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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

gewesen, er liebte es. Dies war genug, dies war sein Freibrief. Wenige Wochen darauf war Gaudy todt. Ein Schlaganfall machte seinem Leben ein Ende. Er starb den 6. Februar 1840.

Zwei Jahre darauf, am 23. October 1842 folgte ihm sein Freund E. Ferrand, dem noch neulich Th. Storm in seiner Sammlung „Liebeslieder“ so freundliche Worte der Anerkennung gespendet. Wie Wenige gedenken noch dieses einfachen, jugendlichen Sängers! Was H. Marggraff vor einiger Zeit über denselben veröffentlichte, nag wohl nicht ganz klar gezeichnet gewesen sein. Ferrand (mit seinem wahren Namen E. Schulz) wohnte zuletzt und starb Alexanderstraße Nr. 38a. zwei Treppen hoch. Hinter dem Hause befand sich der sogenannte „Englische Garten“, wo man ihn des Abends oft, seine Gattin am Arm, finden konnte. Der Concerte wegen, die hier stattfanden, kam er nicht, denn er hatte für Musik gar kein Gehör; er kam der Bäume wegen, wegen des Fleckchens Grün, das ihm hier entgegen lachte. Er liebte die Natur in hohem Grade, mehr aber das Kleine, Unscheinbare in derselben, als das Große, Erhabene. Manch einsam stehender, mit Staub bedeckter Baum hat ihn mehr zu Liedern begeistert, als dies selbst die erhabene Alpennatur, das schöne Schwaben, welches er an Gaudy’s Seite durchzog, zu thun vermochte.

Wer Ferrand als Mensch kennen lernen will, der lese seine Liebesnovellen, seine Erlebnisse des Herzens. Hier hat er sich, sein Leben und einzelne seiner Freunde treuer geschildert, als dies z. B. Moritz in seinem bekannten „Anton Reiser“ jemals von sich selbst zu thun vermochte. Ferrand war Dichter, und daß er dies so ganz nach Neigung und innerem Wohlgefallen sein konnte, war ein Glück für ihn. Er brauchte nicht um Lohn zu arbeiten, noch für Geld zu schreiben. Selbst die meisten seiner Werke ließ er auf eigene Kosten drucken. Er hatte eine ungemein große Literaturkenntniß. Seine größte Freude war, bei den Antiquaren und in den Leihbibliotheken nach den Werken vergessener Dichter zu stöbern. Das eigentliche Leben in seiner praktischen Bedeutung blieb ihm fern, und selbst beim Glase, im Kreise der Freunde, blieb er der liebenswürdige, heitere Dichter. Eine sinnige Auswahl unter seinen Poesien und kleinen Novellen würde ihn der Vergessenheit entreißen und seinen Hinterbliebenen, denen später nach seinem Tode das Vermögen verloren ging, vielleicht eine Hülfe gewähren.

Wie so ganz anders sah es dagegen in der Neuen Commandanten-Straße Nr. 21, Ecke der Jakobsstraße, eine Treppe hoch, aus! Dort wohnte ein alter Mann viele Jahre; er liebte nicht Blumen, wie der jugendliche Ferrand sie liebte; er hatte seine Freude an goldenen Tassen u. dergl., die er von hohen Häuptern des preußischen Regentenhauses erhalten hatte. Er war klein, der alte Mann, und seine Hand zitterte bedeutend, wenn er dem Gaste beim Kommen oder während des Gesprächs die silberne Dose, mit Spaniol gefüllt, hinreichte. Das Kinn und der zahnlose Mund war unausgesetzt in Thätigkeit und in Bewegung. Es war der Kriegsrath Karl Müchler, der Anekdotensammler. Der Greis hatte die Verunglimpfungen, die er eine Zeit lang erfuhr, wo man „ein Königreich für einen Witz“ gab, unbekümmert, wie tief derselbe auch verwunde, nicht verdient.

War er seiner Zeit auch kein großer Dichter, so war er doch ein Mann, der sein Vaterland liebte bis zum letzten Hauche seines Lebens, wenn diese Liebe auch eine einseitig-beschränkte war. Daß eines seiner Gedichte fälschlich für ein Erzeugniß Schiller’s gehalten wurde, und trotz aller Reclamationen und Beweise immer wieder in die Werke des Unsterblichen aufgenommen wurde, mag wenigstens Zeugniß geben, daß der alte Herr nicht gänzlich ohne Poesie war. Viele seiner Fabeln etc. stehen noch heute in Lesebüchern und Anthologien. – Wie froh, wie glücklich konnte er sein, wenn er eine Anekdote seines Lieblings Friedrich des Großen hörte oder irgend wo gefunden hatte! Im höchsten Alter, fast erblindet, dichtete er noch seine patriotischen Gesänge und schrieb seine Briefe, deren Inhalt freilich zuletzt schwer zu ergründen war, da die Handschrift fast unleserlich geworden. Der fünfundzwanzigste Jahrgang seines Anekdotenalmanachs gab zugleich sein wohlgetroffenes Bild. Friede seiner Asche!

Und weiter zurückschreitend, fällt der Blick auf ein hohes, stattliches Haus in der französischen Straße. Es hat die Nr. 42. Es gehörte, so mir recht, dem berühmten Medicinalrath Rust. Im zweiten Stockwerk aber wohnte einst Wilhelm von Humboldt, der Minister.

Derselbe sagte einmal: „Wenn man einem durchaus und wahrhaft großen Charakter lange zur Seite steht, geht’s wie ein Hauch von ihm auf uns über.“ Und diese Worte kann man auf ihn selbst im vollsten Sinne des Wortes anwenden. Wilhelm von Humboldt war ein durch und durch ausgeprägter Charakter. Seine ganze Erscheinung hatte etwas Ruhiges, Mildes, Angenehmes und doch dabei Festes. Sein Gruß selbst war wohlthuend, herzgewinnend. Alle, die ihm nahe standen, die ihm nahe kamen, fühlten das Wohlthuende, Beruhigende seiner Nähe. Der milde Hauch seines Herzens ging auf seine Umgebung über.

Wo der allbekannte, weltberühmte Bruder Alexander wohnte, ist bekannt. Das Haus Oranienburger Straße Nr. 67. ist oftmals genannt und sein Inneres beschrieben worden. Es ist ein einfaches, nur zwei Stock hohes Gebäude. Weniger ist wohl bekannt, daß in demselben Hause eines Dichters Mutter, die Mutter Theodor Körners, starb.

Wir schreiten den Linden zu, nach dem Palais des Grafen Raczinsky. In einem Seitengebäude des Hofes befand sich längere Zeit die Gemäldegallerie des Grafen, deren Besichtigung zu gewissen Stunden des Tages Jedem unentgeltlich freistand. Dort hing Kaulbach’s berühmte „Hunnenschlacht“, Leopold Roberts liebliche „Schnitter“, wie auch die „Söhne Eduards“ von Hildebrandt in kleinerem Maßstabe, nur etwas abweichend in der Ausführung von dem allbekannten größeren Gemälde desselben Meisters.

Vorn im Hause wohnte die Schwester Clemens Brentano’s, die Gattin Achim von Arnims, das Kind Bettina. Als sie jenen berühmten Briefwechsel schrieb, war sie bereits fünfzig Jahr. Es muß ein eigenes, aber interessantes Kleeblatt gewesen sein, diese Frau mit ihrem Gatten und dem Bruder. „Als die beiden Letzteren ihrer Zeit mit der Herausgabe von des Knaben Wunderhorn beschäftiget waren, hatte ich,“ erzählte der einst bekannte Antiquar J… in der Königsstraße, „viel Mühe mit ihnen. Sie kamen fast täglich zu mir. Sie stöberten Alles durch,“ sagte er. „Der Eine saß auf der Leiter und warf die Bücher droben durcheinander, während der Andere drunten, so weit er reichen konnte, kein Buch auf seiner Stelle ließ. Ich hatte, wenn sie fort waren, einen halben Tag zu ordnen, was sie in Unordnung gebracht, und meine Frau mußte regelmäßig nach ihrem Abgange den Laden fegen lassen. Hatten Beide doch gemeinhin die Taschen voll, gewöhnlich von Radieschen, die sie während des Suchenn aßen und mir das Kraut und den Abgang in den Laden warfen.“ Achim von Arnim starb bereits 1831. Bettina ist vor Kurzem, man möchte sagen, unbeachtet zur Ruhe gegangen. Sie war eine gedrungene Gestalt. Ihr ganzer Körper war stets in Bewegung, ein ruheloses Feuer durchglühte sie bis an’s Ende ihrer Tage. War sie auch in der letzteren Zeit nicht mehr literarisch thätig, so blieb sie doch stets Antheil nehmend an Allem, was groß, schön und erhaben war. Ihre Tochter, Gisel von Arnim, ist auch bereits als Schriftstellerin aufgetreten; dieselbe ist die Schwiegertochter des am 16. December vorigen Jahres Linksstraße Nr. 7 gestorbenen Wilhelm Grimm. Wird der Geist der Mutter in der Tochter fortleben?

Der Geschiedenen denkend, führt uns der Geist unwillkürlich ein anderes Frauenbild vor die Augen, das in mancher Hinsicht etwas Verwandtes mit der Erwähnten zeigt, wenn wir des Ungenirten, des Ungebundenen derselben gedenken, während der Geist sich nicht zur Höhe Bettina’s hinaufzuschwingen vermochte. Wir meinen Anna Louise Karschin, diese stets fertige Dichterin, die bekannter und geachteter in der Literatur dastehen würde, wenn sie weniger gedichtet hätte. So hat die Spreu zum Theil das Korn verschüttet, daß selbst Literaturkenner kaum mehr von ihr wissen, als jenen bekannten Vers, den sie dem großen Friedrich II. sendete, nachdem derselbe auf ihre wiederholten Bittgesuche ihr zwei Thaler Unterstützung hatte senden lassen. König Friedrich Wilhelm II. ließ derselben auf dem Haak’schen Markt, angesichts eines Baumganges, dort das Häuschen Nr. 1 bauen. An der Front desselben befinden sich einige Geniusköpfchen mit Flügelchen. Das Haus bildet einen Triangel, und der Hof, der eng aber luftig ist, hat dieselbe Gestalt. Einst standen einige Akazien auf dem Hofe, Weinlaub rankte an einer Laube sich auf, in der die Dichterin eine kurze Zeit ruhig, glücklich und zufrieden saß, bis ihr nie ruhender Geist sie wieder von hinnen trieb. Sie starb 1791 fern von Berlin. Ihre Enkelin war die bekannte Wilhelmine von Hezy.

Und nun wollen wir nach der Spandauer Straße Nr. 68 gehen. Dort wohnte einst Moses Mendelssohn. Dort hat derselbe

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 363. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_363.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)