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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

etwas ungläubig ein, „ersparen von Ihrem geringen Verdienst, der oft zum Lebensunterhalt nicht zureichend sein mag? Hunderte ersparen? Das ist unmöglich!“

„Unmöglich?“ lächelte sie und ihr Auge glänzte in heiligem Feuer. „Sie kennen die Charakterfestigkeit der Frauen nicht! Ich bedarf Weniges – und ich habe gespart.“

Der Geheimrath schüttelte noch immer wie ungläubig das Haupt; endlich sagte er: „Ich will Ihnen glauben; ich will thun, was Sie verlangen. Ist’s möglich, so soll Ihr Wunsch erfüllt werden. Doch um dies Eine bitte ich: betrachten Sie mich von heute ab als Ihren Freund, und wenn es mir gelingt, Ihnen die Aufnahme zu verschaffen, und Ihnen die erforderliche Summe zum Einkauf mangelt – lassen Sie mich das Fehlende ergänzen.“ Der Rath schwieg.

Sie aber sprach, freundlich lächelnd: „Nicht ergänzen, nur vorstrecken das etwa Fehlende, das ich dann nach und nach abzuzahlen gedenke. Damit Sie aber nicht fürchten, daß Ihre Güte zu bedeutend in Anspruch genommen werden möge, erlauben Sie mir –“

„Doch nicht etwa, Ihre Ersparnisse zu sehen?“ rief der Geheimrath in komischer, freundlicher Hast. „Nein, nein! ich will nichts wissen, nichts sehen –“ und schnell eilte er zur Thür hinaus.




Und nun! welch reizendes Bild! Am Flügel sitzt ein junges Mädchen – und singt. Und die Worte, die der Lippe entströmen, klingen so metallvoll, glockenrein, daß es eine unaussprechliche Freude gewährt zuzuhören. Jetzt geht die Thüre auf. Sie, die wir kennen, tritt leise ein. Sie bleibt zögernd stehen, sie lauscht den Worten des Liedes – und ein Zug recht schmerzlich süßer Freude lagert sich auf ihrem Gesicht. Endlich wendet die Sängerin den Kopf und wird so die Lauschende gewahr. Mit dem freudigen Ausruf: „Tante, meine liebe, beste Tante,“ fliegt sie auf, umschlingt sie mit ihren vollen, weichen, schönen Armen und drückt ihren Mund auf den ihrigen. „Wie Du mich erfreut hast durch Dein Kommen! Und gerade heute mußt Du kommen, wo Alle aus dem Hause sind, wo ich allein bin, Dich ganz genießen kann – und Dir Alles thun, was Dir Freude macht.“

„Ja, ja!“ sagte die Angekommene und streichelte ihrem Lieblinge die Wange; „nennst mich auch Tante, und ich bin’s auch dem Herzen nach. Bist mein Prachtmädel! War mir heut’ so eigen zu Muth, es hielt mich nicht daheim! So bin ich denn nun gekommen – und sollst mir Etwas singen – singen, bis ich ruhig geworden sein werde.“

„Und das will ich von ganzem Herzen thun,“ sagte das junge Mädchen und kauerte sich nieder zu den Füßen der Verehrten. „Ich will Dir alle meine neuesten, schönsten Lieder singen – bis Du selber sagen wirst: nun hör’ auf. Hab’ Dich ja so lieb! Und bist Du es nicht gewesen, die meine Bitte bei den Eltern unterstützte, als ich bat, mich dem Theater widmen zu dürfen?“

„Denk’ auch daran Recht gethan zu haben!“ sagte die Tante und streichelte dem Lieblinge das blonde Haar. „Bist mit Leib und Seel’ Sängerin, und der liebe Gott hat Dir eine Stimme gegeben, daß es Sünde wäre, wenn Du sie einrosten ließest. Doch Eins, Kind, was Du werden willst, werde es ganz; nur was man ganz erfaßt hat, bringt Glück und Freude – und die Schmerzen, die nicht fehlen – trägt man auch. Und nun sing’ mir Deine Lieder, Kind, aber nicht Deine neuen, sondern die alten, die ich kenne und die mir lieb sind!“

Die Sängerin nickte, sie stand auf, sie ging zu ihrem Instrument und sang. Es waren einfache Lieder, die ihrer Brust entströmten. Und sie mit ihrem einsamen Herzen, mit ihren Jahren voll Gram, mit ihrem Tropfen Glück und Lebensfreude, sie saß in der Ecke des Sophas, hatte die Augen geschlossen und ließ diese Lieder, diese Melodien vorüberrauschen, durch ihre Seele ziehen, wie Windharfenklang, wie einen Gruß aus ihrer Heimath Jugendland. Die Sängerin sah sich um, und unbemerkt, unbeachtet hub sie plötzlich nun, im süßen Wohllaut ihrer Stimme, der Träumenden Lieblingslied zu singen an. Aus vollem Herzen sang sie jetzt:

Find’st Du auf Deinen Wegen
Ein Herz, das treu Dich liebt;
Denk’, daß Dir wird ein Segen,
Den Gottes Hände legen
Auf’s Haupt Dir, ungetrübt.

Die Ruhende öffnete das Auge, sie lauschte; sie hob sich leise auf und schritt zur Singenden. Derselben ihre Hand auf das Haupt legend, sagte sie: „Hab’ Dank! ’s ist ein wahr Wort, das dort im Liede steht. Und wenn auch Du, mein Liebling, einst findest, was Dir Dein Herz rascher schlagen macht – dann, Kind – dann laß still und einzig allein die Liebe walten. Denk’, daß Du jede Minute, die Du ihm und Dir verbitterst, Dir selbst von Deinem schönsten Glück entziehst. Und wenn er kommt und Dich um Etwas bittet, schlag’s ihm nicht ab, so Du’s erfüllen kannst; denn die Liebe zeigt sich mehr in dem, was man bittet, als was man gewährt. Geht’s nicht, kannst Du den Wunsch ihm nicht erfüllen, dann, dann versüß ihm die abschlägige Antwort wenigstens durch große Freundlichkeit, durch ein herzinnig Wort, durch doppelte Liebe und Güte. Er muß sehen, daß die Nichtgewährung Dir mehr Schmerz verursacht, als die Erfüllung ihm je Freude bereiten könnte. Kind! Kind! wir können unendliches Glück auf Erden spenden – und Leid bereiten, das, wie der Name in der Baumrinde, nie verwächst! Laß still die Liebe walten.“ Bei diesen Worten rollten die Thränen ihr aus den Augen, und sie vermochte sie nicht zu halten, wenn sie auch zu lächeln versuchte.

Das junge Mädchen schlang ihre Arme um den Hals der Weinenden, dann rief es: „O, ich weiß es, Du hast viel, unendlich viel gelitten; aber vergiß, vergiß ihn – er war Deiner Liebe nicht werth!“

„Nicht werth?“ rief die Weinende und wischte in Hast die Thränen aus den Augen, sodaß diese wieder in voller Klarheit zu leuchten begannen. „Nicht werth?“ sagte sie, wie voll Unwillen; „und wären wir die Besten der Menschen, wir – wir sind niemals des Glückes werth, das ein Augenblick herzinniger, reiner Liebe bringt. Nein, nein! sprich mir so nicht. Die Liebe ist des Lebens Paradies – und wer daraus vertrieben wird, der hat es stets auch mit verschuldet. Schilt mir die Liebe nicht, sprich nicht gering von Ihm!“

Beide schwiegen. Endlich sagte das junge Mädchen: „Tante, liebe, beste Tante! nur eine Frage: Lebt er noch? Hast Du nie, nie von Ihm erfahren?“

Die Gefragte nickte mit dem Kopf, sie fuhr sich mit der Hand über die Stirn und sagte leise: „Ich weiß Alles. Man will es nicht und erfährt es doch; es ist als trüg’s der Wind uns zu. Er ist gegenwärtig ein hochgestellter Beamter, sein Name wird oft genannt – aber glücklich, nein, glücklich ist er nicht. Hätte mein Schmerz, mein Gebet Erhörung gefunden, er müßte es geworden sein.“ Doch wie über sich selber zürnend ob des Gesagten rief sie schnell: „Laß uns abbrechen; es taugt nicht, alte Geschichten aufrühren; geh, sing’ mir das Lied zu Ende – und dann – dann will ich heimgehen – und arbeiten.“

Und das junge Mädchen schritt lautlos wieder zu dem Instrument, setzte sich nieder und sang, während die Thränen ihm in die Augen traten:

Ohn’ Maß und Ziel und Zeiten
Blüht’s um Dich allerwärts;
Und Engel Dich begleiten,
Glaubt an die Ewigkeiten
Der Liebe nur Dein Herz.

Drum, steht Dir Lieb’ zur Seite,
Pfleg’ sie durch Wort und Blick;
Denk’, was das Herz erfreute,
War Liebe, sonst wie heute;
Die Liebe nur bringt Glück.

Die Sängerin schwieg. Sie aber, die zugehört hatte, stand auf und sagte: „Dank’! Nun muß ich gehen! Ade! Grüß’ Dein Mütterlein – und meine Thür find’st stets offen.“




Der Geheimrath hatte sich keinen Gang verdrießen lassen; er war, wie man zu sagen pflegt, von Pontius zu Pilatus gelaufen, bis er endlich seinen Zweck erreicht sah – und der einsam Harrenden die Erfüllung ihres Wunsches zusichern konnte. Jahre, viele Jahre vielleicht mußten muthmaßlich noch vergehen, ehe die Aufnahme erfolgen konnte, da der Tod noch manche Bewohnerin des Stiftes abzurufen hatte, ehe für sie ein Plätzchen offen wurde; aber die Hoffnung dazu war doch da. Und sobald die Einkaufssumme nur erst entrichtet war, was schon jetzt geschehen sollte, konnte sie sich als eine Genossin des Magdalenenstiftes betrachten. Er kam, er brachte die Nachricht – und sie, sie dankte es ihm aus vollem Herzen.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 484. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_484.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)