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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

gleichzeitig übersieht. In Mitte des jubelnden und singenden Volks, der Kinder mit den Palmen, über den von den Männern ausgebreiteten Mänteln erscheint Christus, auf dem Eselsfüllen sitzend – eine wirklich edle Gestalt, der Ruhepunkt des so lebendig durcheinander fluthenden und sich doch nie verwirrenden Bildes. Die Anordnung ist scheinbar völlig kunstlos, verräth aber dem kundigen Auge nur zu wohl, welche Feinheit des Plans, welch’ pünktliche Genauigkeit der Ausführung dabei zu Grunde liegt. Man fühlt, daß das nicht blos eingelernt und eingeübt, sondern gewissermaßen natürlich entstanden und geworden ist, und man begreift, warum alle Aufzüge unsrer Bühnen davor zurückbleiben, weil man Schauspielern oder vielmehr Statisten von Fach einen wie hier zu Grunde liegenden gemeinsamen Aufschwung nicht geben und es ihnen auch kaum verdenken kann, wenn ihnen das, was hier das Landvolk alle zehn Jahre thut, was sie aber fast täglich thun müssen, mehr oder minder zum Geschäft wird. Man kann den Gesammteindruck nicht besser bezeichnen, als wenn man das Bild mit einem riesigen mittelalterlichen Glasgemälde vergleicht, das Stimme und Bewegung erhalten hat. Damit stimmt Stellung, Haltung, der Schnitt der Gewänder und ihre Farbenpracht ebenfalls überein.

Wir mußten bei dieser Scene ausführlicher verweilen, um mindestens eine derselben eingehender zu besprechen, da der Raum nicht gestattet, auf alle so einzugehen, wie sie zum größten Theile es wohl verdienten.

Bei der folgenden Scene zeigt sich der Vortheil der ganzen Bühneneinrichtung auf’s Glänzendste, denn einfach durch Verwandlung der Mittelbühne werden wir mit sammt dem ganzen Volke in die Straßen vor dem Tempel versetzt und sehen unter den Säulen der Vorhalle die Käufer und Verkäufer in sehr lebhafter Gruppe. Christus vertreibt sie, ganz wie es die Bibel erzählt, und macht sich dadurch die Kaufleute zu Feinden, die von da an auf sein Verderben sinnen. Mit seiner Rückkehr nach Bethanien schließt die erste Vorstellung. In der zweiten sehen wir während des Chorgesangs als lebendes Bild aus der alttestamentlichen Vorgeschichte die Söhne Jakobs, wie sie beschließen, ihren Bruder Joseph aus dem Wege zu räumen. Die darauf folgende Handlung führt uns in den innern Tempelraum in die Versammlung der Hohenpriester und Schriftgelehrten, welche darüber Rath halten, wie sie Christum in ihre Gewalt bekommen können. Sie bedienen sich dazu der wüthenden Krämer, die von einem unzufriedenen Jünger desselben sprechen und diesen zum Werkzeug gebrauchen wollen. Die Scene, im Dialog etwas matt und gedehnt, belebt sich durch das Feuer der Redenden und Spielenden, und ist ein hübsches Bild, lebhaft an jenen alten bemalten Holzschnitt erinnernd, welcher häufig an Thüren der Häuser im Gebirge angeklebt ist und diese Versammlung vorstellt, wobei zu den Füßen einer jeden Gestalt sich eine Art von Zettel befindet, worauf die von ihm abgegebene Abstimmung enthalten ist.

In der dritten Vorstellung, eingeleitet durch die Bilder, wie Tobias von seinen Eltern Abschied nimmt, und die Klage der Braut (aus dem Hohen Liede), schreitet die Handlung bis zu dem Mahle fort, wobei Magdalena dem Herrn die Füße salbt, während Martha bei Tische aufwartet, und Judas über die Verschwendung der Salbe, welche dreihundert Denare kostet, und über die Ungewißheit seiner künftigen Existenzmittel in Unmuth geräth. Christus nimmt dann einfachen, aber ergreifenden Abschied von seiner Mutter und den Freunden, um den verhängnißvollen Gang nach Jerusalem anzutreten. In dem die Bilder begleitenden Chorgesange zeichnet sich das Klageduett bei dem zweiten durch Einfachheit und Innigkeit aus. Der vierten Vorstellung geht das Bild von der Verstoßung Vasthi’s und Esther’s Erhöhung voraus; sie enthält die Wanderung nach Jerusalem, die Voraussendung der beiden Jünger, welche das Osterlamm bereiten sollen, und Judas’ wachsenden Seelenkampf. Die Krämer suchen ihn und bringen ihn durch das Versprechen reicher Geldbelohnung dazu, daß er in eine weitere Zusammenkunft willigt.

Von den der fünften Vorstellung vorausgehenden Bildern, die Speisung in der Wüste durch Manna und die Ueberbringung der großen Trauben aus Canaan, gehört das Erstere zu den gelungensten dieser Darstellungen, allerdings nicht in dem Sinne, wie man gewöhnlich lebende Bilder stellt, aber so, daß man ein mittelalterliches belebtes Altarbild zu sehen glaubt. Das Zusammendrängen so großer Massen in einem kleinen Rahmen, daß sie Kopf an Kopf ansteigen, ist gerade für diese sehr bezeichnend, und gerade in dieser Art der Aufstellung hat die Ueberlieferung unzweifelhaft das Alte am meisten erhalten. Ueber dem ganzen höchst figurenreichen Bilde, das von kleinern Kindern im Vorgrunde zu größeren hinter ihnen, dann zu Frauen und Mädchen und Männern aufsteigt, während Moses und Aaron im Vorgrunde stehen, fällt das Manna herab in Form eines silberblitzenden Regens, der von Allen in verschiedenen Arten und Gruppen aufgefangen wird. Daran reiht sich das Ostermahl mit der Fußwaschung und Einsetzung des Abendmahls in höchst feierlicher und bibelgetreuer Weise. – Die sechste Vorstellung bringt nach dem Bilde, wie die Söhne Jakobs ihren Bruder verkaufen, die Scene, wie Judas vor dem Synedrium verspricht, ihnen Jesum auszuliefern, wogegen ihm die gierig an sich gerissenen 30 Silberlinge aufgezählt werden. Das die siebente Vorstellung einleitende Bild, wie Adam sein Brod im Schweiße seines Angesichts essen muß, halten wir für das beste lebende Bild, seiner Einfachheit und malerischen Gruppirung wegen. Adam, völlig nackt, nur mit einem Lammfell um die Hüften, steht in der Mitte der kümmerlich gehaltenen Landschaft, den einen Fuß auf die Grabschaufel gestützt und das Antlitz in den Händen verbergend, während vor und neben ihm reizende Kinder spielen und etwas seitwärts im Hintergrunde Eva, ebenfalls mit einer Arbeit beschäftigt, sorgenvoll nach ihm blickt. Nach zwei weitern Bildern, die verrätherische Ermordung Amasa’s durch Joab und die Ueberwältigung Simsons, folgt die Scene am Oelberg, Judas’ Verrath und die Gefangennehmung Jesu, natürlich nicht ohne die Verwundung und Heilung des Malchus.

Vor Beginn der zweiten Abtheilung wird gewöhnlich eine Pause von einer Stunde gemacht; wir mußten darauf und auf das bestellte Mittagsmahl verzichten, denn der Prolog verkündigte, daß des schlechten Wetters wegen ohne Pause fortgespielt werde. Gegen diesen Grund war auch nichts einzuwenden, denn nach langem Zögern und Schwanken hatte sich der Himmel wieder für Regen entschieden, der unaufhörlich bald schwächer bald stärker floß, nicht ohne manchen heitern und naturwüchsigen Vorfall zu veranlassen. Das Herkommen duldet weder Hut noch Regenschirm, um die dahinter Sitzenden nicht in der Aussicht zu behindern; die Zuschauer mußten also Regen und Sonne schutzlos über sich ergehen lassen, und die hie und da auftauchenden Versuche, einen Regenschirm aufzuspannen, wurden von den Stöcken der Hinterleute auf ebenso kurze als nicht mißzuverstehende Weise gründlich beseitigt. Als das Unwetter gar arg wurde, halfen sich die letzten im Regen sitzenden Reihen sehr einfach dadurch, daß sie über die Schranke des hinter ihnen befindlichen und mit einer Plane überspannten Logenplatzes stiegen und in unbefangenster Weise neben dem päpstlichen Nuntius und andern vornehmen Leuten Platz nahmen, was während einer Pause von einigen Minuten ein höchst komisches Intermezzo gab. Zur Ehre der Eindringlinge aber sei es auch gesagt, daß, als der Regen wieder ein wenig nachließ, eine einfache Mahnung der Ammergauer Wache genügte, um sie auf demselben Wege zum Rückzuge zu veranlassen. Die Darstellenden hatten indeß Regen und Wind über sich ergehen lassen; nur als es gar zu grob anfing, entschlossen sich die Schutzgeister in aller Kürze und erschienen, wohl zur Schonung der reichen, durchaus neuen Gewänder, mit – Parapluies.

Die zweite Abtheilung umfaßt die Vorstellung Jesu vor dem Hohenpriester Hannas, welche auf dem rechts liegenden der schon erwähnten Balcone vor sich geht, mit dem Vorbilde, wie der Propbet Micha mißhandelt wird, weil er die Wahrheit gesagt hat; dann die Vorführung vor Kaiphas mit der Verurtheilung Naboth’s und der Verspottung Hiobs als Vorbildern; die Verhandlung vor Pilatus, der Christus für schuldlos erklärt und ihn zu Herodes führen läßt, mit dem Vorbilde Daniels, der in die Löwengrube geworfen wird. Dieser Scene, welche auf dem gegenüberliegenden Balcone vorgeht, folgt die Verspottung durch Herodes, eingeleitet durch das Vorbild, wie König Hanon die Abgeordneten Davids beschimpft; dann die wiederholte Vorführung vor Pilatus, die Geißelung und Dornenkrönung. Es liegt in der unvermeidlichen Gleichförmigkeit oder Aehnlichkeit der Vorgänge, daß dieser Theil an einiger Eintönigkeit und Länge leidet; desto mächtiger ist dagegen die Erhebung gegen den Schluß, wie Pilatus den gegeißelten und gekrönten Christus dem Volke von dem Altane zeigt, wie der trefflich gezeichnete und trefflich gespielte Römer die Wuth dieses Volkes gegen einen Mann nicht begreift, dem es erst wenige Tage zuvor mit Hosiannah entgegen gejauchzt, wie er ihnen die

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 536. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_536.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)