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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

„Wohin soll ich, Herr?“ versetzte Thorkel. „Schilt mich nicht zu sehr.“

„Es wäre Dir besser, Du gingst bis an’s äußerste Ende der Welt, ungerathner Sohn,“ rief der Pastor, „dahin, wo Dich Niemand kennt.“ Und noch lauter schreiend, denn er hatte Grund dazu, fuhr er fort: „Dich wird Gott finden und züchtigen, wie er die ungehorsamen, an der Seele verdorbenen Kinder niederwirft unter seine Gerichte, die ihres Vaters Fluch aus sich geladen haben.“

„Höre auf, Pastor,“ sagte Thorkel ruhig, „Du sprichst nicht so, wie Du sprechen sollst. Mein Vater hat mich gesegnet noch in seiner letzten Stunde und geseufzt, daß ich nicht bei ihm war. Was ich gethan habe, ist geschehen, war’s Sünde, muß ich sie tragen. Doch von dem Allen ist hier nicht die Rede. Ich komme zu Dir, um Dir einen Brief zu bringen, den Herr Schiemann in Molde mir mitgegeben hat. Hier hast Du ihn!“

Dabei zog er den Brief aus der Tasche und reichte ihn dem Geistlichen hin, auf dessen geröthetem Gesicht sich eine Donnerwolke lagerte, die wie vor einer Frühlingswärme verging. Sein aufgehobener Arm, mit welchem er diesen frechen Kerl aus seinem Hause weisen wollte, sank nieder, schweigend nahm er das Schreiben und las es, und während dies geschah, wurden seine Mienen ruhiger und milder. Darauf sah er über den Rand des Blattes Thorkel an, und wieder hinein und wieder auf, bis er endlich begann: „Du willst also umkehren von den falschen Wegen und ein ehrbarer Bauersmann werden?“

„Ja, Herr, ich will Bauer sein bis an mein Ende,“ antwortete Thorkel.

„Herr Schiemann sagt hier, daß Du ihm Vieles mitgetheilt hast über die Art, wie Du in’s Verderben gerathen, und daß Erik Meldal um Alles gewußt hat, was Du getrieben.“

„Das hat er, Herr Pastor, und war mit mir in solcher Freundschaft, daß mir auch nichts verborgen blieb, was er that.“

„So!“ rief Herr Bille, und sein Gesicht wurde freundlich.

„Du weißt also, was er getrieben, und jetzt, so steht hier, ist er fort, einem Mädchen nach?“

„Ja, meiner Seele!“ sagte Thorkel lachend, „er ist Einer hinterher, mit der er es vorhat.“

„Mein Sohn,“ sprach der Pastor würdevoll und ihn scharf ansehend, „kann man Dir auch vertrauen, daß Du die volle Wahrheit sprichst?“

„Ei ja!“ versetzte Thorkel, „ich mag mich nimmer zum Lügen gebrauchen lassen, darauf verlaß Dich, Herr. Und damit Du siehst, daß ich thue wie ich sage, so will ich Dir eine Sache anvertrauen, die sicher ist.“ Er trat ihm näher und sprach leise: „Es hat mir Jemand Nachricht gebracht, daß ich heut Abend in Deinen Garten kommen möchte, da wollte Deine Tochter mit mir reden.“

„Else?“ fragte Jöns Bille erstaunt und erschrocken.

„Wenn Du es nicht willst, werde ich nicht hingehen,“ antwortete Thorkel.

Der Pfarrer schwieg einige Minuten, aber er wurde immer freundlicher dabei, und endlich sah er sehr zufrieden aus und lachte.

„Nein, lieber Thorkel,“ sagte er, „ich sehe nun, daß Du treu bist, und darum sollst Du hingehen und sollst die volle Wahrheit sagen. Willst Du das thun?“

„Ja, Herr,“ sprach Thorkel.

„Du mußt ihr nichts verschweigen,“ fuhr Herr Bille fort. „Alles, was sie Dich fragt, sollst Du beantworten, und was Du weißt, ihr nicht verheimlichen. Und höre, Mann: Du sollst mir das nicht umsonst thun. Ich will Dir helfen vor aller Welt, Niemand soll Dir Böses nachreden. Ich sowohl wie Herr Schiemann, wir werden für Dich sorgen, daß Du zufrieden sein wirst.“

Nach einer halben Stunde kam Thorkel aus dem Pfarrhause, und der Pfarrer ging mit ihm bis an die Thüre und sagte da laut: „Komm bald wieder, Thorkel Ingolf!“




4.

Als es Abend geworden, leuchtete das Feuer vom Heerde Gullik Hansens. Beim hellen Flammenschein saß er davor und blickte finster hinein, denn er hatte keinen guten Tag gehabt. Mit seinen beiden Booten war er außen an dem Ageröesund gewesen, hatte aber fast nichts gefangen. Lag’s an dem scharfen Winde oder an der Strömung, er dachte darüber nach; doch Andere, die nicht weit davon hielten, machten guten Fang. Ein Fischer hängt wie ein Jäger vom guten Glück und vom Zufall ab, oder vom bösen Nix, dem Neck und den Meerfrauen, die den Fisch von des Einen Netz fortjagen und in die Fallen ihrer Günstlinge führen. Es kann aber auch Hexerei dabei vorkommen. Wer sich darauf versteht, auf Bannsprüche und Verwünschungen, der kann machen, daß Unglück seinen Feind verfolgt, daß seine Thiere sterben und verderben, seine Bäume und Saaten verdorren, seine Kugel nicht tödtet, ob er das Wild auch mitten durch schösse, und daß in seine Netze kein Fisch geht. Ein Volk, das einsam lebt und wohnt in wilden Gebirgen und an wilden Küsten, Jahr um Jahr im Kampfe mit der Natur und deren Schrecken, mit Stürmen und Nebeln, dabei von alten Zeiten her mit Wundern und Sagen reich versorgt, das läßt so leicht nicht los vom Glauben an gute und böse übernatürliche Wesen und Kräfte. Gullik Hansen war ein Mann, dem es nicht an Verstand fehlte, doch in Nacht und Nebel hatte er Manches gesehen und Manches gehört, das nicht von Menschen kam, auch Manchen gekannt, dem Neck und Hexerei arg mitgespielt.

Als er mürrisch in sein Haus trat, fand er aber noch eine andere Sorge. Sein Sohn Anders lag krank im Bette voll Fiebergluth und Mattigkeit, es war ihm zur Mittagszeit plötzlich angetreten, Sigrid hatte ihn niederlegen müssen, sie saß bei ihm in der Kammer. Vor dem Fischer aber, auf dem Klotz am Heerde, saß dafür ein altes Weib, das häßlich aussah. Sie hatte nackte Füße in den Schuhen, trug einen weiten rothen Rock und eine braune Jacke. Ihre Nase war aufgestülpt, wie Clas Goruds Nase, ihre Lippen dick wie seine Lippen, und ihre Augen flogen beweglich umher wie seine Augen. Es war seine Mutter Grete, der ihr Sohn so ähnlich sah, und es war eine starkknochige feste Frau, vor der die Leute umher meist mehr Furcht als Zuneigung empfanden, denn sie galt als falsch und böse, aber auch als klug und erfahren in vielen Dingen. Wenn Einer krank war, ging er zu ihr und holte sich Rath. Sie konnte die Rose und das Blut besprechen, konnte Warzen fortschaffen und konnte Gliederschmerzen heilen. Sie machte auch Salben gegen Frost und Wunden und kochte Tränke gegen alle Krankheiten, aber das Beste that doch ihr Pusten und Streichen und was sie heimlich dabei murmelte und Kreuze machte. Es war also eine weise Frau, die häufig in die Bauerhöfe geholt wurde, aber sie wußte auch sonst noch von vielen verborgenen Dingen, sagte manchem Mädchen ihr Schicksal voraus, was ihr bestimmt sei und was nicht, was geschehen müsse, wenn Wünsche sich erfüllen sollten, und was Jeder thun solle, wenn er Schaden oder Unglück von sich abwenden wollte.

Daß die kluge Grete ihrem Sohn Clas zumeist Glück zu schaffen suchte, und daß Sigrid ihr wohl gefiel, konnte ihr Niemand verdenken. Sie war einverstanden, daß Clas diese für sich ausgesucht, auch wußte sie, was entgegen lag und fortgeschafft werden mußte. Als sie heute gekommen, war es ihre Absicht, Gullik Hansen weiter in den rechten Weg zu bringen, und leid that es ihr nicht, daß üble Dinge ihn betroffen. Daß sie kam, war aber auch dem Fischer lieb. Sie konnte nach dem Knaben sehen und Rath geben, that dies auch, strich ihm Kopf und Hände, blies ihn an, betrachtete und bekreuzte ihn. Darauf setzte sie sich an das Feuer und zog aus ihrer Tasche eine kleine schwarze Tabakspfeife. Gullik reichte ihr seinen Tabaksbeutel hin, und sie stopfte die Pfeife, brannte sie an und rauchte. Das graue Haar hing ihr unter dem Kopftuch hervor, der Feuerschein spielte über ihr Gesicht, und zuweilen beugte sie sich über den Heerd und sah in die weiße Asche, die das Birkenholz übrig ließ.

Es dauerte ziemlich lange, daß Keiner sprach. Gullik saß still und ließ sie gewähren, bis Grete endlich dreimal in’s Feuer spuckte und den Kopf zu ihm hindrehte. „Richtig ist’s nicht hier,“ sagte sie, „das Unglück hast Du im Hause.“

„Was für Unglück?“ fragte Gullik.

„Du magst es machen, wie Du willst,“ fuhr sie fort, „es wird Dich nicht verlassen, wenn Du nicht klug bist.“

„Was meinst Du?“ fragte er weiter.

„Es hat Einer Dich verflucht, möchte Dich verderben.“

„Womit?“ fragte Gullik langsam und starrte sie an.

Eben rief draußen Clas: „Willst Du von der Thür, Du Beest, Du! Ich schlage Dich todt, Du Teufelsvieh!“

(Fortsetzung folgt.)



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