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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

den Kopf und grinste und nickte, als Sigrid ihn ansah. „Na,“ fuhr er fort, „da drüben auf Otteröe gibt’s ein Gut, das funfzig oder hundert Mal mehr werth ist, und wenn er das in seine Tasche steckt, kann er mir die lumpige Stelle wohl abgeben.“

„Drüben in Otteröe?“ fragte Sigrid, und indem sich ihre blauen Augen weit aufthaten, fuhr sie fort: „Meinst Du Erik Meldal’s Gut, Clas?“

„Das ist eine richtige Wahrheit!“ sagte Clas. „Erik ist von derselben Art wie Thorkel, darum waren sie auch immer gute Freunde. Und Erik Meldal hat auch nichts mehr, die Schulden haben ihn aufgefressen. Das ganze Gut ist so verschuldet, daß der alte Verwalter Horngreb nichts mehr auftreiben kann, und kann seinem jungen Herrn Erik Meldal, dem Lieutenant, gar nichts mehr schicken. Der muß jetzt also mit seinem Tractement auskommen,“ fuhr er boshaft lachend fort, „das ist ihm gesund; wenn ich aber sein Verwalter wäre, sollte er Geld genug haben. Der alte Horngreb ist ein alter Dummkopf.“

„Was wolltest Du denn machen, Clas?“ fragte Sigrid.

„Verpachten wollte ich das gute Land an Colonisten,“ versetzte Clas, „zu ganz anderen Preisen, als es jetzt geschieht. Und dann hat der Gaard noch einen schönen Wald, alte große Bäume, die sind jetzt viel werth, man findet sie selten mehr so. Weiden liegen dabei, die allerbesten, die man sich denken kann. Dreimal so viel Vieh kann gehalten werden, und dazu kommt die Fischerei in der großen Bucht, die kommt dem Gute allein zu, sammt den Mühlen an der Elf. Es darf nur ein Mann da sein, der die Sache versteht, so fällt alles von selbst in seine Hand; und der Mann ist da und hält die Hand schon auf.“

Sigrid sah lachend auf die mächtigen Hände, welche Clas dabei ausstreckte. „Sind’s Deine Hände, so halt’s fest,“ sagte sie.

„Nehmen sollt’ es mir Keiner,“ antwortete er, „doch dazu gehört, was ich nicht habe.“

„Was?“ fragte sie.

„Geld! Das hat er genug.“

„Wer?“

„Klein Sigrid,“ sagte Clas belustigt, „frag nicht so dumm. Herr Schiemann, wer sonst? Alle Schulden hat er aufgekauft, ganz in der Stille und wie ich es ihm auskundschaftet. Vieles hat er billig gekriegt, denn die Leute waren froh, Geld zu sehen, von dem Schuldenmacher erwarten sie doch nichts mehr.“

„Erik Meldal war kein Schuldenmacher,“ versetzte Sigrid. „Ich habe gehört, daß sein Vater keine gute Wirthschaft hielt, und daß die schlechten Zeiten dazukamen.“

„Alle die Leute aus den alten Familien wollen vornehm hinaus,“ sagte Clas. „Der alte Meldal gehörte auch zu denen, die obenan standen, und weil er Oberst gewesen im Kriege gegen die Schweden, meinte er, er sei der Höchste im Lande. Es ist einerlei, wer die Schulden gemacht hat, jetzt heißt es bezahlen! Also wird’s dem Jungen gehen, wie dem Thorkel, denn die Acten liegen schon beim Landrichter, die Klage ist schon angebracht, und so wie es damit seine Richtigkeit hat, ist Hochzeit!“

„Hochzeit?“ fragte Sigrid. „Wer macht Hochzeit?“

„Zweie,“ lachte Clas, „oder viere. Erstens Herr Peter Schiemann mit Pastor Jöns Bille’s Tochter Else Mary, bei der er eben sitzt, denn ich habe ihn von Molde mit herüber gebracht, und zweitens ein gewisser Clas Gorud mit Gullik Hansen’s Tochter Sigrid, bei der ich eben sitze.“

Und indem er dies sagte, legte er seinen linken Arm um ihren Leib und faßte mit seiner rechten Hand nach ihrer Hand. Aber Sigrid bog sich rasch zurück und rief: „Ich glaub’s nimmermehr,“ und so wie sie diese Worte lustig ausschrie, geschah etwas, das Clas noch weit mehr überraschte. Denn das Netz, das am Boden lag, hob sich plötzlich in die Höhe, und ein ungeheurer Rachen voll weißer Zähne kam darunter hervor und schnappte nach Clas Gorud’s Arm und Hand, daß er mit genauer Noth beide in Sicherheit bringen konnte. Erschrocken sprang er auf und ein paar Schritte zurück, während Sigrid ein schallendes Gelächter anstimmte und ihre Augen sich mit übermüthigem Spott füllten.

In der nächsten Minute sah Clas, mit wem er es zu thun hatte. Es war ein großer grauer Seehund, der auf seinen kurzen Beinen sich aufgehoben und mit seinen glänzenden Augen ihn anstierte. Voll Wuth und Aerger griff Clas nach einem Steine, der vor ihm lag, und schrie wild auf: „Ich will dich zerschmettern, du Teufelsvieh, du sollst deinen Lohn haben!“

„Thue ihm nichts! Du sollst ihm nichts thun!“ schrie Sigrid eben so laut, indem sie ihre Arme über den Kopf des Thieres legte, und damit zugleich rief Jemand hinter dem Hause: „Was gibt es denn da? Heidu! wirf den Stein fort und sei kein Narr!“




2.

Clas Gorud sah sich um und ließ seinen Arm wirklich sinken, aber Antwort gab er nicht, auch wurde sein Gesicht nicht freundlicher. Es sah einen Mann, den er nicht kannte oder, wenn dies der Fall, nicht kennen wollte. Der Fremde trug einen Soldatenrock von einem der Jägerregimenter, und als er vor ihm stand, rief er lustig: „Das ist Clas Gorud, der hat sich nicht verändert. Er ist noch so ein häßlicher Kerl, wie er immer gewesen.“ Darauf flogen seine Augen zu dem Fischermädchen und gleich streckte er beide Hände nach ihr aus.

„Du bist Sigrid!“ rief er. „Die kleine Sigrid; doch wie groß und schmuck bist Du geworden! Kennst Du mich denn nicht mehr, lieb Sigrid?“

„Du bist Thorkel Ingolf,“ sagte sie und gab ihm ihre Hand.

„Das bin ich, Sigrid.“

„Sei willkommen, Thorkel,“ fuhr sie fort.

„Vielen Dank!“ antwortete er. „Ist Dein Vater zu Haus?“

„Nein,“ sagte sie. „Woher kommst Du?“

„Quer durch’s ganze alte Norge, Sigrid. Ich komme von Frederikshall, wo ich in Garnison gestanden das letzte Jahr.“

„Bleibst Du hier, oder willst Du wieder fort?“

„Das soll Gott wissen,“ antwortete er. „Vom Regiment bin ich entlassen, es war meine Zeit zwar noch nicht um, doch geschah es so auf meine Bitten; denn capituliren möcht’ ich nicht, das wußten sie, und mein Oberst wollte mir wohl. Da nun mein Vater gestorben ist, der Mutter nach, wollte ich sehen, wie es mit mir geschehen soll; habe aber schon genug gehört von den Leuten, was traurig machen kann.“

„Ich mag Dir wohl nichts Besseres sagen können,“ sprach Sigrid.

„Ich muß es nehmen, wie es ist,“ erwiderte er. „Aber sieh hier, sieh! Es kennt mich doch noch Einer.“

Der Seehund war zu ihm herangekrochen und stieß ihn mit seinem dicken Kopfe an. Da er seine Hand ihm hinstreckte und ihn streichelte, leckte das Thier seine Finger und ließ ein winselndes Knurren hören, als Zeichen seiner Freude.

„So ist er noch am Leben, der arme gute Kerl!“ rief Thorkel. „Als ich fort mußte und ihn Dir schenkte, hast Du es freilich versprochen, ihn nicht zu verstoßen. Aber ich glaubte es kaum.“

„Das war nicht recht,“ sagte Sigrid. „Wir haben ihn Alle lieb, er geht nicht von uns. Auch thut er Niemandem ein Leid, wenn’s nicht Einer ist, der Böses im Sinne hat.“

Sie sah dabei schelmisch nach Clas hin, und der Soldat folgte ihren Blicken. Clas hielt den Stein noch in der Hand festgepackt und sah sauertöpfisch aus, ohne sich zu rühren; da aber Thorkel ihm nun auch die Hand hinhielt und freundlich sprach: „Laß die arme Creatur in Frieden, Clas. Du hast ihm sicher wohl einen Stoß gegeben, daß er Dich beißen wollte!“ ließ er den Stein fallen, kam näher und sagte: „Solche Beester gehören nicht ins Haus, doch sei Du willkommen, Thorkel, bist lange fortgewesen.“

„Viel zu lange, Clas. Komm’ aber doch wohl noch zur rechten Zeit,“ erwiderte Thorkel.

„Meinst, weil Dein Haus noch nicht verkauft ist?“ fragte Clas.

„Ich mein’s mancher Dinge wegen,“ war die Antwort. „Jetzt erzählt mir doch, wie es hier gegangen. Es gibt Vieles, was ich von Dir hören möchte, lieb Sigrid.“

So saßen sie alle drei nun auf der Bank, und Thorkel erzählte ebensowohl von seinem Soldatenleben, wie er nach allen Leuten umher fragte. Clas gab ihm Bescheid, und Sigrid setzte ihre Arbeit fort und mischte sich lange Zeit wenig in das Gespräch der beiden Männer. Es war von Dingen die Rede, welche Thorkel Ingolf nicht mit Freuden vernehmen mochte, aber Clas machte keine Umstände mit ihm. Ein norwegischer Bauer ist ein harter Mann. Gewöhnlich kurz von Worten, und man merkt nicht, was in seinem Innern vorgeht. Mag’s ihn auch wie mit Messern schneiden, sein Gesicht verräth es selten, und in Leidenschaft geräth

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