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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

sich meiner, als ich das gegenüber liegende Gerüst wanken und sich zur Seite neigen sah; ein lautes Krachen folgte, und Menschen, Breter und Balken stürzten in einen Haufen zusammen.

Alles verstummte, nur aus dem Trümmerhaufen erschallte Lechzen, Schreien, Stöhnen und Fluchen. Kaum aber war der erste Schrecken verflogen, als Jeder das Freie zu gewinnen trachtete, und wie im Umsehen leerten sich die noch stehenden Gerüste und Schranken. Ich war von meinem Freunde getrennt worden, und da ich keine Neigung fühlte, mich in das dichte Gewühl neugieriger Leute zu mischen, welche zu Hunderten die Verunglückten umgaben, zugleich aber vernahm, daß die Folgen nicht so böser Art seien, wie man anfangs befürchtete, so ging ich zurück nach dem Landungsplatze der Fährboote, um an einem schon verabredeten Punkte mit meinem Gefährten wieder zusammenzutreffen. Derselbe langte bald nach mir an und theilte mir mit, daß, außer einigen Arm- und Beinbrüchen, Quetschungen und Verrenkungen, kein Unglück stattgefunden habe, daß die Unternehmer ein außergewöhnlich gutes Geschäft gemacht hätten, und Kossuth als der verlierende Theil betrachtet werden müsse. Nach unserer Ankunft in Neu-Orleans sträubte ich mich daher nicht länger gegen die Entrichtung der drei Fläschchen von dem Bewußten, die zur kühlen Abendstunde unter der reizenden Veranda des Tchoupitoula-Hotel gemeinschaftlich getrunken wurden.

Als ich am folgenden Morgen nach gewohnter Weise über den so prachtvoll und reich besetzten Markt im Creolenviertel schritt, bemerkte ich vor einer Schlächterbude neben einem dort ausgestellten blutigen Stierkopfe ein Placat, auf welchem, das Fleisch des im Kampfe mit dem grauen Bären gefallenen Kossuth angepriesen und zum Verkauf ausgeboten wurde.

Der böse Leumund wollte zwar wissen, daß der eigentliche Kampfstier dunkleres Haar gehabt habe, als der ausgestellte Kopf, und sich sogar auf dem Wege der Besserung und auf dem Wege nach einer fetten Weide befinde; ich habe es aber nicht geglaubt, bezweifle auch nicht, daß von dem 1800 Pfund schweren Stier wenigstens 3000 Pfund Fleisch als „Kossuthfleisch“ zu erhöhtem Preise verkauft wurden.




Die Jugendspiele in ihrer gesundheitlichen und pädagogischen Bedeutung.
Von Dr. med. Schreber in Leipzig.

Die Heilkunde hat die hohe Aufgabe, die körperlichen und geistigen Uebel und Gebrechen der Menschheit nach Möglichkeit zu verringern, und zwar nicht blos am einzelnen Menschen, sondern als sociale Heilkunde am ganzen Geschlechte. Denn will sie wirklich radical eingreifen und als Wissenschaft und Kunst sich die Krone der echten Humanität verdienen, so darf sie nicht von hinten anfangen, darf nicht blos oder hauptsächlich die Heilung des eingetretenen Uebels, sondern muß die Verhütung des voraus zu berechnenden Uebels an die Endspitze ihrer Perspective stellen. Sie soll dahin wirken, die Entwickelung des menschlichen Culturlebens in die naturgemäßen Bahnen zu leiten, Alles zu entfernen, was Mangel gründlicher Erkenntniß der menschlichen Natur und ihrer daraus hervorleuchtenden Bestimmung, was Rohheit, Schlaffheit, Weichlichkeit und Sinnlichkeit, was finstere Dummheit, was niedrige Sonderzwecke der Herrschsüchtigen an naturgesetzwidrigen Schattenseiten, an Giften des körperlichen und geistigen Lebens der Cultur aufgeimpft haben. Ja, hätten die praktischen Staatsmänner, Theologen, Pädagogen und Schulmänner das Studium der Menschennatur zur Grundlage ihrer Berufsthätigkeit gemacht, oder wäre von erleuchteten Aerzten nur ein Theil der unermeßlichen Mühe und Sorgfalt, welche seit Jahrhunderten schon allein auf den Ausbau der zu 7/8 unfruchtbaren Arzneimittelchen verwendet wird, auf den Ausbau der socialen Gesundheitslehre verwendet worden, – so stände es wahrlich besser um das Wohl der Culturvölker.

Diese Anschauung scheint auch in der heutigen Heilkunde mehr und mehr vorwaltend zu werden und eine praktische Richtung zu gewinnen. Bei aller Höhe und Würde, welche in dieser Aufgabe der Heilkunde liegt, bleibt danach ihr Wirkungskreis doch immerhin ein mehr negativer.

Nächst dieser muß man eine noch höhere und, wenn irgendwo, so zunächst von hier aus zu erfüllende positive Aufgabe der socialen Heilkunde zuerkennen, nämlich die: die Menschheit in den verschiedenen Stadien der allgemeinen Culturentwickelung nicht nur immer wieder auf die naturgesetzlichen Grundbedingungen hinzuweisen und zurückzuführen, sondern sie von da aus auch auswärts zu führen und von Generation zu Generation zu veredeln, dahin zu wirken, daß aus der menschlichen Natur mehr und mehr das gemacht werde, was aus ihr zu machen ist nach Maßgabe des in ihr dargelegten schöpferischen Gedankens (nach Maßgabe der in ihr liegenden Fülle von edlen Kraftanlagen und Entwickelungsmöglichkeiten), wie dieser als erfüllbar sich herausstellt im Zusammentreffen mit den einem Lande, einem Volke und dem Einzelnen gegebenen unabänderlichen Lebensverhältnissen.

Manchem wird vielleicht eine solche Auffassung zu ideal erscheinen. Aber ich glaube doch, daß auch der nüchternste Denker schließlich darin übereinstimmt, daß allen menschlichen Bestrebungen, die auf Höherentwickelung abzielen, ein entsprechendes Ideal zu Grunde liegen muß, daß die je höchstmögliche Fortschrittsstufe, das wirklich Erreichbare nur zu erreichen ist durch das Streben nach dem kaum oder nicht erreichbaren Höchsten. Jedes menschliche Streben nach edlen Zielen bleibt schließlich hinter dem Ziele des Strebens zurück, und – nur erst mit seinen Zielen wächst der Mensch. Wer vorwärts will, muß ideale Ziele fest im Auge behalten.

Dies ist der Gesichtspunkt, von wo aus wir die Bedeutung der Jugendspiele für körperliche und geistige Gesundheit, für die gesammte Entwickelung des kindlichen Lebens, einer näheren Betrachtung unterwerfen wollen.

Von dem Zeitpunkte an, wo das Kind zur ersten Stufe der Selbstständigkeit gelangt ist, wo es die Fähigkeit in sich fühlt, nach Willkür sein eigenes Wesen zu handhaben, und mit Willkür auch auf die Außenwelt einzuwirken und mit ihr in Wechselverkehr zu treten, drängt der natürliche Trieb (die sich anhäufende Summe körperlich-geistiger Kraft) zur Thätigkeit, zur Aeußerung und Verwendung der Kraft.

Die Befriedigung dieses Triebes gewährt zunächst das Spiel, und zwar in dem Alter zwischen zwei und sieben Jahren das Spiel ausschließlich, gleichviel, ob es ein stilles (ein Alleinspiel), oder ein gemeinschaftliches Spiel ist. Beide Gattungen des Spieles sollen in richtiger Abwechselung die Zeit in diesem Alter ausfüllen. Das Kind liebt und sucht das Spiel also nicht etwa als einen passiven Genuß, um sich dadurch unterhalten zu lassen, sondern vielmehr deshalb, um daran seinen eigenen Thätigkeitstrieb zu befriedigen und in dieser natürlich-angenehmen activen Erregung seine Unterhaltung zu finden. Daraus erhellt die hohe, noch viel zu wenig erkannte Wichtigkeit einer entsprechenden Wahl der Spielmittel und einer verständigen Ueberwachung des Spieles selbst. Wie das Kind spielt, so wird es auch einst sein, leben und arbeiten. Die Spielzeit ist die Elementarclasse der Lebensschule.

Verlangt nun auch der natürliche Thätigkeitstrieb in dem Alter der Schulreife ebenso dringend die Beschäftigung mit ernsten Dingen zur Bereicherung des Wissens und Könnens, so bleibt doch nicht weniger auch hier das Spiel, die entsprechende Abwechselung desselben mit den ernsten Beschäftigungen, ein wahrhaftes und unentbehrliches Bedürfniß, sowohl zur körperlichen und geistigen Auffrischung überhaupt, als auch zur Gewinnung von Kraft, Lust und Ausdauer für die ernsteren Beschäftigungen insbesondere.

Dieser Punkt, die Bedeutung der Spiele des reiferen kindlichen Alters, der Knaben- und Mädchen-Spiele für körperliches und geistiges Leben und die Nothwendigkeit ihrer Beachtung von Seiten der Schulerziehung, ist es, worauf wir hier besonders unsere Aufmerksamkeit richten wollen. Es wird sich dabei herausstellen, daß hierin nicht nur eine wichtige Aufgabe der elterlichen, sondern auch der Schulerziehung liegt.

Das, was von den Jugendspielen die Schule besonders unter ihr Auge zu nehmen hat, sind die gemeinschaftlichen, also meistens im Freien geschehenden Spiele. Daß auch der Schulerziehung diese Pflicht mit zufällt, liegt in der allgemeinen Aufgabe der Schule. Diese besteht darin, das Kind auf eine höhere Lebensstufe zu heben, es lebenstüchtig und menschenwürdig auszubilden. Da sich aber die menschliche Natur nicht halbiren oder halbirt behandeln läßt, so muß da, wo der Geist gebildet werden soll, auch der Körper soweit möglich mit gebildet und entwickelt werden, denn

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 414. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_414.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)