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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

auch bei den Sauen zu Ende der Feistzeit der Fortpflanzungstrieb, und es beginnt nun die sogenannte Roll- oder Rauschzeit des Schwarzwildes. Der bis dahin einsam lebende Keiler tritt nun wieder zum Rudel, um dessen Besitz oft grimmige Kämpfe unter den verschiedenen Bewerbern entstehen. Die streitenden Keiler beobachten bei ihren Zweikämpfen eine höchst originelle Methode. Sie legen sich nämlich unter Schäumen und Zähneklappen mit den Schultern gegen einander und versetzen sich wüthende Schläge mit den Hauern. Wer’s am längsten aushält, ist Sieger. Man sagt, daß sie die erhaltenen Wunden durch Reiben an harzigen Fichtenstämmen curiren, und wirklich findet man mitunter Sauen, welche ein förmliches Harzschild auf den Blättern tragen. Daß aber derartige „Panzerschweine“ kugelfest seien, ist eine Fabel. – Während der Dauer der Rollzeit hat der Keiler einen unangenehmen, süßlichen Geruch, der sich sogar dem Fleisch (Wildpret) mittheilt.

An Orten,wo wenig Sauen vorhanden, macht der Keiler in der Rollzeit oft weite Wanderungen, um Bachen aufzusuchen. In Ermangelung besserer Gesellschaft gesellt er sich dann mitunter sogar zu den zahmen Schweinen, welche im Walde gehütet werden. Hartig führt sogar ein Beispiel an, wo ein Keiler sich so weit vergaß, daß er Abends mit der zahmen Heerde in den im Wald erbauten Stall ging. Die aus derartigen Mesalliancen entsprungenen Bastarde haben indeß für den Viehzüchter wenig Werth, da sie zu unruhiger Natur sind, welches bekanntlich die Fettbildung sehr beeinträchtigt. Referent sah einst einen Wurf derartiger Bastarde: die kleinen Dinger arbeiteten und hüpften den ganzen Tag an den Wänden des Stalles umher, um einen Ausweg zu suchen, und frisch geschüttetes Stroh war in Folge der unausgesetzten Bewegung in einer Viertelstunde zu Heckerling zertreten.

Einige Wochen nach der Rollzeit ziehen sich die alten Keiler wieder vom Rudel zurück. Die tragende Bache verläßt dasselbe zu Anfang Frühjahrs und „frischt“ in der Regel 5–6, mitunter an 10 Junge, welche Frischlinge genannt werden und in ihrem „bunten Rock“ gar drollige Dinger sind. Schon nach einigen Tagen läuft die kleine Gesellschaft mit der Mutter davon, die sie durch leises Grunzen lockt und zusammenhält. Bei dem geringsten Anschein von Gefahr drücken sich die flinken, buntgestreiften Thierchen platt an den Boden, die Bache sucht den Feind von den Frischlingen fortzuleiten und vertheidigt dieselben nöchigenfalls auf’s Aeußerste. Die Vermehrung der Sauen ist im Durchschnitt nicht so bedeutend, als man nach der Anzahl der Jungen glauben sollte. Zu Anfang des Winters gehen, besonders in eingezäunten Revieren, viele Frischlinge an der Bräune zu Grunde, und im Freien mag der schlaue Reineke die Wachsamkeit der Bache auch oft genug zu täuschen. – Bekannt ist der Vorfall, wo ein Fuchs mehrere Tage hintereinander einen Frischling raubte und jedesmal damit einen Felsblock oder schrägstehenden Baum erkletterte, um sich vor der Bache zu schützen.

Um das Fortwandern der Sauen in der Rollzeit zu verhindern und um fremde Gäste anzulocken, pflegt der sorgliche Jäger schon zu Anfang der Rollzeit jeden Abend etwas Korn oder Eicheln auf den sogenannten Körnungplätzen auszustreuen. Im Park körnt man schon aus dem Grunde, weil der nun einbrechende Winter den Sauen die Mahlzeiten arg verkürzt. Um die Eicheln, welche im Herbst in großen Quantitäten gesammelt wurden, frisch zu erhalten, werden sie in geräumige Gruben geschüttet und unter Wasser gesetzt. Da die ältern Sauen die Frischlinge gern vom Körnungsplatze verdrängen, so wird für letztere ein besonderer Platz eingezäunt, welcher so kleine Eingangslöcher erhält, daß die stärkern Sauen nicht hindurch können. In den meisten Parks müssen die Sauen, mit Ausnahme der drei Herbstmonate, das ganze Jahr hindurch gut gekörnt werden, was allerdings ziemlich kostspielig wird. Auch im Freien ist dies, wenn auch in weit geringerm Grade, meist nöthig, um die Sauen an das Revier zu gewöhnen und von den Feldern abzuhalten.

Neben dem Körnungsplatze befindet sich fast immer die sogenannte „Kanzel“, ein in der Nähe zwischen Bäumen angebrachter Stand oder Sitz, von welchem der Jäger, ohne von den Sauen bemerkt zu werden, die Häupter seiner Pfleglinge zählen und die nöthigen Beobachtungen über ihren Gesundheitszustand etc. machen kann. An schönen, windstillen Abenden ist es in der That ungemein interessant, das Treiben der Sauen von einer solchen Kanzel aus der Vogelperspektive zu beobachten. Da die Sauen im Freien indeß erst mit Einbruch der Dunkelheit die Körnung anzunehmen pflegen, so thut man besser, eine Kanzel im Park zu besuchen, welche hier auch in der Regel bequemer eingerichtet und mit weniger halsbrechenden Stiegen versehen sind, als im Freien.

Die Fußspur oder „Fährte“ der Wildsau unterscheidet sich von der des zahmen Schweines so wenig, daß viel Uebung erforderlich ist, sie richtig „anzusprechen“. Ebenso kann die Fährte eines alten Keilers beim ersten Anblick mit der Fährte einen geringen Hirsches leicht verwechselt werden, doch verräth sich erstere bald durch den kürzern Schritt, durch den Mangel der Fußballen und durch die weit abstehenden Hinterzehen oder das „Geäfter“. – Daher lautet der alte Waidspruch:

„Mein lieber Waidmann, mit Lust und Freuden,
Wie thust Du den edeln Hirsch von der Sau unterscheiden?
Bei hartem Boden absonderlich?
Thu mir das sagen, ich bitte Dich.“

„Der edle Hirsch zeigt in der Fährte Ballen, die Sau hingegen nit.
Auch hat die Sau ein gar vil kürtzern Schritt.
Ob sie an stumpfen Schalen oft einander gleichen,
Die Sau thut nimmermehr des edeln Hirsches Zeichen.“

Es bleibt uns nun noch übrig, des Nutzens zu erwähnen, welchen die erlegte Wildsau gewährt. Da ist zuerst die unverwüstliche Haut oder Schwarte, welche rauh die vortrefflichsten Fußmatten gibt und außerdem durch Sattler und Kürschner vielfache Verwendung findet. Enthaart und gegerbt gibt die Schwarte das feinste englische Sattelleder, welches durch die regelmäßig zu drei und vier zusammenstehenden kleinen Grübchen auf der Oberfläche leicht von Surrogaten zu unterscheiden ist. Die Borsten sind von Schuh- und Bürstenmachern gleich gesucht. Die Hauptsache aber bleibt das Fleisch oder „Wildpret“, dessen Werth schon die antike Welt zu schätzen wußte. – Die zahlreichen Sauheerden der alten Griechen gehörtet sicher der wilden Stammrace an, und von diesem Standpunkte aus gewinnt der „göttliche Sauhirt“ eine ganz andere Bedeutung. Es war eine Art Wildmeister, der mit Fangspieß und zottigen Hetzhunden das Gehege überwachte, „wo hauerbewaffnete Eber unter dem hohlen Geklüft sich gestreckt, im Schirme des Nordwinds.“ Sei dem, wie ihm sei; jedenfalls entwickelte Odysseus beim „langausreichenden Rücken des weißzahnigen Schweines“ einen sehr gesegneten Appetit. – Die römischen Gourmands beobachteten schon bei der Tödtung der Wildschweine eine an’s Grausame grenzende Raffinerie, um den Wohlgeschmack des Wildprets zu erhöhen. Unter den verschiedenen Zubereitungsarten nennen wir nur das „porcus trojanus“. Es war dies ein feister Frischling, dessen Inneres mit allerlei kleinen Thieren und scharfem Gewürz – als Anspielung auf das trojanische Roß – gefüllt war. Der Kopf des Wildschweins aber prangt noch heutzutage als Schaugericht, besonders auf englischen Tafeln. Er wird zu diesem Zweck mittelst eines glühenden Eisens seiner Haare beraubt und kohlschwarz gesengt. Nach der Zubereitung sehen wir ihn dann mit Arabesken von buntfarbigen Geleestreifen verziert, mit grünem Lorbeer garnirt, und selten fehlt die obligate Citrone zwischen den weißen Hauern. Das ist der Humor der Kochkunst. – Als besondere Delicatesse gilt der „Schweinskopf à la Tartare“, einfach gekocht und nach dem Erkalten mit einer pikanten, heißen Rothweinsauce servirt. Wir für unsern Theil ziehen ein saftiges Frischlingsziemer oder das Brustrippenstück eines Ueberläufers dem tartarisirten Kopf eines in der Regel zur Rollzeit erlegten alten Keilers vor. Das Wildpret der älteren Wildsauen ist, frisch zubereitet, oft sehr hart, man läßt es daher gern so lange an freier Luft hängen, bis es den ersten Anflug von Haut-gout erhalten.

Nachdem wir somit das Schwarzwild in naturgeschichtlicher, ökonomischer und gastronomischer Hinsicht gründlich betrachtet haben, können wir zu dem interessantern jagdlichen Thema übergehen.




Derby-Tag in London und Epsom-Wettrennen.

Nach der Lehre einer buddhistischen Secte in Indien ruht unsere Erde auf dem Rücken eines Elephanten, der von einer Schildkröte getragen wird. Dies sieht wie ein unglaubliches Wunder aus, zumal da man nicht erfährt, auf welchem Grund und Boden

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 374. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_374.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)