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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

„Steht Alles gut, Herr.“

„Nun, so komm und fahr mich über,“ lachte der Kaufmann, „mit mir steht es auch gut. Ich glaube, Du wirst nächstens in dem neuen Boote am Torsfjord sitzen.“




7.

Als der Morgen dämmerte, stieg Gullik Hansen in sein kleines Fahrzeug und stieß rasch vom Ufer ab. Nur einmal warf er die Augen nach seinem Hause hinauf und zog sie scheu zurück, sah nach vorn hin, wo unter der Ruderducht wiederum ein Sack lag und darüber sein dicker Friesrock. Dann setzte er die Segelstange ein und blickte nach den Trolltinden hinauf. Von dort her kam der Windzug. Nachdem er die Leinen geordnet und den Kloben in den Haken gehängt, ließ er das Segel ausrollen und griff nach den Schoten. Die Jolle lief leise in den Canal von Otteröe, sie lief mit der Ebbe mehr als mit der schwachen Luftbewegung. Grämlich vor sich niederschauend, saß Gullik lange Zeit, denn es war ihm schwer ums Herz; ein schlimmer Gang, den er vorhatte.

Mitten im Canal frischte der Wind ein wenig auf, das Boot zog rascher an der Insel Mien vorbei, dann lag breites Wasser vor ihm, jenseit eine lange Kette niederer Felseilande, die einen granitnen Wall gegen die brandenden Wogen des atlantischen Meeres bilden. Die Nebel flogen hier rasch in grauen langflatternden Streifen und Fetzen über das Wasserbecken. Der Wind trieb sie vor sich her ins Meer hinaus, aber über der langen Felsenlinie hingen sie schwer und dunkel und bildeten eine düstere Bank, aus welcher da und dort ein kahler, schwarzer Kopf aufragte. Zur Linken hoch am Himmel lagen die Trolltinden im hellen Sonnenschein; das Tagesgestirn kam leuchtend über dem weißen Doppelkegel des Romsdalshorns hervor und überfunkelte den ganzen Kranz der Hochlandsgipfel mit seinen Strahlen.

Wenn Gullik Hansens Herz nicht so beschwert gewesen, hätte er sich wohl an diesem edlen Gottesmorgen freuen mögen. Da er weiter hinauskam, glänzte die Sonne auch warm über ihm und sein Boot und spielte mit den kleinen hüpfenden Wellen, die zu glitzern und zu flüstern und zu lachen begannen. Fische sprangen auf und zeigten ihre silbernen Seiten. Die Möven und die Meerschwalben schrien über ihm und schwirrten freudig um seinen Mast; schwarze Alken mit rothen Kämmen saßen auf den Klippen, schlugen mit ihren Flügeln und sonnten sich; alle Thiere empfanden neues Leben, das Wetter wurde besser – da fiel des Fischers Blick auf den Sack unter seinem Rock, der bewegte sich auch und schob sich zur Seite – er wandte seinen Kopf schnell davon fort und sah nach Otteröe hin, um nichts mehr von dem Sack zu sehen.

Die Insel hat hohe Küsten, und wo die Meldalsbucht sich öffnet, sprang ein Vorgebirge scharf in die See hinaus. Dort standen zwei Männer und schauten auf die Jolle, die ihren Weg quer über nach Sondöe nahm. Die Entfernung war schon weit, Gullik konnte die Leute nicht erkennen, aber er meinte, daß der Eine davon der alte Horngreb sein müsse; der Andere schien ihm jung und groß und trug einen Mantel, den der Wind flattern ließ. Ueber Gullik kam ein Gedanke, bei dem er seine Augen noch mehr anstrengte, aber er schüttelte endlich doch den Kopf. Er kannte den jungen Erik Meldal gut genug, seinen Vater hatte er noch besser gekannt. Es war ein wackerer Herr gewesen, niedere Leute hatten ihn immer gern gehabt, und Gullik dachte mit Kummer daran, wie das alte Geschlecht herunter gekommen sei und nun sein Gut dem reichen Herrn in Molde zufallen sollte. Das war ein harter, schlauer Handelsmann, freilich klug und niemals ein Verschwender. Es mochte ihn keiner gern, aber er konnte commandiren, denn jeder fürchtete ihn, und in Molde machten es ihm die anderen Herren nach, er gab den Ton an. In den alten Familien war ein großmüthig Wesen: mochten manche auch stolz und hochfahrend sein, so saugten sie doch arme Leute nicht aus, wie die Handelsherrn. Diese drängten und zwackten, suchten nur ihre Vortheile, und jemehr sie zur Herrschaft gelangten mit ihren Speculationen, Landkäufen und Waldkäufen, um so geringer wurden die Verdienste der Fischer und Arbeiter.

Gullik Hansen fühlte daher bei seiner Vorstellung über den Fremden dort oben den Wunsch, daß es Erik Meldal sein möchte; aber wo sollte der herkommen, und wenn er es wäre, was konnte es helfen? Das Gut war doch einmal schwer verschuldet, die Schuldbriefe hatte Herr Schiemann: wo sollten Mittel herkommen, die zu bezahlen? Dann dachte Gullik daran, was Clas Gorud ihm erzählt, was dem bevorstand und was ihm selbst durch Clas und dessen Freundschaft an Vortheilen zuwachsen sollte. Da fiel ihm sein ganzer Kummer wieder ein. Es fiel ihm Sigrid ein und der liederliche, falsche Thorkel, von dem er wohl früher gedacht, er sollte sein Mädchen haben, sie sollten ein Paar werden. Aber Thorkel hatte über seinen Vater Schande und Tod gebracht, und der Erbe von Meldal war nicht besser denn er. Und Anders lag krank auf den Tod, und in dem Seehund steckte ein Hexenfluch, der ihn unglücklich machen sollte. Der Knabe war munter gewesen lange Zeit, doch so wie er Thorkel von seiner Thür gewiesen, so wie dieser gerufen: „Mag es Dich nie gereuen!“ war das Unglück gekommen.

Anfangs wohl hatte der Fischer gezweifelt, ob Thorkel es ihm angethan, aber nach und nach wurde der Aberglaube mächtiger. Es gab Zaubersprüche und böse Menschen, die solche Künste verstanden. Thorkel hatte in seiner Sache sich an solche gewandt oder kannte solchen Bannfluch, und die alte Grete verstand sich darauf. Sie wußte, daß der Hund aus dem Hause müsse, der Hund, der Thorkels Geschenk war, den der Knabe liebte und Sigrid. Und wäre der Teufel nicht dabei gewesen, wie konnte das Thier den Weg ins Haus zurückfinden? Darin mußte es doch stecken. Der Hund mußte fort, es mußte so geschehen, wie Grete es geboten, und indem er grimmig auf den beweglichen Sack schaute, preßte er seine Zähne zusammen und sagte mit Festigkeit: „So soll es sein und nicht anders. Wenn das Kind gesund wird, soll Sigrid Clas heirathen. Habe wohl nimmer gedacht, diesen zum Schwiegersohn zu nehmen, aber er ist ehrlich, und wenn er die Stelle am Torsfjord hat und ein sechsrudrig Boot, ist nichts mehr zu sagen. Er kann mir auch Vortheile verschaffen bei dem Herrn Schiemann, was aber kann ein solcher Landläufer, wie der, den ich mit Recht aus dem Hause warf?“

Nach dieser Rechtfertigung lockerte Gullik sein Segel, denn der Wind wurde stärker und blies mehr nördlich. Das Boot flog jetzt rasch auf die Felsen von Sondöe los und dann daran vorüber in’s Meer hinein, wo ganz außen noch eine hohe Klippe aus dem Wasser ragte: das war Onen, wohin Gullik wollte. Nach beiden Seiten in der Ferne gab es schwarze Punkte auf den Wellen, das waren Fischerboote, die dort ihren Fang trieben, aber Gullik lief mit seinem Fahrzeug in einen kleinen Einschnitt am Felsen, deren es viele gab, und dann sprang er auf die Steine, zog die Jolle weit hinauf, ergriff den Sack und trug und schleppte ihn mit Mühe bis auf die Höhe der Klippe.

(Schluß folgt.)




Deutsche Bilder.
Nr. 4.
Schill und seine Reiterzüge.
Von Schmidt-Weißenfels.

Man kennt die traurige Geschichte von Jena und Auerstädt, die Geschichte des Zusammenbruchs von Friedrich des Großen Monarchie; man kennt diese wohlthätige Bluttaufe des preußischen Staats, wenn man auch heute noch immer nichts daraus gelernt hat. Der alte Tick machte damals bitteres Fiasco, die alte Gottesgnädiglichkeit ward sehr prosaisch heimgesucht, die großen Herren mit ihren großen Worten zogen kleinlaut, oftmals feige wie ehrlose Buben von dannen. Das erste Beispiel hundsföttischer Gesinnung gab Erfurt, und nur zu bald folgten ihm die meisten anderen Festungen Preußens mit ihren alten Commandanten. Spandau ergab sich, Küstrin ergab sich, Stettin öffnete einer Schwadron Franzosen – am 29. Oktober 1806, vierzehn Tage nach der Jenaer Schlacht – die Thore, Magdeburg, die Erzfestung, capitulirte, Glogau capitulirte, Breslau capitulirte, Brieg und das feste Schweidnitz capitulirten – kaum daß man hier und da nur den ernstlichen Versuch eines Widerstandes gemacht, nirgends, wo

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 468. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_468.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)