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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

No. 37. 1860.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Der Arcier.

Erzählung von Levin Schücking.
(Fortsetzung.)

Es war am andern Morgen gegen zehn Uhr, Frohn warf sich eben in seine volle Uniform, denn er hatte heute Wachtdienst in der Burg, als das Hausmädchen in sein Zimmer trat und ihm eine überraschende Botschaft brachte.

„Ew. Gnoden,“ sagte das Mädchen mit einer gewissen geheim thuenden Wichtigkeit, „möchten’s net so gütig san, und kommen auf an Augenblick ’nunter zur Mamsell Thereserl. Sie laßt Ihna gar schön bitt’n!“

Frohn war natürlich sehr bereit, dieser Einladung zu folgen; er knöpfte den Scharlachrock zu, warf einen Blick in seinen Spiegel und folgte dem dienenden Hausgeist in die noch unbetretenen Regionen des Hauses, die er im Stillen das Elfenreich getauft hatte.

Ein Elfenreich war es nun zwar nicht, worin das Thereserl haus’te, aber ein sehr hübsches Hinterzimmer, das durch eine Glasthüre mit dem Gärtchen in Verbindung stand, in welchem Thereserl die schönsten Blumen zog – sie dufteten durch die offene Thüre herein. Dies Gärtchen wurde von der Straße getrennt durch die Mauer mit der kleinen Thüre, an welche Franzl damals, als er Frohn zuerst in dies Haus brachte, angeklopft hatte. Das Zimmer der jungen Dame, in welches man durch einen stillen, nur von einigen alten dunklen Schränken bewohnten Vorraum kam, war nicht gerade luxuriös, aber es war unendlich besser und geschmackvoller eingerichtet, als das Wohnzimmer derer, welche das junge Mädchen die Herren Eltern nannte. Frohn konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, als ob das hübsche Kind aus einem höheren Lebenskreise stamme und von gutmüthigen Leuten, denen es anvertraut, nur vor der Welt Tochter genannt werde, während sie es im Stillen mit Allem umgaben, worauf eine vornehme Dame Anspruch machen könne. Aber war dies der Fall, so wurde doch dem Eintretenden auf den ersten Blick klar, daß sie das junge Mädchen trotz aller Sorge nicht hatten vor einem großen Kummer schützen können.

Thereserl saß in einem hübschen Armstuhl hinter einem Nähtischchen am zweiten Fenster in der Ecke des Zimmers; eine angefangene Arbeit lag in ihrem Schooß, ihre Hände ruhten müßig darauf, und aus ihren hübschen Augen rannen Thränen über ihre Wangen hinab. Sie trocknete diese rasch, als sie Frohn erblickte, vor dem die Magd, ohne ihn weiter zu melden, die Thüre geöffnet hatte. Sie ging ihm entgegen und streckte ihm die Hand hin.

„Wie gut Sie sind, daß Sie zu mir kommen!“ sagte sie in ihrem hübschen Wiener Dialekt, auf dessen Nachbildung wir verzichten müssen, und fuhr dann lebhaft fort: „Ich hoffe, Sie denken nicht schlecht von mir, daß ich mir so viel herausnehme; aber sehen Sie, Herr von Frohn, als Sie gestern so vor mir saßen und erzählten so eine merkwürdige Geschichte, wie Sie sich so brav gehalten und für Alles einen Rath gewußt, und immer den besten …“

„Ich bitte, bitte, Demoiselle,“ fiel Frohn hier ein, „wenn Sie so reden, so muß ich ja denken, ich habe gestern den rechten Prahlhans und Aufschneider hervorgekehrt.“

„Nein, nein, gar nicht haben Sie das, im Gegentheil, ich hab’s recht gut gemerkt, wie Sie das, was Sie selber gethan, verschwiegen, um das zu erzählen, was Ihre Cameraden dabei gethan, und doch hab’ ich schon herausgehört, wer das Ganze allein durchgeführt hat – aber erst sollen Sie sich setzen, da auf das Sopha, und dann lassen’s mich weiter reden, was ich Ihnen sagen wollt’, – ja sehen’s, ich dacht’ mir gleich, wie ich Ihnen gestern so gegenüber saß: dem Herrn mußt du halt dein Leid klagen, der weiß einen Rath, wenn ihn Einer weiß in ganz Wien, und die ganze Nacht hab’ ich überlegt, wie ich’s mach’ und wie sich’s am besten schicken wollt’, und da hab’ ich recht gebetet heut’ Morgen zu allen vierzehn heiligen Nothhelfern, und dann hab’ ich ein recht Vertrauen gefaßt …“

„Daran hat die Demoiselle wohl und recht gethan,“ antwortete Frohn lächelnd, „denn wenn ich auch kein Heiliger bin – Ihr Nothhelfer zu werden, danach verlangt meine Seele – sagen Sie mir deshalb offen und rückhaltlos, was Sie bedrängt und Ihr junges Herz mit Kummer füllt.“

Der Arcier streckte ihr, indem er mit dem gutmüthigsten Tone von der Welt diese Worte sprach, die kräftige gebräunte Rechte hin, in welche das Thereserl für einen Augenblick die Spitzen ihrer weißen Finger legte.

„Ja, schaun Sie,“ begann sie, indem sie sich wieder auf ihren Sitz, der neben dem Sopha Frohn’s stand, niederließ; „Sie werden’s wohl schon gemerkt haben, wie’s hier im Hause steht; ’s wär’ Alles schon gut und wie’s sein sollt’, wenn nur der ewige Verdruß nicht wäre, der Verdruß, wissen’s, mit meinem Bruder, dem Franzl, dem nichtsnutzigen Menschen, der uns Alle noch unter die Erde bringt durch seine dummen Streiche.“

„Ist der so schlimm?“ fiel Frohn begütigend ein, da er sah, daß das Thereserl im Begriff war, sich in einen rechten Zorn hineinzureden.

„Gar zu schlimm, Herr von Frohn, Sie können sich’s nicht

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 577. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_577.jpg&oldid=- (Version vom 14.5.2017)