffee in der Geisblattlaube, in welche goldene Sonnenstrahlen fallen, getrunken, sobald die Hörnlein oder Milchbrodchen verzehrt, keine Ruhe lassen. Er muß hinaus auf die grünen Matten, wo die „Gas“, die Füllen und junge Langohrs sich in possirlich humoristischen Sätzen üben. Er muß hinein in das muntere Städtchen, durch die reinlichen Straßen wandeln, auf den Schildern die dem Norddeutschen unbekannten Gewerksnamen studiren, die Fragner, die Hafner, die Flaschner, die Manheimer, und dabei die Wölkchen der Havannah in die blaue Morgenluft entsenden.

Kirchgänger im Sonntagsschmucke, die goldene Quaste an den runden schwarzen Hüten, wandeln vorüber; Frauen und Mädchen um den Hals die vielfach geschlungene glänzende Silberkette. Hier und da ein stattlicher Gebirgssohn, kühner „Gamsjaga“, die Adlerfeder und das Edelweiß im grünen Tyrolerhute.

Vor dem Löwenbräu, wo die grünen Linden stehen, ist ein flotter Zweispänner vorgefahren. Man ist bemüht, die Wagentaschen mit blinkenden Rheinweinflaschen und reichlichem Mundvorrath zu versorgen. Bekannte steigen ein.

„Wohin des Weges?“

„Berchtesgaden, Königssee, Eiskapelle!“

„Vergessen Sie nicht auf Sanct Bartholomä, dem lieblichen Eilande, die delicaten Salmling, und bitten Sie den wackern Forstwart daselbst, daß er mit dem Fernrohre Gemsen aufspürt. Bei der Rückfahrt verabsäumen Sie um Alles die herrliche Ramsau nicht, Schwarzbachwacht und Jettenberg, eine der malerischsten und liebenswürdigsten Partieen.“

„Danken schönstens, soll uns nichts entgehen.“

Unter freudigem Hutschwenken der Insitzenden rollt das Wäglein auf dem Wege nach Berchtesgaden munter dahin. Einer der Herren Doctoren eilt über den Weg. Die Doctoren sind unter den Badebekanntschaften unbezahlbar.

„Guten Morgen, Herr Doctor, was gibt’s Neues?“

„Der deutsche Bundestag –“

„Ich bitt’ Sie um Alles in der Welt, sprechen Sie mir an diesem himmlischen Morgen nicht vom deutschen Bundestage.“

„In der Traube ist famoser Theisendorfer angekommen.“

„Das laß ich mir gefallen. Danke schön. Will jetzt zum Apotheker. Er soll mir ein paar Alpenblumen einpfarren, die ich gestern auf dem Salzbüchsel gepflückt. Auf Wiedersehen!“

Die sehr freundliche Apotheke von Reichenhall ist eine Art Mittelpunkt, ein Focus, wo sich namentlich während der Badesaison allerhand Leute zusammenfinden, weil man hier über Alles Auskunft erhält, was einem hier Badenden immer zu wissen nöthig ist. Pro Primo kann er hier den berühmten Alpenkräutersaft mit Pfeffermünzküchleins an der Quelle trinken. Ist es um Zurechtweisung hinsichtlich schöner Alpenpartieen in naher Umgegend zu thun, erhält man hier die besten Rathschläge. Zugleich stehen zwei wohlgehaltene Maulthiere, der Hansl und die Liesl, unter Führung des wackeren Sepperl bereit, den Steiglustigen bis an die Schneelinie emporzutragen. Sind wir im Unklaren über gepflückte Kräuter und Alpenblumen, wird uns in der Apotheke von Reichenhall die sicherste Auskunft. Haben wir fremdländisch Papiergeld,, das sonst Niemand wechselt, bekommen wir hier das schönste bairische Silbergeld dafür. Kurz, die Reichenhaller Apotheke ist nicht blos eine Heilanstalt für die Unannehmlichkeiten des Lebens, sondern auch eine Beförderung der Annehmlichkeiten desselben. Der Chef dieser trefflichen Officin ist der um Reichenhall hochverdiente, frühere Bürgermeister, Herr M. Mack; ein wahrer Gebirgsvater, der, sobald die erste Anemone, das erste Aurikel am Fuße des Stauffen im Frühjahr die Augen aufschlägt, auf die Berge steigt, wo er mit Fleiß und Kenntniß die heilsamen Kräuter sammelt für seinen Kräutersaft. Dieser Mann ist für das freundliche Städtchen und seine malerische Umgebung wie geschaffen. Jahre lang ist er bemüht gewesen, schöne Punkte, reizende Fernsichten dem Naturfreunde ersteigbar und zugänglich zu machen. Er hat wohlgehaltene Fußpfade angelegt, sie mit Barrieren geschützt, Wegweiser aufgestellt, für Ruhebänke gesorgt. Die dankbaren Bewohner von Reichenhall haben darum auch ihm zu Ehren die kleine von ihm auf dem Schroffen erbaute Alphütte, von wo man die kostbare Aussicht über das ganze Thal bis Salzburg genießt, die Bürgermeisteralp genannt. Außerdem gibt es am Fuße des Hochstauffen auch noch eine Apothekeralm, die ihm eigenthümlich zugehört.

Ich hätte dem wackeren Manne gern meine Aufwartung gemacht, um mir über meine auf dem Salzbüchsel gemachten botanischen Eroberungen einige Auskunft zu erbitten, fand aber die Officin bereits von einer andern Species liebenswürdiger Flora hinreichend bevölkert. Drei Crinolindamen füllten den Raum bis zum Provisor so vollständig, daß ein Eindringen sich als eben so unmöglich, wie unthunlich herausstellte.

Ich setze darum meinen Weg zur Post fort. Der Theisendorfer Postwagen ist eben angekommen, aus dem sich neue Badegäste abwickeln. Am Hausthor des Postgebäudes thürmen sich Koffer, Kisten, Reisetaschen, Schachteln, Hutfutterale mit umschnürten Regenschirmen. Die stattliche Figur des tüchtigen Posthalter Puchner geht anordnend auf und ab. Die neuen Ankömmlinge, welche noch keine Wohnung haben, nehmen einstweilen in dem großen und schönen Postgebäude ihr Absteigequartier.

Indeß ist die Sonne hoch genug gestiegen, um das Verlangen nach einem frischen Töpfchen nicht als unbillig erscheinen zu lassen. Man betritt die geräumige und freundliche Postrestauration. Kellnerinnen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 358. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_358.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)