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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

„Nein, nein!“ versetzte der Verwalter, „ich hoffe auch, Du sollst mit mir zufrieden sein.“

So schieden sie in bester Freundschaft; als Clas sich aber von dem Hause entfernte, hörte er drinnen wieder das Gelächter und mußte mit lachen. „Wart, Du alter dummer Kerl,“ sagte er, „Dir wird das Lachen bald vergehen. Ist Alles abgethan, wirft Schiemann Dich doch hinaus, und wenn Einer hier Meier sein soll, so will ich es sein und kein Anderer.“

Clas blieb in froher Laune, besuchte noch ein paar Bekannte, that groß mit seinen Aussichten und seinem Ansehen bei dem reichen Kaufmann und kam zurück, als der Abend schon dämmerte. Er hatte noch manches Glas getrunken, und als er in seinem Boote an Gulliks Haus hinfuhr, sah er Sigrid vor der Thür sitzen.

„Heida!“ schrie er hinaus, „geht’s Dir gut, Sigrid?“

„Es geht gut,“ nickte sie und lachte.

„Soll ich zu Dir kommen?“ fragte er.

„So komm!“ rief sie hinab.

Gleich war er oben, und da saß sie wieder bei einem Netze.

„Nun mußt Du den Knäuel fortwerfen und mit mir sprechen, klein Sigrid,“ sagte er, „ich habe Dir viel zu erzählen.“

„Was ist es, Clas?“ fragte sie.

„Ei, Du Wetterding!“ schrie er, „thust Du, als wüßtest Du es nicht? Bin ich nicht Clas Gorud? Gleich komm her und rück nicht fort. Sieh dort nach dem Torsfjord hin, da sollst Du wohnen. Binnen vier Wochen ist Alles dort mein und Du auch.“

„Schrei nicht so,“ sagte Sigrid. „Mein Bruder ist eingeschlafen, es geht heut um vieles besser. Aber er könnte aufwachen.“

„Laß ihn,“ sprach Clas, „ich hab’s mit Dir zu thun. Ein sechsrudrig Boot wird dort liegen, andere dazu, und wer weiß, was dann weiter geschieht in kurzer Zeit. Wer weiß, ob’s nicht besser ist, Verwalter in Meldalsgaard zu sein. Was sagst Du dazu?“

„Mir gefällt es,“ antwortete Sigrid.

„Und möchtest mich gleich heirathen? Wie?“

„Ich möchte wohl, Clas,“ sagte sie, ihre Augen lustig aufschlagend, „aber –“

„Was hast Du?“

„Ich fürchte mich.“

„Wovor?“

„Hast Du nicht gehört, was Thorkel gesagt hat?“

„Thorkel? haha!“ lachte er gewaltsam auf. „Verdammt soll er sein und sagen – sagen – was war’s?“

„Der Seehund würde Dich fressen!“

„Mich nicht, sei sicher, doch ihn – ihn! Komm her, klein Sigrid, ich laß Dich nicht.“

Da schnarchte und schnaufte es unter dem Netze, und ein mächtiger grauer Kopf klappte seine weißen Zahnreihen auf. Mit einem Satze stand Clas drei Schritte weit, stier blickend mit weit aufgerissenen Augen und sprachlos. Aber Sigrid drückte ihre Hände in die Seiten, verbarg ihr Lachen und rief, als seufzte sie vor Kummer: „Ich sagte es ja, Clas, warum hörst Du nicht? Er frißt Dich auf, also kann es nicht sein.“ Indem sie dies sagte, stieg ihr Vater die Steine vom Ufer herauf; eben war er in seiner Jolle dort gelandet. Er sah den Hund und sah Clas, blickte finster auf Beide, darauf seine Tochter an.

„Wo kommt der Hund her?“ fragte er rauh. „Da ich heute früh abfuhr, war er nicht da.“

„Ich weiß es nicht,“ antwortete Sigrid, „doch als ich aus der Thür trat, da Du fortwarst, lag er auf der Schwelle naß im Sonnenschein.“

In des Fischers Gesicht rührte sich keine Miene. „Geh hinein,“ sagte er zu Sigrid und wandte langsam den Kopf. Darauf, als die Thür geschlossen, sprach er zu Clas: „Wohin hattest Du ihn gebracht?“

„So wahr mir Gott helfe!“ versetzte Clas, „ich brachte ihn in den Langfjord und – und – wenn’s kein höllischer Teufel ist, so weiß ich nicht, wie er zurückkommen konnte.“

Gullik Hansen drehte sich um, ging in sein Haus und warf die Thüre zu. Ein paar Minuten stand Clas unentschlossen, seine Augen hefteten sich auf den Hund, der ihn unverwandt ansah, und jetzt fiel ihm Alles ein; er konnte es nicht fassen. Mit scheuen Blicken sah er sich um, des Hundes Kopf schien immer größer und dicker, die Augen immer feuriger zu werden. Rasch sprang er hinab und eilte schnell davon.

Als es aber finster geworden war, kam die alte Grete und ging in Gulliks Haus. Sie setzte sich an des Fischers Heerd und sprach mit ihm. Er war noch kummervoller: der Fang war wieder schlecht gewesen, er hatte seine Boote draußen gelassen mit seinen Männern in der Bucht von Ageröe und kehrte in der Jolle allein zurück, vielleicht, daß es ohne ihn sich besserte. Der Knabe aber, mit dem’s am Tage besser gegangen, lag nun wieder im Fieber und in Betäubung. Er hatte ihn nicht gekannt, sondern sprach irre.

„Weil der Neck und der Fluch nicht von Dir lassen wollen,“ sagte Grete, „sonst wär’s anders; weil sie den Hund Dir in’s Haus zurückgeschickt haben, liegt der Junge im Krampf. Ehe Du den Hund nicht los bist, kommt nichts Gutes. Jetzt mußt Du ihn selbst fortschaffen, gleich morgen, noch ehe es hell wird. Fahre mit ihm hinaus nach Haröe’s Klippe Onen. Da gibts tiefe Löcher zwischen den Felsen, das sind Hexenlöcher, darin wohnen die Meertrollen. Dort hinein wirf ihn; darin muß er umkommen. Hörst Du?“

„Ich hör’s,“ murmelte Gullik.

„Noch Eines,“ sagte Grete und faßte ihn beim Arm, „darauf merke. Ehe Du ihn hinabstößt, nimm Dein Messer und stich ihm die Augen aus.“

„Nein, nein,“ schüttelte sich der harte Mann, „das kann nicht sein.

„Es muß sein,“ sprach Grete, „sonst kommst Du nicht frei, und Anders –“ In dem Augenblick drang aus der Kammer ein Schrei, und der bekümmerte Vater sprang auf und ging hinein. Grete schaute ihm nach und rief: „Mach’ Dein Messer scharf, sonst ist es vorbei mit ihm.“

Um die neunte Stunde stieg Clas zu dem Pfarrhofe hinauf und blieb seitwärts stehen, wo nach der Kirche hin mächtige Steine lagen. Dort setzte er sich nieder, knöpfte seine Jacke dicht zu, zog den Kragen über die Ohren und steckte die Hände in die Taschen, denn es war kalt geworden. Ein feiner, feuchter Nebel, durch den doch einzelne Sterne glänzten, wurde vom Wasser herauf in die Luft getrieben. Clas saß still und wartete. Er sah hinab nach Gulliks Haus und konnte das Licht darin erkennen. Dabei dachte er an Sigrid, und ein grimmiges Lachen lief durch sein Gesicht. „Ich will Dich doch haben,“ murmelte er, „und dann will ich Dich demüthig und folgsam machen.“ Dann fiel ihm wieder der Hund ein; er hatte seiner Mutter Grete, erschrocken wie er war, Alles erzählt, aber sie hatte ihn getröstet. Das Band am Sack mußte aufgegangen sein, vielleicht war auch keines darum geknüpft gewesen, Clas wußte es nicht. Da das Vieh in der Tiefe lag, hatte es sich befreit; Seehunde können lange unter Wasser bleiben. So war er entkommen und fand den Weg zurück. Aber von Thorkel wußte Niemand, der war verschwunden. Grete hatte eben von einem Nachbar vernommen, daß eine Fischerjolle aufgefunden wurde, auf den Steinen von Vedöen, halb voll Wasser. Morgen würde es Sigrid auch wohl erfahren und mehr dazu, daß Thorkel die Jolle geliehen, und dann – Clas stemmte seine Arme auf seine Kniee und lachte boshaft in seine Hände. „Was geht es mich an?“ sagte er, „mag sie weinen, wenn sie will; sie wird schon aufhören, und dann ist der Schandbube vergessen.“

In dem Augenblick schreckte er auf. Ein dunkler Schatten glitt an dem Pfarrhause hin. Er kam vom Garten her; wo es in die Tiefe hinunter ging, war er verschwunden. Clas hatte Schritte gehört und anfangs gemeint, es sei Herr Schiemann, dann aber wußte er nicht, was wahr oder falsch sei. Es brauste in seinem Kopfe wie ein Donner, um ihn her schwebten schreckliche Gesichter. Er sah eines, blaß und naß, langer Seetang hing daran nieder, darunter weit offene stiere Augen. Er konnte sich nicht bewegen, obwohl es ihm immer näher kam, immer schrecklicher wurde. Da ging die Thür im Pfarrhause auf, und ein heller Lichtschein flog über den Platz, gerade auf Clas, fort waren die Gespenster.

„Gute Nacht, bester Freund! Träumt recht viel Schönes, Jungfrau Else, und morgen erzählt es mir, ich verstehe mich auf die Auslegekunst!“ rief Herr Schiemann an der Thür und nahm dort Abschied.

Und Clas rieb sich die Augen, reckte seine mächtigen Schultern, ballte die Fäuste und sprach: „Das ist Alles Quark, meine Mutter hat Recht. Wer todt ist, kommt nicht wieder. Neckt’s mich noch einmal, so schlag ich’s in den Grund.“

„Bist Du da, Clas?“ fragte Herr Schiemann.

„Ja, Herr,“ antwortete dieser.

„Bringst mir gute Nachricht?“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 467. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_467.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)