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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Am nächsten Tage lief eine Nachricht in der Börsenwelt umher, die Viele mit Verwunderung, Viele mit Schadenfreude, die Wenigsten mit Theilnahme anhörten und weiter verbreiteten. Der reiche Blenheim sollte, und schon seit Jahren, große Defrauden bei seinem Engros-Geschäft begangen haben. Er hatte versucht, seinem damit beauftragten Buchhalter die Schuld davon aufzubürden, und dieser war gefänglich eingezogen, Blenheim selbst nur gegen hohe Caution auf freiem Fuß gelassen.

Dies war natürlich kein günstiger Augenblick, ihm das Landhaus anzubieten, denn wenn der reiche Mann die Schuld nicht von sich abwälzen konnte, hatte er damit zugleich seinen Bürgereid gebrochen und konnte dann nicht in Hamburg bleiben.

Dies stellte der alte Almis seinem Sohne vor, und als er die bleiche Verzweiflung in dem Gesichte desselben las, kam er der Beichte, die schon auf William’s Lippen schwebte, eiligst zuvor, indem er sagte: „Ich kann Dir das Haus ja für List abkaufen und es, wenn Du Geld brauchst, gleich baar bezahlen. Er hat es in meinem Kasten liegen.“

William blickte gerührt in das grämliche Gesicht, drückte die Hand seines Vaters und sagte: „Strecke mir nur 4000 Mark vor. Wenn Gott uns bis Weihnacht offenes Wasser erhält, zahle ich es Dir schon in einigen Wochen zurück.“

„Du willst das Haus also nicht verkaufen?“

„Nein, mein herzlieber Vater!“ sprach William in tiefer Bewegung. „Ich möchte gern, daß die Wiege meines ersten Kindes da zu stehen käme, wo ich die Mutter zuerst als mein Eigen umarmte.“

„Was?“ rief der alte Mann freudebebend. „Hermine wird mir einen Enkel geben? Junge! ich schenke Dir das Geld für diese Nachricht.“

Zehn Jahre sind verflossen, seit wir die obigen Familien-Nachrichten niederschrieben. Das schöne Landschaftsbild ist noch dasselbe, aber in den Häusern, in die wir unsere Leser einführten, hat sich Alles verändert. Die Familie Blenheim ist in alle vier Winde zerstreut. Der Banquier ist am gebrochenen Herzen gestorben. Den Sohn haben Gemüthsbewegung und Ausschweifung in’s Irrenhaus geführt. Die Tochter hat einen Componisten zweiten Ranges geheirathet und sich mit ihm am Comersee niedergelassen. Die Mutter zog es vor, in einer großen süddeutschen Stadt ihren Millionen Geltung zu verschaffen.

List hat den Blenheim’schen Palast durch den alten Almis billig erstanden, und dieser ist mit seiner ganzen, jetzt schon sehr zahlreichen Familie hineingezogen, in der die Schwiegermutter keine Stunde mehr entbehrt werden kann.

Im Häuschen am Strande verzehrt die alte Rebekka das Gnadenbrod.

List ist noch immer nicht nach Hamburg gekommen, und wir vermuthen, daß derselbe nie und nirgendwo existirt hat, als in dem Kopfe des alten Almis. Dieser hat sich gänzlich vom Geschäft zurückgezogen und hat alle Gelübde aufgehoben, seit William ein Matador in Haus und Geschäft geworden. Im breiten Goldrahmen prangen jetzt die meisterhaft umgeschaffenen Bilder, daneben das von dem guten Harry, dem man es ansieht, daß es ihm gut geht, und das der Pastorin, Herminens trefflicher Mutter, und vier reizende Bilder, schöne Kinder, die sich jetzt im Park auf der Höhe umhertummeln. Hermine ist eine der schönsten und edelsten Frauen – – geblieben.




Das Passions-Spiel in Oberammergau.
Von Herman Schmid.
(Schluß.)

Die letzte Abtheilung beginnt mit Vorbildern, welche sich auf die Opferung Isaaks und die Aufstellung der ehernen Schlange durch Moses beziehen; darauf folgt der Zug zur Richtstätte. In ergreifend furchtbarer Wahrheit schreitet Christus, fast zusammenbrechend unter der Last des Kreuzes, ruhig und gelassen wie immer in der Mitte der Kriegsknechte und des höhnisch tobenden Volks heran. Aus der Mittelbühne kommt der Cyrenäer Simon, um zur Hülfe gezwungen zu werden, während gegenüber Maria mit Magdalena, Johannes und einigen andern in tiefster Betrübniß näher kommen. Die schon erwähnte vortheilhafte Einrichtung der Bühne macht es möglich, daß gleichzeitig mehrere Handlungen vorgehen, ohne daß der Uebersichtlichkeit oder dem Verständniß Eintrag geschähe. Die Begegnung der Mutter und des Sohnes, ohne allen rhetorischen oder dichterischen Schmuck, gehört zu den erschütterndsten Momenten; – da blieb kein Auge trocken.

Wie der Zug in die Mittelbühne verschwunden ist, fällt der Vorhang und die Schutzgeister erscheinen, aber nun mit umflorten Diademen und statt der bunten in schwarzen Trauermänteln. Während ihres feierlichen Gesanges hört man hinter der Bühne die Hammerschläge fallen, und als der Vorhang sich wieder erhebt, liegen die drei Kreuze am Boden, Christus ist bereits angenagelt, die Schächer sind angebunden; die Kreuze werden erhoben und ragen hoch in dem Proscenium empor. Die versammelte Menge ist wie versteint, nur vielfaches Schluchzen zeugt von vorhandenem Leben, und in gehobenster Stimmung läßt sie an sich alle Vorgänge vorüberziehen, welche die Bibel erzählt, den Spott der Priester und des Volks, Jesu Gespräch mit den Schächern, mit Maria und Johannes, den Tod, das Würfeln über die Kleider, den Lanzenstich in die Brust mit verströmendem Blute. Den Schächern werden dann die Arme und Beine zerschlagen und sie abgenommen, worauf die Kreuzabnahme Christi selbst folgt, die mittelst eines langen weißen Tuchs mit einer Würde vor sich geht, die den schönsten Gemälden über diesen Gegenstand kühn an die Seite treten kann. Dem schönen Bilde folgt ein nicht minder schönes, als die Leiche auf ein aufgebreitetes weißes Tuch in den Schooß Maria’s gelegt wird, um dann verhüllt und in das im Hintergrunde sichtbare steinerne Grabmal gelegt zu werden.

Damit ist der Höhepunkt der ganzen Darstellung überschritten; eine Steigerung ist nicht mehr wohl denkbar, und es ist daher erklärlich, wenn die darauf folgende Auferstehung, zumal weil sie theatralisch etwas ärmlich eingerichtet ist, gleiche Wirkung nicht hervorbringt. Sie ist eingeleitet von zwei Vorbildern, wie Jonas vom Wallfisch wieder an’s Land gesetzt wird, und wie Israel durchs rothe Meer gezogen ist, die beide – ersteres wohl des Stoffes halber – mit den frühern nicht glücklich wetteifern. Nach den Scenen mit den Wächtern, mit den Frauen am leeren Grabe, und dem Erscheinen Christi vor Magdalena folgt ein die Fortdauer des Erlösungswerks in der siegenden Kirche darstellendes Tableau und bildet mit einem Hymnus den Schluß.

Es war vier Uhr Nachmittags; die Versammlung mit nur einzelnen Ausnahmen hatte ruhig die zehn Stunden ohne Unterbrechung und Stärkung ausgehalten und strömte nun unabsehbar, aber ebenso ruhig, ohne die mindeste Störung auseinander. Es mochten gegen sechstausend sein, und einige tausend, die keinen Platz mehr erhalten hatten, warteten, daß Tags darauf die Vorstellung für sie wiederholt würde, was auch geschah. Das Wetter ließ dafür wenig Tröstliches erwarten; wir zogen es daher vor, sogleich abzureisen, um noch nach Murnau und Tags darauf nach Hause zu gelangen, mit Verwunderung den Schnee betrachtend, der auf den Bergen bis herab in’s Flachland lag.

Ueber die Aufführung werden wir weiter unten sprechen; es bleibt nur noch übrig, besonders hervorzuheben, daß sie ganz und gar nicht den Charakter anderer dramatischer Darstellungen hat. Es hängt das mit der Wesenheit des Drama’s zusammen, das sie darstellen. Dasselbe ist nicht eigentlich Drama, nicht eine aus der Entwickelung von Charakteren entspringende, sich schürzende und lösende Handlung; es ist mehr eine epische Reihe von Begebenheiten, eine in zusammenhängender Bilderfolge vorgestellte

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 550. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_550.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)