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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

vorstellen, die Anschläge, die er hat; zeitlebens hat er nichts getaugt, auf den Schulen nicht, da haben’s ihn fortgejagt, beim Maler nicht, bei dem er in die Lehre gegangen ist, der hat ihn auch fortgejagt, und dann ist er beim Theater gewesen und hat gemeint, er sei ein großes Genie und die Besten sollten noch von ihm lernen, aber da haben’s ihn ausgelacht, und der Herr Schikaneder, wissen’s, der in dem Schwarzenberg’schen Palais sein Theater hat, der hat ihn auch nicht mehr haben wollen. Da ist er denn zur Reitschule als Scholar gekommen, und ’s hat auch eine Weile gut gethan, daß der Vater gemeint hat, er wird jetzt Ruh’ vor ihm haben – nur daß er alle Augenblicke gekommen ist, um Geld zu verlangen.“

„Und jetzt hat ihn die Reitschule auch fortgeschickt, und ich soll einen guten Rath geben, wie man seine Nichtsnutzigkeit in irgend einem Soldatencorps zu passender Verwendung bringen könnte?“ unterbrach Frohn den eifrigen Redestrom.

„Ach, wenn’s weiter nichts wäre,“ fiel das junge Mädchen ein, „nein, viel schlimmer ist’s, denn schaun Sie, der Futterschreiber hat ihm nachgesagt, er hätt’ ihm anvertrautes Geld unterschlagen, und da ist die Polizei gekommen und hat ihm seine Sachen durchvisitirt, und was sie gefunden haben, das haben sie mitgenommen und haben ihn in’s Arresthaus eingesperrt.“

„Das ist freilich eine arge Geschichte,“ sagte Frohn betroffen und voll Theilnahme.

„Ja freilich,“ fuhr Thereserl, deren Thränen wieder zu fließen begannen, fort, „freilich ist’s eine arge Geschichte, aber das Aergste ist’s doch noch nicht, denn schaun Sie, Herr von Frohn, ’s ist nicht allein um das, für den Franzl wär’s ein rechter Denkzettel, daß er ’mal so anrennt, aber was das Schlimmste ist, er hat mir auch etwas gestohlen, und das haben sie jetzt auch auf der Polizei, und das ist gar schrecklich, denn wenn ich’s nicht wieder bekomme, so geht’s um mein Leben, und aus der Donau unten können’s mich herausfischen, ehe wenig Tage vergehen, und …“

Das junge Mädchen brach hier in ein heftiges Schluchzen aus, das ihre Worte erstickte.

„Nun, mein Gott,“ sagte Frohn, erstaunt über diesen leidenschaftlichen Ausbruch, „so holt man’s eben wieder. Ich begreife, daß Sie nicht gern auf der Polizei erscheinen wollen, um durch solch eine Reklamation Ihres Eigenthums als Anklägerin gegen Ihren Bruder aufzutreten. Aber Sie können ja sagen, Sie hätten es ihm selber anvertraut oder geliehen.“

„Ach Gott,“ fiel Thereserl ein, lebhaft mit der Hand winkend, als ob sie damit Frohn’s Vorschlag abwehren wolle, noch bevor sie es mit Worten thun könne, „wenn das ginge! Aber schaun Sie, ich kann’s ja gar nicht sagen, daß es mir gehört, und es gehört mir auch gar nicht, und da würden sie mich schön in’s Gebet nehmen auf der Polizei, wenn ich darein käme, und ausliefern thäten sie’s mir hernach doch nicht.“

„Aber was ist’s denn, Demoiselle Thereserl, was kann es denn sein, das Ihnen so am Herzen liegt, und das Sie doch nicht als Ihr Eigenthum reclamiren dürfen?“

Thereserl schlug ihre beiden Hände wie in heller Verzweiflung vor das Gesicht.

„Ach, wenn ichs Ihnen doch nur sagen könnt’!“ schluchzte sie, „wenn ich nur wüßt’, daß Sie nicht gar zu schlecht von mir denken würden, wenn ich’s Ihnen sagte!“

Frohn blickte auf das junge Mädchen mit steigender Verwunderung. Die Sache wurde ihm immer räthselhafter.

„Können Sie denn nicht Ihren Vater danach senden?“ fragte er jetzt.

Therese schüttelte stumm den Kopf.

„Nun, Sie haben mir so viel anvertraut,“ fuhr Frohn fort, „weshalb können Sie mir denn dies unglückliche Ding nicht nennen, an dem Ihnen so viel gelegen ist, und das ich Ihnen gern wieder verschaffen werde, wenn es in meinen Kräften steht?“

„Ja, ich wußt’s,“ stammelte Therese, von ihren Thränen unterbrochen, „daß Sie gut sein und Mitleid mit mir haben und mir helfen würden, aber schaun Sie, gerade darum wird es mir so schwer; ach, wenn ich’s einmal gesagt habe, dann ist’s aus und dann werden Sie mich verachten, und …“

Frohn legte mit der Miene gutmüthigster Aufrichtigkeit seine Hand auf ihren Arm.

„Rede die Demoiselle Therese doch nicht so thöricht,“ sagte er dabei. „Wie sollt’ ich Sie verachten?! Also hübsch heraus damit, was ist’s, was der böse Bube, der Franzl ihr genommen hat?“

„Ein Orden ist’s!“ sagte sie mit dem krampfhaften Schluchzen eines Kindes.

„Ein Orden?“

„Ein Stephansorden, gar schön aus Gold gemacht und ein rothes Seidenband, um ihn um den Hals zu tragen, dazu …“

„Der war in Ihrem Besitz, und der Franzl hat ihn fortgenommen?“

„Aus meinem Nähtischchen hier,“ sagte sie, „und einen goldenen Fingerhut und mein Geld dazu; den Orden muß ich wiederhaben, oder ich sterbe vor Angst und Verdruß!“

Therese gab sich wieder einem ihrer Anfälle von Verzweiflung hin.

„Aber erklären Sie mir,“ fragte Frohn erstaunt, „wie kommen Sie zu dem Orden? Wie kommt ein solches Kreuz in das Nähtischchen eines jungen Mädchens, wie Sie sind? Der Kaiser, der als Herzog von Toscana der Großmeister ist, wird ihn der Demoiselle Thereserl nicht verliehen haben; ein Geschenk zum Namenstag von der Gode wird’s auch nicht sein, und erben kann man die Stephansorden auch nicht, denn wenn ein Ritter stirbt, so muß das Kreuz sogleich an den Ordensherold ausgeliefert werden. Nun, ich merk’s schon,“ fuhr Frohn gutmüthig lächelnd fort, „es geht mir halt ein Lichtlein auf, ein kleines; soll ich’s der Demoiselle in’s Ohr sagen? – einen Schatz haben wir, das ist ein vornehmer Cavalier, der hat den Orden uns zum Spielzeug hier gelassen, und nun sind wir in tausend Aengsten, weil wir ihm doch nicht sagen mögen, daß wir einen Bruder haben, der lange Finger macht, und weil wir den Cavalier nicht auf die Polizei schicken können, sich seinen Sanct Stephan unter den gestohlenen Sachen wieder zu suchen!“

Theresens tiefdunkles Erröthen zeigte Frohn, daß er das Rechte getroffen.

„Ja, so ist’s,“ stammelte sie in größter Verwirrung, „so ist’s, nur ist’s noch schlimmer!“

„Noch schlimmer? Was heißt das, Thereserl?“

„Der Cavalier hat eine grausam strenge Mutter, und der Orden ist derselbe, den sein Vater früher immer selbst getragen hat, und wenn er an dem nächsten Sonntag den Orden nicht trägt und nicht hat, so gibt es eine Sekatur und einen Verdruß, daß es gar nicht aufzusagen ist; und wenn die Sache auf der Polizei zur Sprache kommt, und der Franzl hält nicht reinen Mund und gesteht, wem er’s genommen, und es kommt auf mich, dann machen’s mich zeitlebens unglücklich und elend, und es wird so schlimm, daß ich’s gar nicht denken mag.“

Frohn begriff nur zu gut, daß das junge Mädchen sich allerdings in einer unangenehmen Lage befinde; wenn der böse Franz gestand, daß er seiner Schwester den Orden genommen, so mußte diese freilich in den Verdacht kommen, daß sie ihn sich widerrechtlich angeeignet, falls der betreffende Cavalier nicht für sie einstand und ihre Unschuld erklärte. Und für sie nicht so offen und männlich einzustehen, dazu konnte dieser Cavalier allerdings Gründe und sehr triftige Gründe haben.

Natürlich hatte die Entdeckung, welche unser Freund von der Arcieren-Leibgarde gemacht, die Entdeckung, was Thereserl’s Zurückgezogenheit und ihr unsichtbares Elfenwalten in der Stille des hübschen Gartenzimmers eigentlich für eine tiefere Bedeutung habe, auf seine lebhafte Sympathie für das reizende Geschöpf ein wenig erkältend eingewirkt. Nichtsdestoweniger empfand er ein herzliches Mitleid mit ihr und sagte:

„Ich sehe schon, die Demoiselle hat nicht den Muth, die Geschichte dem anzuvertrauen, der allein hier helfen könnte und helfen müßte; und da soll der Herr von Frohn zu ihm gehen und ein vernünftiges Wort mit ihm reden. Nun ja, ich thu’s ja gern ihr zu Gefallen. Er wird die Sache dann schon in Ordnung bringen und seinen Orden von der Polizei sich wieder ausbitten. Sagen Sie mir nur, wie Ihr hübscher Schatz heißt, und ich will’s schon ausrichten.“

Thereserl machte wieder ihre lebhafte abwehrende Handbewegung.

„Ach Gott, das ist’s ja gerade, daß ich’s nicht sagen darf und kann, und daß ich mir lieber die Zunge abbiß, als es ausbrächte, und daß es auf der Polizei auch gar nicht auskommen darf.“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 578. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_578.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)