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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

No. 36. 1860.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Der Arcier.[1]
Erzählung von Levin Schücking.
1.

Es war um die Mittagsstunde eines Herbsttages im Jahre 1763. Auf dem Platze vor dem Eingang zu der großen und prächtigen, eben neuerbauten kaiserlichen Reitschule zu Wien, dicht neben der Burg, schritt langsam eine eigenthümliche Gestalt auf und ab.

Es war ein noch junger Mann mit edlen, ja schönen Zügen, einer stark gewölbten, mehr breiten als hohen Stirn, einer gebogenen Nase, einem energisch ausgebildeten Kinn, das Alles dunkel gebräunt von Wind und Wetter. Starkes schwarzes Haar hing, gegen alle Mode der Zeit, in losen Locken wirr und wild auf seine breiten Schultern herab, die mit einem abgetragenen und geflickten Zwillichkittel bekleidet waren. Der alte breitrandige Hut, die engen ungarischen Beinkleider, die in alten zerrissenen Stiefeln endigten und sich mit Recht ein wenig lichtscheu darin zu verkriechen schienen, standen in bester Harmonie zu der Kleidung des Oberkörpers; aber auffallend war, daß in einem solchen dürftigen und verkommenen Anzuge eine so hochgewachsene, jugendlich kräftige und zur Arbeit tüchtige Gestalt steckte.

Das Thor öffnete sich von Zeit zu Zeit; es ließ Cavaliere, die zu zweien oder dreien mit ihren Reitknechten, meist auf ausgezeichneten Thieren kamen, hinein; es ließ andre Gruppen heraus. Der Fremde im Zwillichkittel und Slowakenhut sah mit einem Ausdruck von Sorge forschend in die Züge der neu Ankommenden, suchte auch wohl ihren Reitknechten einige Worte abzugewinnen, sprach einen oder den andern der Stallmeister und Bereiter an, deren er beim Aus- und Eingehen habhaft werden konnte, aber, wie es schien, immer vergebens, denn der Unmuth, der auf seinem Gesichte ausgeprägt lag, kehrte nach jeder solchen kurz abgebrochenen Conversation in erhöhtem Grade auf seine Züge zurück.

Mittag war längst vorüber. Neue Reiter, die ihre Pferde in der Reitbahn tummeln wollten, kamen nicht mehr; die, welche darin gewesen, zogen ab; die Bahn war fast leer geworden und das Personal schickte sich an, den Schauplatz seiner Thätigkeit zu räumen; da tauchte unerwartet noch eine kleine, aber glänzende Cavalcade auf dem Platze auf. Ein zierlich gebauter, freundlich aussehender alter Herr, dessen rothe Beinkleider sofort den kaiserlichen General ankündigten, ritt auf einem schönen Pferde von spanischer Zucht an der Spitze einer kleinen Gruppe von ein paar Adjutanten und Reitknechten, deren Einer ein Handpferd führte, herbei. Die Thore der Reitbahn flogen weit vor ihm auf. Die Bereiter und Stallmeister eilten herbei, ihn zu empfangen, und der alte Herr grüßte mit einem Kopfnicken so herablassend vornehm, wie ein König. Langsamen, gemessenen Schritts ritt er ein und warf sich dann sofort in die Bahn.

Er war ein vortrefflicher Reiter, der vornehme alte Herr. Der Mann im Zwillichkittel konnte es bezeugen. Er hatte sich mit dem kleinen Trupp in die Bahn begeben, und in dem Haufen der „Bastinbereiter“, „Stallübergeher“ und „Schulputzer“, die herangekommen, die Excellenz zu bewundern, wurde er geduldet, ohne daß man ihm Beachtung schenkte. Der General ließ seinen Spanier mit der vollendetsten Reitergewandtheit die Schule durchmachen; das edle Thier changirte, machte Volten, traversirte und arbeitete mit der Sicherheit eines Uhrwerks. Endlich hielt die Excellenz inne, wandte sich in die Mitte der Bahn und ließ das mitgebrachte Handpferd, einen Fuchs, der währenddeß ungeduldig den Sand gestampft, sich gebäumt und alle Zeichen eines schwer zu bändigenden Naturells gegeben hatte, vorführen.

„Chacun à son tour,“ sagte er, indem er einem Bereiter winkte, „versuche Er jetzt den Alezan da! Ich habe ihn gestern aus Ungarn bekommen! Mais, je vous le dis – il a le diable au corps!“

Der Bereiter eilte dienstfertig herbei, und obwohl der schlanke hochbeinige Fuchs, als jener nach dem Mähnenhaar greifen wollte, einen solchen Seitensatz machte, daß der Piqueur Mühe hatte, ihn zu halten, war der gewandte Reiter doch bald im Sattel. Der Piqueur ließ die Zügel los; das Pferd stieg augenblicklich steilrecht in die Höhe, machte eine Lançade, bockte, und – der Bereiter flog weit ab in den Sand! Zehn Hände haschten nach den Zügeln des ausbrechenden Pferdes. Der Abgeworfene sprang auf und klopfte Flüche murmelnd den Staub von seiner Uniform; er machte Miene, sich wieder aufzuschwingen.

„Laß Er’s halt nur gut sein,“ rief lachend die Excellenz, „laß Er’s einen Andern versuchen!“

Ein Stallmeister war schon im Eifer, die Ehre der Bahn zu vertreten, herangesprungen; trotz der Unbändigkeit des Pferdes brachte er den Fuß in den Bügel und schwang sich auf. Einmal oben, saß er fest wie angeklammert. Er drückte dem Fuchs sanft und behutsam die Weichen, um ihn in Bewegung zu setzen – die Bewegung läßt nicht auf sich warten, nur ist sie leider so furchtbar heftig und gewaltsam, daß eine Secunde später der Stallmeister alle Vier von sich streckend da lag, wo eben der Bereiter lag.

„Kreuzschockschwerenoth!“ rief der Mann zornig aus, indem er aufsprang und sich die verrenkte Schulter rieb, „da meint man ja, man sitzt auf einem Pulverfaß, das mit einem in die Luft geht, und nicht auf einem Gaul!“

  1. Vergl. die Erzählung des Verfassers in Nr. 19–22: „In den Casematten von Magdeburg“.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 561. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_561.jpg&oldid=- (Version vom 13.5.2017)