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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

entgingen oder als faulende Seeauswürfe verabscheut und zum Schlamme gezählt zu werden pflegten. Diese meist zarten Geschöpfe, die See-Anemonen etc., manchem unserer Leser vielleicht jetzt durch das reizende Buch des Goethe -Dolmetschers Lewes bekannter,[1] entfalten hier mit derselben Ruhe, wie in ihrer Meeres-Heimath, ihr eigenthümliches Leben und das liebliche Spiel ihrer Organe, wobei der Beschauer den Vortheil hat, sie in der Nähe und in den Gesichtswinkeln eines im Meere herumschwimmenden Fisches zu betrachten, eine Position, welche sonst nur ein Taucher oder ein Ertrinkender einzunehmen pflegt! (Beiläufig bemerkt, die Schilderung des Schiller’schen Tauchers über die Gräuel des Meerbodens wird sowohl von den Aquarien, als von allen Reisenden, welche den Grund der See durch die krystallklare Fluth der Tropenmeere beobachteten, völlig widerlegt!)

Unweit des Aquavivarium finden wir den ebenfalls sehr populären reichbevölkerten Affenpalast und eine Menschensammlung, die sich durch freiwilligen Eintritt fortwährend erneuert, nämlich eine für London ziemlich gut ausgestattete Restauration und Conditorei. – Nächstdem stattliche Raubvögel aller Zonen in einem „Adlerhaus“, mehrere Einzelthiere, z. B. Ottern, Schildkröten, Stachelschweine, Biber etc.

Den Mittelpunkt der ganzen Südhälfte bildet eine durch Bau und Inhalt Respect gebietende Doppelhalle (gg), eine Etage hoch aus Stein erbaut, deren flaches Dach, mittels zwei an beiden Enden befindlicher Freitreppen zu besteigen, eine Plattform bildet, von welcher der Spaziergänger den ganzen Thiergarten und einen beträchtlichen Theil des Regentparks und seiner Umgebung überblickt. In dieser Doppelhalle befinden sich zu beiden Seiten die Käfiche der mächtigsten fleischfressenden Vierfüßler: der Löwen, Tiger, Panther, Leoparden, Jaguare, Hyänen, Bären etc. Am Westende in einer besonderen Abtheilung rechts die Eisbären mit ihrem Wasserbassin, links die Söhne „Brauns des Bären“, welche, im Geist der Zeit industriell geworden, immer bereit sind, an der hohen Kletterstange heraufklimmend, von den auf der Plattform versammelten jungen und alten Kindern allerlei Näschereien in Empfang zu nehmen.

Der zoologische Garten in London.

Der dreieckige Raum, welcher von hier nach Nord und West noch übrig bleibt, ist von den Häusern und Umzäunungen mehrerer Einzelthiere (Dromedare, Wölfe, Guineaschweine etc.), namentlich aber von zwei größeren und einigen kleineren Vogelhäusern ausgefüllt (Fasane, Hühner, Tauben, Falken, Geier, Eulen u. v. A.).

Wir durchschreiten nun den Tunnel und gelangen unter der Fahrstraße hindurch in die nördliche Abtheilung des Thiergartens (kk). Dort begrüßt uns ein alter Bekannter aus der Heimath, der Laubfrosch, sich hier auf grünem Laub so unscheinbar als möglich machend, und weist uns nach rechts zu seinen vornehmeren Verwandten aus dem Reptilien-Geschlecht, darunter namentlich eine Menge träger Gift- und Riesenschlangen. Daneben noch Hirsche und Anderes. – Auf der linken Seite des Tunnels (und Laubfrosches) erwartet uns dann die letzte und verhältnißmäßig kostbarste Abtheilung des Londoner Thiergartens. Nämlich außer einigen der seltensten und stolzesten Hirscharten und Antilopen, Giraffen, Zebra’s und Quagga’s, einem übervollen und lärmreichen Papageienhaus, befinden sich hier die Riesen der Vierfüßler, besondern aus den Dickhäutern, die wohlgezogenen Elephanten, welche mit dem Nashorn abwechselnd ein und dasselbe Schwimmbassin zu ihren täglichen unentbehrlichen Bädern benutzen; vor Allem aber ihre ungeschlachten Nachbarn, die sogen. Nil- oder Flußpferde (Hippopotamus). Ja, so sonderbar es klingen mag, diese erzplumpen Kolosse, diese unbehülflichen, im Schlamme sich herumwälzenden Fleischklumpen sind der Liebling der Publicums geworden, so daß man an ihrem Teiche mehrere Reihen Bänke hingebaut hat, damit die Beschauer mit Gemächlichkeit die verschiedenen Evolutionen dieses sonderbaren Geschöpfes beobachten können, welches leicht wie ein Kork schwimmt, daher im Wasser gar nicht ungeschickt ist und dabei mit seinen kleinen, hoch oben in dem breitviereckigen Kopfe steckenden blauen (?) Augen den Beschauer gar so menschlich-treuherzig anguckt. Vielleicht empfinden die Leute eine Art Sympathie für dieses Thier, welches einer vorweltlichen, offenbar im Verlöschen begriffenen Thierfamilie angehört, deren wenige noch überlebende Geschlechter sichtlich abnehmen und vielleicht binnen hundert Jahren schon ausgerottet sein werden, um schmächtigeren, gewandteren, aber kaum so ehrlichen Geschöpfen Platz zu machen!

Ueberblicken Sie das hier nur skizzenhaft Geschilderte, so finden Sie, daß Ihnen hier nicht eine Menagerie, eine Sammlung einzelner Thiere, sondern eine Menageriensammlung, eine nach Vollständigkeit aller Typen wenigstens strebende Sammlung von Gattungen, Arten und Abarten geboten ist, wie sie sich in der ganzen Welt nicht weiter findet. Es ist eine Tagesarbeit, sich nur einmal darin umzuschauen. Referent begann früh 10 Uhr, kam todtmüde gegen 2 Uhr mit der ersten Hälfte zu Ende, streckte sich auf eine Gartenbank und schlief dort (ebenso ungenirt und ungentlemännisch, wie es ein reisender Engländer in Deutschland thun würde), speiste beim Restaurant und setzte dann jenseits des Tunnels die Arbeit bis Sonnenuntergang fort, – um acht Tage später dieselbe Tage-Tour noch einmal als Führer einiger Freunde zu machen. Zu einem nur leidlich eingehenden Studium der einzelnen Thiere und ihrer Sitten muß man eben das ganze Jahr Woche für Woche hingehen können.




2. In Amsterdam.

Dem Londoner an Reichhaltigkeit zunächst steht der Amsterdamer zoologische Garten, im Volke daselbst schlechtweg „Artis“ genannt. Das Thor hat nämlich die Ueberschrift: „natura Artis magistra“, das heißt: „Die Natur ist Meisterin oder Lehrerin der Kunst“.

Dieser Garten ist von einer Actiengesellschaft errichtet, in derjenigen Vorstadt, welche die vornehmsten Vergnügungsorte enthält. Er stellt zugleich einen reizenden Park und Blumengarten dar, worin

  1. Lewes, Naturstudien am Seestrande. Aus d. Engl. übers. von Frese. Berlin 1859. 8.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 360. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_360.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)