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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

in einem Charakter gehalten, der bei aller Weichheit der Melodien nie unter den Inhalt herabsinkt, stellenweise sogar sich zu treffender Charakteristik und frommem Schwunge erhebt. Es ist der Styl der Land-Messen, bei welchem die Sangbarkeit, sowie die leichtere Möglichkeit des Einstudirens immer besonders im Auge gehalten werden muß.

Fragen wir zum Schlusse nach der Bedeutung des Passionsspiels, so ist von selbst klar, daß dessen anderwärts vielfach hervorgehobene religiöse Seite nicht in diesen Bericht und in diese Blätter gehört. Die ästhetische oder dramatische Bedeutung haben wir schon erörtert und können uns auf eine kurze Schlußbemerkung beschränken. Wenn das Spiel auch nicht sowohl dramatische Handlung als epische Begebenheiten bringt, so trägt es doch die Keime der erstern in sich, denn in der Verschwörung der Krämer und in der Art, wie sie im Bunde mit den Hohenpriestern Judas zu ihrem Werkzeuge machen, ist die Intrigue des modernen Drama’s im Grundzuge bereits gegeben. Im Ganzen und Großen aber kann man sagen, daß man die ewige Tragödie der Menschheit in der Versündigung an ihrem reinsten Ideal im Entwurfe in ergreifender Weise an sich vorübergehen sieht.

Die scenische oder theatralische Bedeutung des Passionsspiels ergibt sich zum größten Theile schon aus dem Gesagten. Die Bühne desselben ist, wie das Spiel selbst, ein überlieferter Rest der alten Mysterienbühne, welche drei Stockwerke übereinander hatte, um die in Himmel und Hölle und auf der Erde zugleich vorgehenden Handlungen fassen zu können. Himmel und Hölle sind hier weggefallen, und so ist denn nur das untere Stockwerk in der stehenden Mittelbühne erhalten geblieben. Dadurch aber, wie durch die beiden Seitenstraßen, das Proscenium und die beiden Altane ist eine fünffache Abtheilung des Schauplatzes gegeben, deren überraschende Vortheile wir bereits angedeutet haben. Ohne Zweifel lag der Einrichtung der Mysterienbühne eine Erinnerung an jene des altgriechischen Theaters zu Grunde, die also mit erhalten blieb und durch ihre Anschaulichkeit auch in dieser Hinsicht Manches erklärt. Unsere jetzige Schaubühne hat – mit Ausnahme besonders hergestellter Vorrichtungen in Einzelfällen – auf die Mannichfaltigkeit der Scene verzichtet; sie stellt immer nur eine bestimmt abgegrenzte Räumlichkeit dar und hat es eben darum in der Kunst, diese auszuschmücken, weiter gebracht. Es ist sehr die Frage, ob sie dadurch gewonnen hat, und ob die äußere Regelmäßigkeit, welche dadurch erreicht ist, nicht durch das freiere Leben und die größere Beweglichkeit der Darstellung reichlich aufgewogen würde.

Die wichtigste Bedeutung des Spiels aber bleibt immer die Eingangs hervorgehobene nationale. Im deutschen Mittelalter hat es bekanntlich eigentliche Berufsschauspieler nicht gegeben; die Bühne war – bis in spätern Zeiten sich die Jesuiten derselben bemächtigten und sie für ihre Zwecke ausnützten – in den Händen des Volks; Handwerker und Studenten waren die ausschließenden Darsteller, und auch der Bauer verlangte und erhielt seinen Theil an der Ergötzlichkeit dramatischer Darstellungen. Wie die Zünfte in den sogenannten Fastnachtsbrüdern das bürgerliche Spiel zu einer hohen Entwickelung in Hans Sachs und Ayrer brachten; wie die aus den fahrenden Schülern zusammengetretenen Studententruppen – von denen Einige sich die Parnaßbrüder nannten – ein etwas höheres Ziel verfolgten: so bemächtigte sich das Landvolk der ihm am nächsten liegenden religiösen Mysterien, und überall, namentlich in Süddeutschland und bei den Gebirgsbewohnern, erstanden und blühten eine kaum glaubliche Anzahl von Bauernbühnen. Die Studententruppen sind zum Theil von den Jesuitenspielen aufgesogen worden, theils gingen aus ihnen die ersten ständigen Wandergruppen von Berufsschauspielern hervor; die Bühne der Handwerker ist verschwunden, bis auf die Spiele der Schifferzunft zu Laufen an der Salzach, welche seit vielen Jahrhunderten zur Winterszeit in den Stätten des platten Landes herumzieht und regelmäßige theatralische Vorstellungen gibt, wie z. B. Johann von Nepomuk, Schinderhannes, die Königin von Saba etc., dabei aber noch den alten Fastnachtsschwank erhalten hat, der jedesmal den Schluß bildet und nach welchem die ganze dazu eigens eingerichtete Bühne zusammenstürzt. Von der Bauernbühne ist meines Wissens nur jene zu Oberammergau übrig geblieben, und wir haben daher mit Recht behauptet, daß ihre Darstellungen nicht blos einen geschichtlichen und alterthümlichen Werth haben, sondern auch deshalb hohe Beachtung verdienen, weil uns daraus der Athem einer freien selbstständigen Entwickelung, ein echt nationaler Hauch entgegenweht, getragen von echt deutscher Energie des Willens, der Kraft und Energie im Volke.

Man hat deshalb den Vorschlag gemacht, solche Spiele auch an andern Orten einzuführen; wohl mit Unrecht, denn was hier naturgemäß gewachsen ist, kann nicht willkürlich und künstlich verpflanzt und gezogen werden. Es müßte von außen hinein getragen werden, während es hier als die Frucht eines schönen und begeisterten Gemeinwesens von innen heraus schwillt. Demungeachtet könnte davon für nationale Zwecke eine vielleicht ersprießliche Anwendung gemacht werden. Bei größern Festen ist in der Regel die Zahl der Feierlichkeiten bald erschöpft, und weil die ständigen Bühnen vermöge ihrer Bauart die Betheiligung von Massen ausschließen, wäre in dieser offenen Bühne und ihrer Spielweise ein ganz neuer Ausweg gegeben, große geschichtliche Begebenheiten vor einer großen Menge in eindringlichster Weise darzustellen und dadurch die öffentlichen Umzüge im Costüme, die immer etwas Maskeradenhaftes haben, überflüssig zu machen. Der Versuch würde sicher von Erfolg begleitet sein, vorausgesetzt, daß die Ansführung hier wie dort durch freiwillige Theilnahme und Begeisterung erfolgt, woran bei gehöriger Anregung nicht zu zweifeln ist. Auch die Dichter würden nicht ausbleiben und dadurch dem deutschen Geschichtsdrama vielleicht die Schulfesseln abgenommen und ihm eine Aera der Volksthümlichkeit angebahnt werden, wie sie weiland nur den Griechen zu Theil geworden.

Wir sind überzeugt, daß jeder Besucher des Ammergauer Passionsspiels in diese Wünsche einstimmt – gelten sie doch der Erhebung und dem Ruhme des Allen gleich theuren deutschen Vaterlandes!




Aus Garibaldi’s Leben.
Nr. 4.

Die Lage der republikanischen Armee verschlimmerte sich inzwischen von Tag zu Tag, ihre Bedürfnisse wurden größer, ihre Hülfsmittel geringer; die beiden heftigen Gefechte bei Taquari und bei San José des Nordens hatten die Infanterie decimirt, die, obschon weniger zahlreich, der Nerv der Belagerungsoperationen war. Bald riß Desertion ein; die Bevölkerungen wurden, wie es in zu lang ausgedehnten Kriegen zu geschehen pflegt, müde und überdrüssig; Gleichgültigkeit bemächtigte sich ihrer, und man fühlte von allen Seiten, daß der Augenblick gekommen sei, dem ein Ende zu machen.

Die Schlacht von Causa hatte stattgefunden; die Republikaner wurden darin von den Kaiserlichen geschlagen. Der mitten im Winter in einem gebirgigen Lande und bei einem unaufhörlichen Regen unternommene Rückzug war das Schrecklichste und Gräulichste, was Garibaldi je gesehen hatte. Zum Glück führten sie als Proviant einige Kühe mit sich, da sie im Voraus wußten, daß auf den Wegen, die sie zu durchschreiten hatten, kein zur Nahrung geeignetes Thier ihnen begegnen würde. Anita erduldete während dieses dreimonatlichen Rückzugs Alles, was nur ein Mensch ertragen kann, ohne die Seele aufzugeben, und sie ertrug mit unaussprechlichem Muth und Stoicismus.

Man muß einige Kenntniß von den Wäldern in diesem Theile Brasiliens besitzen, um sich eine Idee von den Entbehrungen machen zu können, welche eine Truppe ohne weitere Transportmittel erduldete, eine Truppe, die als einziges Proviantirungsmittel nur den Lasso hatte, eine ganz nützliche Waffe in den von wilden Thieren und Hochwild bewohnten Prairien, die aber in den dichten Waldungen, wo nur Jaguare und Unzen hausen, ganz zwecklos ist. Um das Unglück auf den höchsten Punkt zu bringen, waren die in diesen jungfräulichen Wäldern nahe bei einander laufenden Flüsse über alle Maßen angeschwollen; jener furchtbare Regen, der Garibaldi unablässig verfolgte, hatte zur Folge, daß oftmals ein Theil der

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 552. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_552.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)