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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

bereits geschilderten) mit der Ueberschrift „Speisezimmer für Damen“ befindet, wo Familien wie einzelne Damen und ihre Gäste die Mahlzeiten einnehmen. Das Frühstück beginnt schon um sieben Uhr und bleibt bis neun auf der Tafel; zu Mittag gespeist wird um eins, und der Thee kommt um sechs Uhr. Bei diesen Mahlzeiten wird jede denkbare Delicatesse der Jahreszeit aufgetischt, und der tägliche Speisezettel würde einem fürstlichen Bankett Ehre machen. Der Hauptkoch ist in der Regel ein Franzose, und selbst der erfahrenste Feinschmecker Europa’s fände hier noch Gelegenheit zu neuen Studien. Ueber hundert Aufwärter versehen den Dienst bei Tische, und die Damen werden stets zuerst und mit dem Besten bedient. Man kann auch in einem Privatzimmer speisen, muß jedoch für diese Exclusivitat theuer bezahlen.

Die Salons werden stets durch große Feuer von Anthracitkohlen sehr warm erhalten, und um Dunst zu verhüten, bleiben die Thüren offen. Die Mäßigkeit bei Tische überraschte mich. Nur selten bemerkte ich ein anderes Getränk als Eiswasser. Bequemlichkeiten aller denkbaren Art sind für die Gäste vorhanden. Die Drähte des elektrischen Telegraphen laufen in das Hotel, und ein eigener Telegraphist befördert augenblicklich Botschaften nach allen Himmelsgegenden; Commissionaire sind stets bereit, Aufträge in der Stadt auszurichten; überall in den kleinen Alkoven der Halle und Corridore stehen Tischchen mit Papier, Feder und Tinte; ein Stiefelputzer ist immer zur Hand; und wer die Treppen nicht hinaufsteigen mag oder kann, wird auf einem weichen Sopha sitzend hinaufgewunden. Nicht zu vergessen ist die Vorrichtung, durch welche die Confusion und der Lärm von zwei- bis dreihundert Klingeln beseitigt wird. Alle Drähte der verschiedenen Zimmer laufen an einer Glocke zusammen, die sich in einem Gehäus bei dem Comptoir des Cassirers befindet. An der Rückseite dieses Kastens sieht man durch eine Glastafel den ganzen Mechanismus, während die Vorderseite Reihen von Zahlen trägt. Jede Nummer ist von einem beweglichen Metallplättchen bedeckt, das, sobald in dem betreffenden Zimmer geschellt wird, umschlägt und herabhängt, während die zugleich ertönende Glocke den Schreiber benachrichtigt, der sogleich die offene Nummer sieht, einen Aufwärter nach dem Zimmer schickt und das Metallplättchen wieder emporrichtet.[1]

Alle großen Hotels sind mit Dampfwäschereien versehen. Im American House steht die Waschanstalt unter der Verwaltung eines eigenen Beamten, der alle Details einträgt. Das Linnenzeug wird in eigenthümlichen, durch Dampf bewegten Drehmaschinen gereinigt, in ähnlicher Weise durch Benutzung der Centrifugalkraft – wie in den neuen Berliner Waschanstalten – ausgerungen; heiße Luft trocknet sie vollständig, und in wenigen Minuten ist sie gewaschen und geplättet. Daneben befinden sich warme und kalte Bäder, sowie Barbier- und Frisirstuben.

Ehe ich die Geheimnisse dieser Hotels kannte, wunderte ich mich jedesmal, wenn ich Amerikaner auf Reisen gehen sah, ohne auch nur eine Reisetasche mitzunehmen; allein es zeigte sich bald, daß sogar das Mitführen von Rasirmesser und Zahnbürsten überflüssig wäre und der Besitzer eines einzigen Hemdes ganz eben so gut daran ist, als hätte er ein halbes Dutzend; denn während er ein Bad nimmt, stellt ihm die magische Waschanstalt den Gegenstand in seiner ganzen Herrlichkeit von blendender Weiße und Stärke wieder her. Kurz, der Comfort und Luxus des American House, wie aller Hotels derselben Classe, läßt seinen Bewohnern nichts zu wünschen übrig, und es kann daher gar nicht überraschen, wenn immer mehr Ledige wie Verheirathete ihren dauernden Aufenthalt in diesen Prachtpalästen nehmen, deren mannichfache Bequemlichkeiten sie in Privathäusern sich nicht um den zehnfachen Preis verschaffen könnten.“




Die Blinden-Anstalt zu Dresden.

Der Herr mein Licht

Diese rührende Inschrift begrüßt uns beim Eintritt in das Asyl der Unglücklichen. Alt und Jung huscht an uns vorüber, in jener unstäten Hast, die den Sehelosen eigen, stolpert oder schleicht die Treppe hinauf, fast ohne das Geländer zu berühren, und verliert sich in die dunkeln Gänge des Hauses. Diese summen ein Lied vor sich hin. Jene verzehren mit bestem Appetit ihr Vesperbrod, wenige stehen still in sich gekehrt – doppelt unser Mitleid in Anspruch nehmend –, im Gegentheil geht es hier so lustig und ungebunden zu, daß man sich fragen möchte: sind das Menschen, denen der Himmel seine schönste Gabe verweigerte?

Eine fröhliche Melodie tönt aus der Ferne. Wir treten in einen hellen, geräumigen Saal, und gegen neunzig Sänger empfangen uns mit einem Lied an den Frühling, den sie nie sahen. Diese Stimmen sind rein und unschuldig, dieser Gesang athmet Frohsinn und Heiterkeit, und dennoch empfanden wir nie tiefer die Strophe des englischen Dichters: „Ihr munteren Sänger, ihr brecht mir das Herz noch“, als er sein Lied schrieb „vom armen geblendeten Finklein“. Meist Kindergesichtern, oft dem zartesten Alter angehörend, begegnet unser Blick; die Hände wie zum Gebet gefaltet, sitzen sie da, vom Kleinsten bis zum Größesten, immer in derselben Haltung stiller Ergebenheit und Duldung.

Am häufigsten erscheint die Blindheit unter den Kindern der Armen, und so ist fast auch allen diesen Gesichtern der Stempel der Armuth aufgedrückt, den selbst die sorgfältigste Ausbildung des Geistes und Herzens nie ganz zu verwischen vermag. Das sind die gleichen dürftigen Gestalten mit den großen, spitz zulaufenden Köpfen, den niedrigen Stirnen, den stumpfen oder überlang gestreckten Nasen, wie man sie in dem sächsischen Erzgebirge findet, welches auserkoren scheint, vor allen übrigen Districten des Landes bei Weitem die größte Zahl dieser Armen zu liefern. Auffallend genug, haben hingegen die Meisten feine, wohlgebildete Hände, oft mit den schönsten Nägeln versehen, weil diese Hand ängstlich geschont werden muß, die ihnen, da sie ja betasten müssen, was sie kennen und verstehen wollen, die Stelle des Auges vertritt. Man sieht hier Hände, wie sie in den Kreisen der höchsten Aristokratie nicht schöner anzutreffen sind – ein Beweis, wie Schönheit nicht immer angeboren ist, sondern zum großen Theil anerzogen werden kann. Unter dem weiblichen Theile der kleinen, sich durchschnittlich auf hundert Köpfe belaufenden Gesellschaft finden sich natürlich meist glücklichere Physiognomien, als unter dem männlichen; und wir würden auf manchem Gesicht mit innigstem Gefallen weilen, starrte uns nicht jener todtleere Ausdruck des verschleierten Auges entgegen, oder wäre es nicht auf immer geschlossen, während der Körper noch auf der Erde wandelt. Doch wir dürfen uns auch hier um so weniger gegen die Ordnung der Dinge auflehnen, als die Natur in ihrem hohen Vergeltungs- und Gerechtigkeitsprincip statt des einen fehlenden Sinnes die andern bis in’s Unendlichste schärfte – ja um so weniger, als dies Unglück großentheils durch die Menschen selbst, durch Vernachlässigung und Unreinlichkeit, hervorgerufen wurde, indem es bewiesen ist, daß Kinder selten blind geboren werden!

  1. Deutsche Hotels haben sich schon seit Jahren dieser Einrichtung bedient.
    Die Red.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 427. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_427.jpg&oldid=- (Version vom 1.1.2023)