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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Stück Fleisch in den neuen Käfig lockte, ließ man gleichzeitig das Gitter fallen, und der Umzug war geschehen. Schwierig ist zwar immer noch, den jetzt viel schwereren Käfig an seinen neuen Platz einzureihen, doch die Hauptsache ist dann geschehen. Auf diese oder die umgekehrte Weise geschieht stets der Wohnungswechsel in Menagerien.

Von Tag zu Tag wartete ich nun, daß die Prophezeiung des Wärters sich erfüllen sollte, und jeden Morgen eilte ich zuerst an den Käfig der Löwin. Vergebens. Der Tag nahte heran, an welchem die Menagerie abreisen sollte, und da schon einige Wochen seit der Absperrung der Löwin verstrichen waren, so stiegen leise Zweifel bei mir auf, ob nicht ein Irrthum vorliege. Aber der Wärter ließ sich nicht irre machen und behauptete, daß das Anschwellen der Euter ein untrügliches Zeichen sei. Er mochte allerdings Erfahrung haben, denn er hatte von Jugend auf in Menagerien gedient, während die meisten andern Wärter als gerade unbeschäftigte Handarbeiter und dergl. solche Dienste annehmen und sie gelegentlich wieder verlassen.

Die Menagerie ging zuletzt wirklich ohne junge Löwen nach Dresden ab, kam aber doch mit solchen dort an. Gerade die kurze Reise sollte ereignißvoll werden, denn während eine der schönen Giraffen, welche schon seit Jahren die Zierde der Menagerie waren, durch das Anstoßen ihres hohen Behälters an eine Ueberbrückung der Eisenbahn getödtet ward, warf die Löwin unterwegs ihre Jungen, und als nach der Ankunft die Käfige geöffnet wurden, lag die Alte ruhig bei ihren Kleinen, sie eifrig beleckend.

Absichtlich wartete ich einige Wochen, ehe ich nach Dresden reiste, um die kleinen Löwen mehr entwickelt und sehend vorzufinden. Auch waren sie in der ersten Zeit dem Publicum nicht gezeigt worden. Der Anblick war in der That ein reizender. Mit mütterlichem Behagen und Stolz zugleich lag die Alte auf ihrem Strohlager, kein Auge von ihren Kindern verwendend. Diese waren bereits so gewachsen, daß sie nicht mehr durch das Gitter herausgenommen werden konnten, wie dies noch einige Tage vorher geschehen war. Die Farbe war die der Alten, nur trugen sie überall schwache bräunliche Flecken, welche auf Scheitel und Rückgrat zu schwarzen wurden. Mit ihren dicken runzligen Köpfen, den kleinen spitzen Schwänzchen sahen sie gar niedlich aus, wenn sie, oft über die eignen ungeschickten Beine fallend, ihre Ausgänge, d. h. von ihrer Mutter bis vor an das Gitter unternahmen. Keine Bewegung entging der Alten, aber der Ausdruck ihres Gesichts hatte dabei etwas so Zufriedenes, so mütterlich Glückliches, daß man eben so gern auf sie selbst, wie auf die Kleinen sah.

Meine Erwartung, die Löwin durch die Menge der Zuschauer beunruhigt und aufgeregt zu sehen, bestätigte sich nicht, im Gegentheil, sie lag fast stets ruhig im Hintergrund ihres Käfigs, sodaß die Jungen fortwährend Gelegenheit hatten, ihren Durst zu stillen, was diese auch fleißig benutzten. Auch dabei blickte sie fast fortwährend nach diesen hin, sich oft niederbeugend, um sie zu lecken. Durch Letzteres gab sie überhaupt ihre mütterliche Liebe am meisten zu erkennen, und manchmal nahm sie wohl auch eins der Jungen zwischen ihre Tatzen, um es recht von Herzen zu lecken, wobei das Kleine um und um gewendet wurde, so sehr es auch strebte auf den Beinen zu bleiben. Der Gebrauch ihrer Beine war den Kleinen offenbar noch nicht recht geläufig, weshalb denn auch ihre Versuche zu spielen stets mit Umfallen endigten, wobei die Alte gleichfalls behaglich zusah. Trotz dieser Unbehülflichkeit entwickelte sich aber doch schon die wilde Natur, denn komischerweise versuchten sie mehrmals beim Herankommen an das Gitter dem Publicum die Zähne zu zeigen, die sie noch gar nicht hatten.

Ich hatte mir einige Skizzen der ganzen Gruppe bereits entworfen, wünschte nun aber auch die jungen Löwen selbst etwas genauer zu zeichnen, was bei dem dichten Strohlager, in welchem sie sich bewegten, nicht gut möglich war. Ich bat daher Heinrich, den Wärter, der allein so Etwas wagen durfte, mir dazu Gelegenheit zu geben. Ohne Weiteres streckte er seinen muskulösen Arm durch das Gitter, packte den nächsten jungen Löwen und hielt ihn empor. Zu meiner Verwunderung blieb die Löwin ganz ruhig, in ihrem Winkel liegen, behielt aber ihr Kleines unverwandt im Auge. Ein einziges Mal richtete sie ihr Auge auf mich und zeigte mir dabei die sehr ungemütlichen Zähne, ohne aber dieses Compliment auch dem Wärter zu machen, auf so vertrauten Fuß stand sie mit diesem. Als ich aber nun in aller Eile meine Zeichnung vollendet hatte und das Junge losgelassen war, wurde dieses von der Alten mit solcher Energie und Ausdauer von allen Seiten beleckt und umgewendet, als sollten damit alle Spuren der ungeweihten Berührung vertilgt werden.

Nur ungern trennte ich mich nach einigen Tagen, als die Menagerie nach Warschau abgehen sollte, von dem schönen Schauspiel, und immer noch denke ich gern an dasselbe zurück.

Es ist bekannt, daß die Löwinnen nicht immer zwei Junge werfen, sondern meistens nur eins, am seltensten drei. Schon die in Freiheit gebornen kommen nicht Alle auf in Folge des Vielen verderblichen Zahnens, noch seltener ist dies natürlich in der Gefangenschaft der Fall. Wie verderblich übrigens eine häufigere Vermehrung sein würde, ergibt sich daraus, daß nach der Behauptung Gerard’s, des berühmten Löwenjägers in Algier, ein Löwe, welcher 35 Jahre lebt, den Heerden für 50,000 Thaler Schaden zufügt. Wie diese Summe steigt, wenn eine ganze Löwenfamilie zusammenlebt, ist daraus leicht zu schließen. Es ist daher auch in den Gegenden Nord-Afrika’s, wo sich Löwen aufhalten, die Abgabe, welche die Araber dem Löwen gleichsam zu entrichten haben, eine vielfach größere, als die von der Regierung geforderte. Daß man bei diesem gewaltigen Schaden und bei dem Muthe der Araber nicht häufiger sich zu Jagden auf das Thier entschließt, ist eben nur die Furcht vor dem so häufig gefährlichen Ausgang dieser Jagden, und der Löwe wird daher gewiß noch lange Zeit vor Ausrottung, selbst in den bevölkerten Theilen Afrika’s, geschützt sein.

L–n.


Schamyl in Kaluga.

Sie haben in der Gartenlaube bereits früher (Nr. 15) einige Mittheilungen über den jetzigen Staatsgefangenen Rußlands, einstigen Chef der Tscherkessen, geliefert; erlauben Sie mir, daß ich heute darin fortfahre. Das Wesen Schamyl’s ist so interessant und bietet auch jetzt noch in der Gefangenschaft so viel Eigenthümliches und Charakteristisches, daß authentische Mittheilungen darüber sicher alle Leser Ihrer Zeitschrift interessiren dürften.

Schamyl war nach der Abreise seines bisherigen Begleiters, des Herrn v. Boguslawsky, sehr verstimmt und ging lange Zeit wie ein Tiefsinniger umher, obwohl wir uns auf alle Weise bemühten, ihn aufzuheitern. Auf meine ängstlichen Anfragen, wie diesem drückenden Zustande ein Ende zu machen sei, erwiderte Chadshio, Schamyl’s und mein alter Freund, das einzige und sicherste Mittel, das er kenne, sei die Musik, welche Schamyl leidenschaftlich liebte, und später Besuche in den öffentlichen Gesellschaften, für die er jetzt „noch nichts tauge“.

Kaum hatte mir Gramoff, Schamyl’s Dolmetscher, diese Worte übersetzt, so rief ich einen Diener und gab ihm Befehl, zum folgenden Tage eine Orgel, welche in einem Privathause verkauft wurde, in Schamyl’s Gastzimmer zu schaffen.

Als Chadshio von Gramoff erfuhr, wovon die Rede sei, äußerte er das lebhafteste Vergnügen und schien zugleich sehr gerührt. Wahrscheinlich unter dem Einflusse dieser Rührung gestand er mir, daß Schamyl außer der Besorgniß um seine Familie auch noch einen besondern Grund zur Traurigkeit habe. Er fühle sich nämlich tief ergriffen vom Gefühl der Dankbarkeit gegen den Kaiser für so viele unerwartete Beweise von dessen Freundlichkeit, und suche nach Mitteln, um dem Kaiser thatsächliche Beweise seiner Dankbarkeit und Ergebenheit geben zu können.

Ich äußerte ihm meine Zufriedenheit mit Schamyl’s dankbaren Gesinnungen und setzte hinzu, ich habe von ihm nichts Anderes erwartet, da er in der That eines ganz andern Empfanges gewärtig gewesen sei, und daß gewiß auch Schamyl’s Gefährten, von Gunib bis Petersburg und Kaluga, dessen Ansichten und Wünsche jetzt theilten; daß endlich er selbst, Chadshio, allem Anscheine nach, nunmehr nicht mit derselben Meinung über Rußland, mit welcher er den Kaukasus verlassen, dahin zurückkehren werde.

„O!“ rief er aus, „Du sollst bald erfahren, was ich gesagt habe, sobald ich wieder in meinem Karata bin.“

„Wohlan, was wirst Du sagen?“ fragte ich, besonders deshalb

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