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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Entzücken trinkt der Blick die himmlische Landschaft. Welch ein Grün der Matten, von Gold- und Silberblüthen durchwirkt –

Die rothen Wolken ziehen an den Bergen
Und über grünes Waldmeer still dahin,
Dieweil die Firnen, wie die Wächter Gottes,
Im reichen Gold des Sommerabends glühn.

Und ringsum Stille – Duft – Frieden. Die Madonnenbilder an den Wegen stehen im rothen Golde des Abends.

Ich wandle durch blumige Auen gen Sanct Zeno. Zwei fromme Schwestern aus dem Fräuleinstift in ihrer nonnenhaften, aber kleidsamen schwarz und weißen Tracht kommen des Weges daher. Blühende Gesichter und schon geschieden von der Welt in klösterliche Einsamkeit. Aber ihre Thätigkeit ist dem segensreichsten Berufe gewidmet, der trefflichen Erziehung junger Pensionärinnen. – Aus dem Garten des Hofewirths tönen Guitarren. Ich wende mich nach der Stadt zurück, dem Abendrothe entgegen. Aus einem kleinen Hause am Wege vernimmt man Stimmengemurmel. Vater und Mutter im Kreise der Ihrigen sprechen das Abendtischgebet.

Ein freundlich Schweizerhaus mit hervorragendem Dach und umlaufender Gallerie, verziert mit reichem Schnitzwerk, umrankt von Rosen und Blattgrün, ruht im Abendgolde.

Dort oben aber, auf der Abendseite der Gallerie, laubenartig umhüllt von rothem Jelängerjelieber, im weichen Fauteuil, das Blumenhaupt auf die Alabasterhand gestützt, ruht eine junge, wunderschöne Dame, eine weiße Rose aus fernem Nordland, die, halb gebrochen, die weite Reise nicht gescheut, Genesung zu trinken im milden stillen Alpenthale. Madonnenhaft umrahmt die dunkle Lockenpracht das von Meisterhand gezeichnete Oval, rosig angehaucht vom Abendroth, und der Himmel des zwischen langen seidenen Wimpern hervorbrechenden Auges ruht bereits geistig verklärt auf der abendrothbrennenden Schöpfung.

Arme Evelina! Der Doctor hat gleich nach dem ersten Besuche gar bedenklich das Haupt geschüttelt. Du wirst den Donner deiner grünen Nordsee, wenn sie sich weißschäumend an den Felsenufern bricht, nimmer wieder hören. Dein Engel wird dich aus diesem blühenden Erdenthale unmittelbar in das Himmelsthal sanft geleiten und der kleine Friedhof von Sanct Zeno deine irdische Hülle unter seine Blumen betten.

Wunderschönes Bild, vom Abendrothe umklungen, von Jelängerjelieber umblüht! Die Schatten der Abendberge breiten sich immer länger über das smaragdgrüne Thal, sie wachsen an den Höhen. Bald glühen nur noch die goldenen Kronen. – Tiefe Stille. –

Da tönt durch Baum und Blatt und rothe Blüthen,
Wie einer schönern Gotteswelt entflohn,
Wie Engelgruß durch dieses Thales Frieden
Sanct Zeno’s frommer Abendglockenton.




Es ist dunkel geworden. Ein weicher lauer Sommerabend wiegt Thal und Städtchen in seinen Armen. Auf Achselmannstein, stehen alle Fenster offen. Kühle Abendluft zieht hinein. Man sitzt auf dem Balkon, auf den Bänken vor dem Hause. Das leise Rieseln der Gradirhäuser tönt durch die Stille des Abends herüber. Im Lesezimmer haben sich einige Zeitungstiger der Journale bemächtigt. Sie sitzen schon mehrere Stunden unbeweglich. Vergebens blühte draußen der himmlische Abend ab. Die Raisonnements der Augsburger Allgemeinen, die unerquickliche Kleinstaaterei des Dresdner Journals ist ihnen lieber, als ein Verglühn der Alpensonne. Man lasse sie. Im freundlich erhellten Speisesaal ist heitere Gesellschaft. Ein paar Tyroler singen zur Schlagcither.

Ich kehre nach dem Posthause zurück, wo Bekannte zu finden. Welch ein Anblick! Zur Rechten und Linken flammen goldene Feuer auf den Bergen. Sie rühren von Besuchern her, die sich trotz der Tageshitze nicht abschrecken ließen, die fünftausend Fuß hohen Höhen zu ersteigen.

Auf der Postrestauration ist noch viel Leben. Neue Fremde sind angekommen, die sich’s nach den Strapazen auf dem Theisendorfer Wege an der wohl versorgten Tafel bestens schmecken lassen. Bekannte erheben winkend das Töpfchen und rücken platzmachend zu. Sie sind auch nicht lange erst heim von den unterschiedlichen Tagespartieen und können nicht genug erzählen von der erschauten Pracht und Herrlichkeit. Freund A. ist ganz entzückt von einer prächtigen Abendfahrt auf dem felsumthürmten Thumsee, wo ihn der gastliche Besitzer eine ganze Stunde hat herumfahren lassen. Auf dem Hinauswege ist er bei dem Kaitl, auf dem Heimwege bei dem Moserwirthe eingekehrt. Freund M. spricht begeistert von der Schwarzberg-Klamm bei Unken, jenem tiefernsten Gebirgswunder, jener schauerlich erhabnen Alpenpartie, wie in ganz Oberbaiern, Salzburg und Tyrol keine zweite zu finden. Ein Dritter hat den Standpunkt der Sonne so glücklich getroffen, daß er die brausenden Cascaden der Wimbach-Klamm von sechs Regenbogen umblüht gesehen. Ein Vierter erzählt mit reichem Humor von fünf Crinolinendamen, die, vom Gewitter überrascht, auf dem Heuboden der kleinen Zwieselalphütte zu übernachten gezwungen gewesen.

Unter solch interessantem und unterhaltendem Gespräch ist das Töpfchen alle, ehe man sich’s versieht, und ein Abendstündchen nach dem andern fliegt rasch vorüber.

Da entsinnt man sich, daß heute eine neue Badeliste erschienen. Walli bringt sie. Welche Freude! Die liebenswürdige Familie D. aus der Heimath ist angekommen. Welch angenehme Aussicht für die nächsten Tage!

Ein Reichenhaller Stammgast am obern Ende der langen Tafel zankt mit dem Kellner, daß er ihm bereits das dritte Strafseidl gebracht. Der untere Theil der Tafelrunde, wozu wir zu gehören das Glück haben, und wo Walli die Durststillung übernommen, ist glücklicher gewesen. Durchweg das frischeste Bier. O du gemüthliche Abendkneiperei im Posthause zu Reichenhall!

Da tönt draußen im Städtchen in langgezogenen Tönen und zur Ruhe mahnend die schöne bairische Jägerretraite des hier garnisonirenden Grenzcommando’s. Man bricht auf, sich die Hand zur guten Nacht reichend. Gute Nacht, Walli!

Draußen ist indeß der prachtvollste Sternenhimmel aufgeblüht. Hoch oben, dem Zenith nah, die freundliche Wega in der Lyra Mitte; weiter gen Westen der feurige Arctur, der Bärenführer, durch den vor zwei Jahren der Komet ging. Dort immer höher steigend der Schwan, und über den Nordalpen die Cynosura, der unveränderliche Polarstern. In den Straßen ist es still geworden; nur aus den Bräu’s vernimmt man vorbeigehend noch gedämpfte Stimmen und Gläserklang.

Man gelangt an das Salzburger Thor. Da kommt es durch die Dunkelheit getrabt. Vierbeinig. Es sind die Esel des wackern Reischl, gegenwärtig Parapluiemacher, ehedem tüchtiger „Gamsjaga“. Die beiden Langohren haben Badegäste nach dem hohen Oststauffen getragen und kehren jetzt von ihrer mühevollen Tagfahrt heim. Wie galoppiren sie trotzdem behende durch das geöffnete Thor, der ersehnten Ruhestätte zu! Herr Reischl ist zugleich beliebter Chambregarnier für zahlreiche Badegäste.

Die Feuer auf den Bergen sind erloschen. In unbestimmten Umrissen wälzen sich die dunkeln Massen der Bergriesen zum Nachthimmel.

Ich trete in mein traulich Stüblein. Die verlebten schönen Stunden ziehen wie eine freundliche Fata Morgana nochmals durch die Erinnerung. Wieder eine Rose mehr eingewunden in die oft dornenvolle Guirlande des Lebens.

Das Licht erlischt. Ich werfe noch einen letzten Blick hinüber nach dem Untersberge. Hu, wie finster, zaubergewaltig schaut er daher!

Um seinen Hochthron flattern noch die Raben –
Der Kaiser träumt – der dunkle Zauber bleibt,
Bis daß die Zeit, wo auf dem Walserfelde
Der Birnenbaum der Freiheit Blüthen treibt!

Das ist ein Sommersonntag im Alpenstädtchen Reichenhall!



Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 378. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_378.jpg&oldid=- (Version vom 14.12.2022)