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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Mit jedem Augenblick nähern sich die Reiter den wunderlichen Geschöpfen, und wie sich ihre Stellung zu denselben verändert, so verändern diese ihre merkwürdigen Formen, denn nachdem sie zu beinahe unsichtbaren Punkten zusammengeschrumpft sind, beginnen sie wieder in die Höhe zu schießen und zu wachsen, bis sie langgereckten, spindeldürren Kranichen gleichen. Die beiden Kraniche reißen mitten auseinander, und es erscheinen deren vier, von welchen zwei auf den Köpfen stehen, auf ihren hoch hinaufreichenden Füßen ihre eben so langbeinigen Doppelgänger tragen und deren kleinste Bewegung genau nachahmen. Das Wasser scheint unter den gespenstigen Bildern fortzugleiten, und nach wenig Schritten erblicken die Reisenden zwei hungrige Krähen, die sich bei ihrer Annäherung von dem glühend heißen Sande erheben und verdrießlich krächzend über sie hinflattern. „Das sind die bösen Geister,“ sagt der Indianer, „aber sie lauern vergeblich auf unser Fleisch.“

Sein Gefährte nickt, und schweigend verfolgen sie dann wieder ihre staubige Straße. Mechanisch halten sie die Augen auf einige Wildspuren geheftet, welche, an den runden Aushöhlungen in dem losen Sande kenntlich, in derselben Richtung stehen. Eine Bewegung der Thiere veranlaßt die Reiter aufzuschauen, und sie erblicken in geringer Entfernung eine schöngezeichnete Antilope, die sich eben erhoben hat und sie neugierig betrachtet. Die Büchsen gleiten in die Hände, doch wie im Bewußtsein einer annähernden Gefahr, eilt das anmuthige Thier in langen Sprüngen dahin. Nach kurzem Lauf erreicht es den See; das Wasser hemmt nicht seinen flüchtigen Fuß, aber wie ein muthwilliger Kobold verändert und verdoppelt es seine Gestalt in der nächsten Minute. Sich hin- und herschwingend wachsen die beiden über einander hängenden schattenähnlichen Figuren, nach einigen vergeblichen Versuchen der Vereinigung, fest zusammen, und sich ausreckend zur langhälsigen Giraffe und zusammensinkend zur unbeholfenen Schildkröte, eilt die Antilope unaufhaltsam dahin. Plötzlich versinkt sie in den Wellen, Kopf und Hals ragen noch hervor, doch auch diese verschwinden, wie bei Ertrinkenden erscheinen noch einige Male die äußersten Spitzen der Ohren und des Geweihes auf der Oberfläche, und auf vielen Quadratmeilen durch nichts unterbrochen, zittert und bebt das trügerische Wasser in seiner gewöhnlichen neckischen Weise. Stunden verrinnen, ermattet folgen die Thiere dem fliehenden See, der sich wie spielend ausdehnt und verkleinert und beständig seine niedrigen Ufer verschiebt; Inseln tauchen auf und verschwinden wieder; ein schmaler Landstreifen begrenzt zeitweise den Horizont, und stromähnlich schießen zuweilen Wasserstrahlen nach verschiedenen Richtungen hin.

Die Sonne senkt sich, schräger fallen die Strahlen, häufiger werden die Inseln, weniger das Wasser, bis endlich nur noch hin und wieder kleine Pfützen die mattgelbe Sandfläche zieren; doch auch diese zergehen, und ungestört liegt sie wieder da in ihrer traurigen Oede und Einsamkeit, die nackte, schreckliche Wüste.

„Ich wollte, das Wasser wäre nicht mehr ferne,“ sagt der weiße Reiter zu dem braunen, indem er mitleidsvoll den bestaubten und von Schweiß triefenden Hals seines geduldigen Thieres klopft.

„Eh’ die Sonne sinkt, werden wir dort sein,“ antwortet dieser, und stumm reiten sie dann wieder neben einander hin.

Da spitzen die Thiere plötzlich die Ohren, schnaubend stoßen sie den heißen Athem durch die weitgeöffneten Nüstern und ohne durch Peitsche oder Sporen aufgemuntert zu sein, beschleunigen sie ihre Schritte. – Nichts verkündigt dem Auge des Menschen die Nähe des Wassers, die Thiere aber haben es erkannt, neues Feuer blitzt aus ihren Augen, und so leicht eilen sie dahin, als ob keine Last ihre Rücken beschwerte. Eine Stunde später trinken Reiter und Thiere aus einer spärlichen aber klaren Quelle, welche in einer Thalsenkung den sandigen Boden in geringem Umkreise befeuchtet. Etwas Gras, untermischt mit dornigen, krautähnlichen Stauden, fesselt die Thiere besser, als es die langen Fangleinen vermöchten, und nach kärglichem Mahl aus der gefüllten Satteltasche lagern sich die Wanderer, um sich nach mühevoller Reise des erquickenden Abends und der nächtlichen Ruhe zu erfreuen. Die Sonne versinkt; schnell geht die Dämmerung in Dunkelheit über, tiefer Schatten bedeckt Alles, was das Auge unsanft berühren könnte, und gestattet es der regen Phantasie, sich mit Bildern reicherer Zonen zu umgeben; aber von mildem Licht übergossen erglänzt das sternenbesäte Firmament und erzählt und zeugt von der genauen Befolgung streng vorgeschriebener Gesetze.




Ein einsames Herz.
Von F. Brunold.

Der Leichenwagen hielt vor der Thür. Die alten Frauen, die, wie bei den Trauungen vor den Kirchen, bei jedem Leichenbegängniß vor den Häusern sich aufhalten, standen auch hier, die Hände unter der Schürze, um sich wie immer, über Jedes ihre Bemerkungen laut und ungehindert mitzutheilen. Sie warfen einen Blick auf den Leichenwagen und sagten: „Es ist der große! Also keine kleine Leiche!“

„Ja!“ sagte die Eine, „dort kömmt auch Geheimraths Kutsche angefahren.“

„Und der Herr Rechnungsrath von neben an,“ sagte eine Andere, „hat sogar seine Orden vorgebunden und den neuesten Frack angezogen. Man sollt’s nicht meinen!“

„Und nun sehe Einer die Blumenpracht!“ sagte die Dritte. „Sollt’ man nicht glauben, die Dinger wüchsen jetzt wie die Grashalme auf allen Plätzen? Und wir haben doch erst April im Kalender, wo eben die Rosen und Schmucklilien nicht wie Gras wachsen. War das ein Anblick!“

In diesem Augenblick fuhren wieder mehrere elegante Kutschen vor, in denen, wie man sah, reiche und vornehme Herren saßen. Auch der Prediger kam und ging in das Haus. Mehrere Damen, in tiefe, schwarze Gewänder gehüllt, blühende Myrthen und andere herrliche Blumen in der Hand, folgten bald darauf. Alle schritten sie mit dem unverkennbarsten Zug der tiefsten Trauer die Treppe hinauf zur Wohnung, wo die Leiche stand.

„Wer ist gestorben?“ frug eine schöne blühende Frau. „Wohl ein junges Mädchen, das oben im Sarge liegt?“

„Nicht jung! nicht hübsch mehr!“ hieß es. „Die droben liegt, war eine arme Nähterin – und jung? – Nein! jung war sie schon lange nicht mehr!“

Die Frau schwieg, sie schien nicht mehr reden zu wollen, sie ging in das Haus hinein und schlich sich langsam, leise, gefolgt von etlichen Anderen, die Treppe hinauf, bis sie endlich vom Flur aus durch die offene Thür den Sarg sehen konnte, wie auch im Nebenzimmer die Leidtragenden, die sich anschickten, die Rede des Geistlichen zu vernehmen. Die Frauen waren gerade noch zu rechter Zeit gekommen. Man war im Begriff den Sarg zu schließen – noch ein Blick, der letzte, war ihnen vergönnt.

Und da lag sie nun in weißem Sterbekleide in dem schwarzen Schrein, der überaus reich mit weißen Kanten, Spitzen und Bändern garnirt war, die volle, blühende Myrthenkrone auf dem Haupt, umschlungen von einem Kranz von Camelien und weißen Rosen. Die Hände ruheten gefaltet auf der Brust, auf der sonst nichts weiter lag als ein kleines, schmuckloses, goldenes Kreuz, das an einem einfachen, weißseidenen Bande vom Halse niederhing. – Der Sarg wurde geschlossen. – Es war geschehen! Die Frauen und Jungfrauen, die jungen lieblichen Kinder, die im Nebenzimmer geweilt, kamen und legten ihre duftenden Blumen, ihre Kränze auf den Sarg, sodaß derselbe wie unter einer Blüthendecke begraben lag. Die Rede des Geistlichen begann. Und während derselbe in einfach rührender Weise der Geschiedenen dachte, während die Umstehenden sich der aufrichtigen Thränen des Schmerzes und der Wehmuth nicht enthielten, ging den Einzelnen das Leben der nun in dem Herrn Ruhenden in Bildern und Zügen der Erinnerung vorüber.

„Weißt Du noch?“ flüsterte eine Dame in schwarzer Robe, an deren Seite zwei herrlich schöne Kinder weinend standen, ihrer Nachbarin zu, „weißt Du noch?“

Und die Andere nickte leise und sagte traurig: „Ich weiß es wohl!“


Wie hatte einst der Frühling des Lebens, der Lenz der Natur der Verstorbenen entgegengelacht! Ihr Vater war Beamter des großen königlichen Instituts, dessen Säulen des Portals, dessen reichgeschmückte Giebelwand jetzt noch die breite, prächtige Straße daher

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 477. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_477.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)