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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

des Menschengeschlechts, auf Hacke und Fußwurzel, während bekanntlich die meisten anderen Vierfüßler und die Vögel blos auf den Zehen stehen und diese leichtere flinkere Stellung vielleicht für eine viel vorzüglichere halten. – Nächst dem Bärenzwinger sind wieder die reich besetzten Affenhäuser besonders vom Publicum protegirt; es kam mir vor, als ob sich mancher Umstehende in einem recht verwandtschaftlichen Verhältnisse zu den Affen fühlte. Weiterhin sind dann die Häuser der großen Raubthiere (vielleicht auch psychologische Spiegel für eine Pariser Bevölkerung), dann die Giraffen (die hervorragendsten Individualitäten von Paris, wie der Witz besagt), Hirsche, Antilopen, Kameele, Lama’s und Alpacca’s, Zebra’s und Quagga’s etc. auf ihren Rasenplätzen, Elephanten, Nashörner, neuerdings auch Nilpferde u. a., sowie Vögel aller Art, Jedes nach seinen Bedürfnissen wohl und geräumig logirt. – Am westlichen Ende steht Jussieu’s berühmte 1735 hier eingepflanzte Ceder vom Libanon; von ihr aus besteigt man zum Abschied einen Hügel mit der bekannten Sonnenuhr („welche nur die heiteren Stunden zählt“) und genießt oben eine prachtvolle Uebersicht nicht nur des Thier- und Pflanzengartens, sondern auch des unendlichen Paris und seiner reizenden Umgebungen.

(Schluß folgt.)




Durch die Straßen Berlins.

Es ist eine eigenthümliche Seite des menschlichen Herzens, daß wir so gern nach den Gräbern geliebter Todten gehen. Es ist, als wolle man den Geschiedenen Rosen auf die Hügel pflanzen für die Dornen, die das Leben in reichem Maße brachte. Wäre es oft nicht besser, nach den Stätten zu gehen, die einst der Lebende bewohnte, sich das Haus, die Stube, den Garten zu betrachten, wo er Leid und Weh ertragen, Freude und Lust empfunden? Sagt nicht unser größter Dichter schon: „Die Stätte, die ein guter Mensch betrat, ist eingeweiht.“?

Und wenn wir nun nach den Orten gehen, wo Männer oder Frauen gelebt, geliebt oder gelitten haben, die eingetragen sind in die Bücher der Geschichte, die Werke geschaffen haben, die noch im Herzen der Mit- und Nachwelt fortwirken und fortleben: legen wir dann nicht den Grund zu schönen Erinnerungen in unser Herz? pflücken wir nicht Immortellen, die nie verwelken? – Und dann, wird uns nicht oft erst das richtige Verständniß eines dichterischen Werks, nachdem wir die Stätte gesehen, wo es entstanden, gleichsam geboren wurde? Freilich, die Stuben, die Kämmerlein, in denen einst deutsche Dichter und Schriftsteller lebten, sehen meist sich alle gleich; sie sehen fast alle ärmlich, unscheinbar aus, wenn der Betreffende nicht von Hause aus mit Glücksgütern gesegnet war.

Hier, alte Roßstraße Nr. 1, wurde Ludwig Tieck geboren. Später, besonders in den dreißiger Jahren, wohnten in dem Hause in einzelnen Stuben vielfach Studenten. Ob wohl einigen derselben damals „die mondbeglänzte Zaubernacht“ geleuchtet? Wie Wenige, die hier gewohnt, ein- und ausgingen, werden daran gedacht haben oder es nur gewußt haben, daß hier der Dichter des gestiefelten Katers, der Verfasser so herrlicher Novellen gelebt – und sich als Knabe in dem Hause getummelt habe! Freilich, Tieck fand seine eigentliche Heimath erst gewissermaßen in Dresden, woselbst er der Welt am bekanntesten und zugänglichsten war. Im Alter erst kehrte er wieder nach Berlin zurück. Sein Sterbehaus ist das Haus Nr. 208 in der großen Friedrichsstraße, in dem sich gegenwärtig das Friedrich-Wilhelmstädtische Gymnasium befindet. Wie viel der Zöglinge mögen es wissen, daß Tieck einst dort gewandelt, daß er in dem Hause gestorben ist? Ob wohl hin und wieder, wenn einzelne Gedichte des Geschiedenen, die sich ja vielfach zerstreut in Lesebüchern und Anthologien finden, gelesen werden, daran erinnert wird, daß in diesen Räumen einst der Mann lebte und starb, der als Vorleser dichterischer Werke so hoch, so einzig in seiner Art dastand?

Wenige Häuser davon, in derselben Straße, Nr. 235, wohnte einst Chamisso. Man muß den alten Herrn gesehen und gekannt haben, um begreifen zu können, woher es kam, daß namentlich die jüngere Poetenwelt ihn so hoch verehrte und so lieb gewann. Er war ein Jüngling in greisen Haaren, ein Dichter von Gottes Gnaden; er war es, der Freiligrath gleichsam einführte und aus freudigem Herzen seiner Dichtergröße huldigte.

Wie saß er einst so krank auf dem Sopha, in seinem Zimmer und an Sterben denkend; wie sprach er sein Deutsch so langsam, gebrochen, während er dasselbe doch so fließend schrieb! Wie sprach er so rührend von seinem nahen Tode, indeß seine Kinder in der Nebenstube lärmten – und sich des Vaters launige Gedichte declamirten! Er ahnte es nicht, daß seine Gattin, jung und liebenswürdig, noch vor ihm in das Grab steigen würde. Er hörte den Kindern zu, er schwieg – und eine einsame Thräne rollte langsam still von der Wange.

Wo sein letzter Bundesgenosse zur Herausgabe des Musenalmanachs dagegen wohnte, nämlich der Freiherr Franz Gaudy, ist nicht schwer zu finden. Hat derselbe sich in dem Aufsatze „Besuch bei einem Dichter“ doch genugsam selbst geschildert und nicht unterlassen anzugeben, wo und wie er wohnte. Markgrafen-Straße 87 zu gleicher Erde, zu rechter Hand, wenn man in’s Haus trat, war’s, wo man den genialen Freiherrn finden konnte – wenn er just zu Hause war. Dies Letztere war vielleicht nicht häufig der Fall, oder mochte nur so scheinen, da er im Ganzen sich wenig aus Besuchen machte – und lieber Freunde und Bekannte in öffentlichen Localen sprach, wo man auch gemüthlicher bei einem Schoppen Wein oder einem Glase bairisch Bier sitzen konnte. Gaudy war offen und wahr, bis zum Exceß. So fragte ein Bekannter ihn, nach seiner Rückkehr aus Italien: „Baron! haben Sie während Ihrer Reise einmal an mich gedacht?“ worauf er, sich den langen rothen Schnurrbart streichend, kurz ab entgegnete: „Auf Ehre! niemals! niemals!“

Und doch war er von Herzen liebenswürdig, sanft; ja, wer es verstand, die rechte Saite anzuschlagen, dem zeigte er sich teilnehmend, herzlich. – Mit welcher Ernsthaftigkeit, mit welchem fast heiligen Eifer verzehrte er Vormittags in der Weinstube des damals allbekannten Louis Drucker seinen Sardellensalat und trank dazu bedächtig, wohlgefällig schlürfend seinen Wein! Er hatte nicht Zeit, dem Eintretenden die Hand zum Gruß zu reichen, er nickte nur stumm mit dem Haupt. Erst wenn sein Teller leer, reichte er dem Freunde die Hand und begann ein Gespräch, das in jeder Hinsicht anregend und anziehend war. Nachmittags und mehr des Abends war er eine Zeitlang gern in der Leipziger Straße bei Lauch. (So hieß der Wirth, wenn die Erinnerung nicht trügt.) Dort war die Christel Schenkmädchen, eine hübsche Dirne, der er in seiner Erzählung: „Die bairische Kellnerin“ eine freundliche Erinnerung wohl gewidmet hat. Hier saß er gern, wenn nicht ein Gast sich einfallen ließ, auf dem vorhandenen Instrument musikalische Studien zu machen; dann hielt es ihn nicht, er mußte fort. Musik der Art war ihm verhaßt; wie er auch nie Geschmack daran fand, ein Gedicht vorlesen zu hören; nur selbst lesend ging ihm ein richtiges Verständniß für dasselbe auf. Zu einer seiner schönsten Novellen, „der Stumme“, gab er hier eines Nachts ungesucht ein hübsches Seitenstück, während die genannte Erzählung selbst in der Weinstube Königs- und hohen Steinwegstraßen-Ecke spielt. – Er saß mit Freunden und Bekannten und erzählte von Italien. Ein Gast, ein Fremder, in unscheinbarer, etwas abgetragener Kleidung, umging mehrere Mal mit vorgebeugtem Haupt, still lauschend den runden Tisch, der rings besetzt war. Gaudy blickte auf, er bemerkte den Fremden, sein Thun, sein Treiben; er hielt in seiner Rede inne, er fragte auf den Lauscher deutend: „Kennt Jemand den Mann?“ und sprang, als dies verneint wurde, mit Heftigkeit auf und fragte den Fremden mit funkelndem Blick: „Herr! wer sind Sie? Was wollen Sie?“

Der Angeredete zuckte zusammen; schüchtern sprach der ärmlich Gekleidete, der Unscheinbare: „Verzeihung! Ich hörte Sie sprechen. Ich war auch in Italien!“ Dies eine Wort hatte den Baron besänftiget, er war wie umgewandelt, er faßte des Fremden Hand, er fragte nicht, wer er sei, er hieß die Freunde zusammenrücken, er ließ Wein bringen – und bat den Fremden Platz an seiner Seite zu nehmen.

Die Stunden der Nacht vergingen in zauberhafter Schnelligkeit. Mit welcher Freude, mit welchem Entzücken sprachen die Beiden von dem schönen Süden, von dem Lande ihrer Sehnsucht! Wer der Fremde war, wurde nicht gefragt. Er war in Italien

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