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Geistes, der von Gottes reichsten Gnaden hochbegabte deutsche Dichterheros, der zu dem Städtchen da drüben an der hellen Rößla die herzlichen Worte sprach: „Ich bin gern in Dir geboren, Städtchen am langen hohen Gebirge, dessen Gipfel wie Adlerhäupter zu uns niedersehen! Ich bin gern in Dir geboren, kleine, aber lichte Stadt!“ Liebling der genialen Königin – wie er sich denn des schönen Glücks erfreuen durfte, von allen geist- und gemüthreichen deutschen Frauen geliebt und geehrt zu sein – hatte der Dichterfürst einst (1792) poetisch-genußreiche Tage am Hofe zu Hildburghausen im Umgange mit den drei durch Schönheit, Anmuth und Geistesbildung hervorstrahlenden Prinzessinnen von Mecklenburg-Strelitz, Charlotte (Gemahlin des Herzogs von Sachsen-Hildburghausen), Louise und Friderike, verlebt und ihnen als den „drei fürstlichen Grazien“ eins seiner Bücher gewidmet. Jetzt stand er der gefeierten Prinzessin als seiner angebeteten Königin gegenüber, der große echt deutsche Mann der großen echt deutschen Frau, auf’s Herzlichste von ihr und ihrer Schwester Friederike (Gemahlin des Prinzen Solms, früher die des 1796 verstorbenen Prinzen Ludwig von Preußen, Bruder des Königs) begrüßt; und die beiden hohen Damen plauderten mit dem verehrten Dichter, dem sie so viel Gutes und Schönes verdankten, von ihrem gemüthlich reizenden Zusammenleben in der kleinen thüringisch-fränkischen Residenz.

Aber wahrlich, die Aristokratie der Geburt und des Geistes war es nicht allein, die sich in Alexandersbad um die hohe Frau schaaren durfte; von ihr beglückt und sie beglückend, trat das ganze Volk mit Jubelgruß an ihren Weg. Alles, was Füße hatte, eilte in das grüne Thal der Waldquelle, eine Massenwanderung der preußisch-fränkischen Bevölkerung zum allgemeinen Freudenfeste. Die Königin sehen und ihr zujauchzen, galt den treuen Menschen für das höchste Glück. Greise und Greisinnen mußten herbeigeführt werden, um der hohen Frau einen zärtlichen Blick zuwerfen, ein Segenswort zurufen zu können; Mütter trugen ihre Kinder meilenweit, um ihnen die geliebte Landesmutter zu zeigen.

Der König verschwand fast in diesem der weiblichen Majestät und Anmuth dargebrachten Cultus. Ein Freudentag reihete sich an den andern; die Hochgefeierte lebte in einem dauernden Wonnerausch. Bald zog die Landwehr der Umgegend im Festgepränge auf, stolz den Dienst beim Königspaare zu verrichten; bald die Schützenmannschaften, „geschmückt mit grünen Reisern“, bald die Bergleute in Fackelzügen und Tänzen; bald die Schulkinder, die Beamten, die Geistlichen, die Förster und Jäger, Alle mit Sang und Klang. Lustpartien zu den schönsten Stellen des Gebirges wechselten mit Bällen, Vogelschießen und Märkten. Denn der Verkehr hatte sich rasch so ungemein gesteigert, daß in dem sonst so stillen und einsamen Waldthale wie von selbst ein Markt entstand, von den hohen Herrschaften nicht minder frequentirt, wie von allem Volke, eine aus dem allgemeinen Liebesbedürfniß erwachsene Messe, nicht der geringste Beitrag zum großen Freudenfeste, wie nicht leicht eine zweite zu Stande kommen wird. – Die Krone dieser allen Franken und Vogtländern unvergeßlichen Tage war der 15. Juni, wo das Königspaar den „Bergthron“ auf den „Bergstufen, die ihn verschönert,“ zum erstenmal bestieg.

Der mäßig hohe waldige Berg mit seinen Felsenwundern, der sich dicht an Alexandersbad allmählich erhebt und eine Stunde lang von Nordost nach Südwest dem Hauptgebirge (dem Kössein und der hohen Mätze) zustreicht, hieß die Luchsburg, von einer auf dem Gipfel in die Granitblöcke gebauten kleinen Burg, wo ein Stamm des vogtländischen Adels „vom Stegreif gelebt und sich der Reiterei genährt“. Es ist schwer begreiflich, wie die Herren in dieser Wildniß nur ein einigermaßen erträgliches Leben zu fristen vermocht. Der Sage nach Kind des zehnten Jahrhunderts, wurde die Burg, die mit der Zeit ihren Namen dem ganzen Bergrücken mitgetheilt, zu Anfang des vierzehnten von den Söldnern der Stadt Eger, der die Räubereien der Luchsburger beschwerlich fielen, zerstört, und Jahrhunderte lagen Mauertrümmer und Felsen, ein chaotisches Labyrinth, durcheinander, selten von einem kühnen menschlichen Fuße besucht, aber bis in die neueste Zeit Wohnung von Füchsen und Luchsen. Nur ein Tag im Jahre war’s, der die Wunsiedler massenweise herauflockte, und eine Stelle, die sie besonders anzog und vereinte. Dieser Tag war der in die Mitte des Juli fallende St. Margarethentag, und diese Stelle eine kolossale Granitplatte, Podium eines seltsamen Volksvergnügens, dessen Verständniß uns verloren gegangen ist. Man würde es nicht errathen, wozu die Platte diente, nämlich zum – Theater für von Lehrern des Wunsiedler Lyceums verfaßte, von ihren Schülern aufgeführte lateinische Schauspiele. Die Stadtkammer verwilligte Geld, es wurden Hütten gebaut; auch saß das nur wunsiedelisch-deutsch verstehende Publicum auf den umherzerstreuten Granitblöcken und tractirte die lateinisch recitirenden Schauspieler mit Wurst, Schinken und Bier. Zuletzt amüsirte man sich fichtelgebirgisch auf eigene Faust, so daß der Tag doch noch zum leidlichen Volksfeste ausschlug. Noch 1764 wurde der St. Margarethentag auf angegebene Weise gefeiert, und eine Inschrift des in seiner Art einzigen Podiums gibt den Festtag und die Namenschiffer eines Edelmannes aus Regensburg, der sich’s Geld hat kosten lassen, die untern Felsen des Berges mit vielen eingemeißelten Worten zu versehen.

Erst mit dem Emporkommen des Bades erwachte in den Wunsiedlern der Sinn für die giganteske Schönheit dieser Felsenwelt. Von 1788 an wurden die untern Partien von einem Stadtarzte und seinen Freunden durch mühsame und kostspielige Arbeiten geöffnet. Reiche Badegäste steuerten in die Verschönerungscasse des Doctor Schmidt, der sich dem dankbaren Geschäfte unterzog, aus dem grausig schönen Material ein großartiges, den Schönheitssinn in erhabener Weise befriedigendes Gedicht im echten Lapidarstyl zu bilden, und es war des Dichters glücklicher Gedanke, die Königin Louise zur Taufpathin dieses Wunders der Natur und Kunst zu machen. Am 15. Juni sollte die Taufe stattfinden.

Den von glücklichen Menschenschaaren umwallten königlichen Gästen trat aus der am Wege gelegenen, jetzt „Klingershöhle“ benannten Grotte ein Chor weißgekleideter Mädchen mit der huldigungsvollen Erklärung entgegen, daß der Berg von nun an „Louisenburg“ heißen werde. In den Augen der Königin schimmerten Freudenthränen; Rührung und Ueberraschung ließen sie kaum einige Worte finden. Ueber ihre Gestalt glitt ein Hauch überirdischer Schönheit. – Die Taufweihe der Louisenburg war einer der schönsten, aber auch letzten glücklichen Momente im Leben der erhabenen Frau.

An einer höhern Stelle des Berges, wo die Granitmassen und abgekanteten Blöcke sich in abenteuerlichster Weise emporschichten, und an ihrer Wand auf reizendem Plätzchen mit wildromantischer Aussicht auf die unteren Partien eine Steinbank, auf welcher später die Königin gern verweilte, den Namen „Louisensitz“ führt, wurde das königliche Paar von einem Gesange mit Musikbegleitung begrüßt. Das Lied war eine Dichtung Jean Paul’s.

Jene Tage waren der Höhepunkt im Leben der Königin. In Frühlingspracht der Gebirgsreize an der waldumkränzten Heilquelle, umwaltet von der Liebe des Gatten, der Verwandten und Freunde, gehoben von der Nähe des Dichters und der Begeisterung des Volkes, sprach sie dieses Glück in einem Handschreiben an die Wunsiedler Schützengesellschaft, die sie auch zur Schützenkönigin gemacht, aus, mit welchem sie derselben eine Fahne überreichen ließ, bestimmt die Erinnerung daran zu erhalten.

Und so schied sie im Besitz des Inbegriffs aller Glückseligkeit, der Liebe, Verehrung, Jugend, Anmuth, Schönheit und Königsherrlichkeit am 7. Juli aus diesen Thälern, begleitet von den Segenswünschen des Volkes. Aber schon zogen sich die Wetterwolken zusammen, aus welchen der verderbliche Blitz auf den preußischen Thron niederfahren sollte. Noch war der unheimliche Corse nicht zum Zenith seiner kometenartigen Laufbahn emporgestiegen. Der Zusammenstoß seiner Macht mit Preußen, das der fanatischen Begeisterung der französischen Heere für ihren Kriegsfürsten nur die erbleichten Erinnerungen an den Kriegsruhm des großen Friedrich entgegen zu setzen vermochte, stellte sich als unvermeidlich, der unselige Ausgang als kaum zweifelhaft heraus. Das unschuldige Opfer der Verkehrtheiten und Unterlassungssünden von der einen, und der Gewaltthaten von der andern Seite war – Königin Louise.

Es ist für das Verständniß beider Parteien bezeichnend, daß Napoleon’s Haß vorzüglich die Königin traf. Hier zeigen sich die Factoren in ihrer wahren Gestalt, hier lernt man den gerühmten Imperator, hier die geschmähte Königin kennen. Kein schrofferer und charakteristischerer Gegensatz, als Napoleon und Louise! Er der gewaltige Dämon mit der Fackel der Zerstörung, die er an der niedergetretenen Gluth der Revolution entzündet, in der Faust; sie der hohe Genius mir dem sanft glimmenden Stern der Liebe, der sein Licht aus Menschenglück sog, auf dem Haupte! Er mit dem lauernden, düsterglühenden Auge der Falschheit und des Hasses;

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 443. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_443.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)