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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

altes Ansehen behaupten, daß er der beste Schiffer sei, und er sah wohl auch, wie Clas am Ufer stand mit mehreren Anderen, die mit ihm meinten, daß Thorkel umkehren müßte, weil er es gegen Wind und Fluthwelle nicht schaffen könnte. Aber der Nachen schnitt in gerader Linie über den Fjord auf Besnies-Kirche los, und er landete Gulliks Hausstelle zur Seite an den Steinen. Darauf stieg Thorkel hinauf, und als er an dem Hause vorbeiging und an der Bank, wo er gestern gesessen, blieb er einen Augenblick stehen. Die Bank war leer, zögernd ging er weiter. Dann sah er sich noch einmal um, da stand Sigrid auf der Thürschwelle.

„Guten Tag, Sigrid!“ sagte er.

„Habe Dank, Thorkel,“ antwortete sie, hielt aber ihre Hände unter der Schürze.

„Lachst Du?“ fragte er und kam näher.

„Warum nicht?“ antwortete sie und sah lachend auf seinen neuen Anzug.

„Herr Schiemann hat ihn mir geborgt,“ fuhr er fort.

„Ei ja,“ sagte sie, „er wird Dich brauchen können.“

Da lachte Thorkel auf. „Das ist richtig, Sigrid. Hier ist ein Brief an den Pastor. Sie meinen es Beide gut mit mir.“

„Wahr’ Dich aber doch, Thorkel,“ sagte Sigrid.

„Wovor?“

„Vor Unrecht.“

„Nu, nu!“ sagte er, „traust Du mir Unrecht zu?“

Sie schüttelte den Kopf und ihre blauen Augen glänzten da bei, als schiene die Sonne hinein.

„Gib Deine Hand her, Sigrid!“ rief er freudig.

„Nein, nein!“ versetzte sie, „Vater hat es mir verboten, auch soll ich nicht mit Dir sprechen, es sei denn, daß es nicht anders geht.“

„Und es geht eben nicht anders,“ lachte er.

„Weil Jungfrau Else hier bei mir war, es ist kaum eine Stunde vergangen,“ fuhr Sigrid fort, „und ich mußte ihr geloben, daß ich Dir sagen wollte, sobald ich Dich sähe, sie müßte mit Dir sprechen und wollte heut Abend, wenn das Essen vorbei und es finster geworden, im Garten sein, gleich hier an der Ecke am Felsen.“

„Und was gibt’s Wichtiges weiter, Sigrid?“ fragte Thorkel, „Du hast mich also erwartet?“

„Freilich hab’ ich’s,“ versetzte sie. „Vater ist mit beiden Booten hinaus auf den Ageröesund, da stand ich am Fenster und sah Dich kommen. Nun aber sollst Du thun, was ich haben will, und sollst es mir schwören.“

„Das will ich, Sigrid,“ sagte er.

„Dann sollst Du Dich ruhig halten, Thorkel, dem Clas aus dem Wege gehen, der ist falsch, und meinen Vater darfst Du nicht noch mehr erzürnen, mußt suchen, daß er wieder sagt: Bist mir willkommen!“

„Wie soll ich das anfangen, lieb Sigrid?“

„Gott weiß es! aber den Gerechten hilft er. Und nun, Thorkel, hör’ an. Du bist ein stolzer Mann, dennoch sollst Du nicht widerstreben. Was ich Dir gebe, das nimm und hilf Dir und mir damit, wenn Du es kannst. Ehrlich ist es mein; nun geh hin zu dem Pastor und mach’s recht.“

Sie drückte ihm etwas in die Hand, das in ein Papier eingehüllt, und ging rasch in’s Haus und machte die Thür zu. Da er den Umschlag abnahm, sah er ein braunes Täschchen, und als er es öffnete, lagen drei Banknoten darin, eine jede von zehn Thalern. Er hielt sie vor sich und sah darauf hin; dann kam’s ihm hell, in die Augen und plötzlich rief er laut: „Gott’s Dank, Sigrid, Gott’s Dank! Ich nehm’s gern an von Dir und will’s Dir lohnen mein Leben lang.“

So steckte er das Täschchen ein und ging hinauf zum Pfarrhofe. Das war ein schönes neues Haus, geräumig und mit großen Fenstern, wie die Häuser in der Stadt. Die Stuben mit Tapeten beklebt, die Thüren weiß gestrichen, die Möbel und Geräthe wie sie Herren von Rang und Reichthum besitzen. Der Pfarrer von Besnies hatte aber auch ein schönes Einkommen, man meinte, die Stelle bringe mehr als zweitausend Thaler jährlich, und überdies hatte Herr Jöns Bille eigenes Geld und eine Frau geheirathet, die ihm auch nicht wenig zugebracht. Jungfrau Else war sein einzig Kind im Hause, seinen Sohn hatte er auf der hohen Schule in Christiania. Die Beiden mußten einmal Alles erben, doch damit hatte es wohl noch Zeit, denn Herr Bille war noch gar nicht alt, kaum fünfzig, ein kräftiger, stattlicher Mann, der sich seines Lebens freute und gern ebensowohl vornehme Gäste in seinem Hause sah, wie nach Molde hinüber fuhr und sonst umher zu den vornehmen Kaufleuten und Landherren.

Früher fuhr er auch häufig nach der Insel Otteröe auf das Gut des alten Obersten Meldal zu Gaste und blieb dort vielmals länger als einen Tag. Die Freundschaft war so groß, daß die Leute meinten, es würde auch Verwandtschaft daraus werden, wenn des Obersten Sohn Erik die Jungfrau Else Bille heimführe. Da aber der alte Herr Oberst gestorben war, und es sich zeigte, wie seine Vermögensverhältnisse zerrüttet, schien Herr Bille dies besser zu überlegen. Es entstanden Zwistigkeiten mit dem jungen Erben, Erik Meldal wurde im Pfarrhause kalt angesehen und statt, wie es anfangs geheißen, seinen Abschied zu nehmen und in Meldalsgaard die Wirthschaft zu führen, ging er plötzlich zu dem Jägerregiment zurück und überließ es seinem alten getreuen Verwalter, die andrängenden Gläubiger zu beschwichtigen.

Darüber war nun Jahr und Tag vergangen, aber seit dieser Zeit hatte die Freundschaft des Pfarrers mit dem Herrn Schiemann in Molde zugenommen. Was er an dem Obersten verloren hatte, ersetzte ihm der Kaufmann bald und besser. Herr Schiemann war ein kluger und reicher Mann, geachtet überall und mit den ersten Familien in Freundschaft. Er war Wittwer, kaum vierzig Jahre alt, hatte keine Kinder. Es gab kein Mädchen, das Nein gesagt hätte, wenn er anklopfen mochte, und daß der hoch würdige Jöns Bille zufrieden mit seinen Besuchen war, konnte der Handelsherr gewiß nicht verkennen. Wäre Jungfrau Else ebenso vergnügt ihm entgegengelaufen, wie ihr Vater mit ausgestreckten Händen, so hätte die Rechnung längst ihren Strich bekommen. Aber Else war so kalt und schwer, wie ein Lachs, wenn er aus dem Wasser gezogen werden soll, so ernsthaft, daß sie über keinen Spaß lachen mochte, und überhaupt so zurückhaltend, daß alles Mühen um ihren Beifall vergebens blieb. Je mehr die Freundschaft ihres Vaters für den reichen Freier wuchs, um so stummer wurde die Tochter, und obwohl Jöns Bille bisher dazu geschwiegen, war er doch über dieses Benehmen sichtlich aufgebracht, suchte es aber als kluger und würdiger Mann mit Milde und guten empfehlenden Worten zu vermitteln.

Eben heute, ehe Thorkel in seinem Hause anlangte, hatte er dies auch gethan, denn Else hatte ihm gestern Gelegenheit zum stärksten Mißfallen gegeben. Herr Schiemann war überaus artig und zuvorkommend gewesen, aber sie hatte seine Höflichkeiten weniger als je erwidert, hatte wie abwesenden Geistes stumm und zerstreut gesessen, und zuletzt war sie verschwunden und ließ sich nicht wieder blicken, gerade da Schiemann erzählte, daß Meldal’s Gut unter den Hammer kommen würde, denn die Gläubiger drängen darauf, und daß er es kaufen werde.

Von dem Gespräche mit seiner Tochter hatte der Pfarrer noch ein erhitztes, ärgerliches Gesicht, denn seine Vorstellungen fielen nicht auf guten Boden. Es war eine Scene entstanden, die er abgebrochen hatte, als Else zu weinen anfing, aber seine letzten Worte waren gewesen: „Du wirst vernünftig handeln und mich nicht zwingen, scharf gegen Dich zu sein. Einem Bettler und leichtsinnigen Menschen kannst Du nicht länger anhängen wollen. Du hast gehört, daß Meldal verkauft wird, es bleibt ihm also gar nichts. Hierher kommt er auch gewiß nicht wieder; willst Du etwa mit ihm in die Garnison ziehen? Dazu bist Du zu gut und ich auch. Nimm also Dein Einsehen zusammen und beweise es gegen Schiemann, daß er einer Närrin nicht den Rücken kehrt, und andere Leute auch, und ich – ich!“

Er schlug sich mit Heftigkeit mit der flachen Hand auf die Brust, und da Else, mit dem Tuch vor ihren Augen, sich entfernte, ging er mit großen Schritten im Zimmer umher, und ging noch, als Thorkel die Thür aufmachte. Da ihn der Pastor sah, rollten seine Augen. Er suchte Einen, an dem er seinen Zorn auslassen konnte. Jetzt schickte ihm der Himmel ein Opfer. Er hob seinen Kopf zum Strafgericht empor und blickte den Sünder durchbohrend an. „Haha!“ rief er, „da bist Du ja! Es ist doch Thorkel Ingolf, den ich vor mir habe?“

„Ja, Herr Pastor, der ist es,“ antwortete Thorkel unerschrocken.

„Und Du gräulicher Mensch wagst es, Dich hier blicken zu lassen?“ fuhr Herr Bille mit mächtiger Stimme auf. „Kommst Du hierher zurück, damit alle rechtschaffenen Menschen mit Fingern auf Dich weisen und Dir Schimpf nachrufen?“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 435. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_435.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)