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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Aber es genügte Hutten nicht, blos in Worten seine Ueberzeugung auszusprechen; er war der Mann der That und bereit mit seinem Blute einzustehen. Nur mit Mühe hielt ihn der bedächtigere Sickingen zurück, für die neue Lehre sogleich das Schwert zu ziehen. Ebenso warnte und beklagte sich Luther über des Freundes Ungestüm. „Ich möchte nicht,“ schreibt dieser, „meine Freunde, daß mit Gewalt und Mord für das Evangelium gestritten würde; in diesem Sinne habe ich auch Hutten geschrieben. Durch das Wort ist die Welt überwunden, durch das Wort die Kirche erhalten worden; und auch der Antichrist, wie er ohne Gewalt angefangen hat, so wird er ohne Gewalt zermalmt werden durch das Wort.“

Hutten’s Befürchtungen sollten sich jedoch nur zu bald bestätigen. Auf dem Reichstage zu Worms, wohin Kaiser Karl V. Luther vorgeladen, lehnte dieser den ihm zugemutheten Widerruf mit den bekannten Worten ab: „Es sei denn, daß ich mit Zeugnissen der heiligen Schrift, oder mit öffentlichen, klaren und hellen Gründen und Ursachen überwunden und überwiesen werde: so kann und will ich nicht widerrufen, weil es weder sicher noch gerathen ist, etwas wider Gewissen zu thun. Hier stehe ich; ich kann nicht anders. Gott helfe mir! Amen.“ Hierauf folgte die Achtserklärung Luther’s auf Andringen seiner Feinde, denen er nur durch seine auf Anordnung seines Landesherrn, des Kurfürsten Friedrich von Sachsen, erfolgte Entführung auf die Wartburg entging. Sowohl Sickingen, dem der Kaiser zu großem Dank verpflichtet war, wie auch Hutten, waren auf diesen Ausgang nicht gefaßt. Gleich nach Luther’s Ankunft in Worms eilte Hutten von der Ebernburg, um den hochverehrten Mann zu begrüßen; er ermahnte ihn zum standhaften Ausharren und sicherte ihm von Neuem seinen und des Freundes Schutz zu. Zugleich erließ er an den Kaiser selbst einen Brief, worin er voll Feuer die Sache der Reformation vertheidigte, indem er ihn aufforderte, das römische Joch abzuschütteln und die päpstliche Zwingherrschaft zu zerstören. Auf die Nachricht von Luthers Verurtheilung wollte er sogleich zum Schwerte greifen; nur mit Mühe hielt ihn Sickingen, der noch immer eine friedliche Wendung erwartete, von der Unbesonnenheit zurück, die Nuntien des Papstes bei ihrer Heimreise anzugreifen und als Geiseln für Luthers Sicherheit gefangen zu nehmen.

Auf eigene Faust rächte er sich wenigstens im Geiste seiner Zeit an dem Prior der Straßburger Carthäuser, der in seinem Zimmer Hutten’s Bild aufhing, um es, so oft er daran vorüberging, anzuspucken. Er schickte deshalb dem Prior und Convent gedachter Carthause einen Fehdebrief, worin er für den ihm angethanen Schimpf zehntausend Goldgulden forderte, die er auch von den Mönchen, nachdem er seine Forderung auf zweitausend Gulden ermäßigt hatte, ausgezahlt erhielt. Ebenso bedrohte er den durch die Reuchlin’schen Händel ihm verhaßten Pfarrer Meyer, dem er längst eine wohlverdiente Züchtigung zugedacht. Daß er durch dergleichen Angriffe die große Zahl seiner Gegner noch vermehrte, kümmerte nicht den tapferen, aber auch unbesonnenen Mann.

Hauptsächlich aber lag ihm die Idee am Herzen, eine Vereinigung des Adels und des Bürgerthums zum Behufe einer kirchlich-politischen Reichsreform zu Stande zu bringen. Beide Stände sollten sich nach seinem Wunsche fortan mit einander vertragen, ihre Zwistigkeiten und Fehden aufgeben, um gemeinschaftlich die um sich greifende Fürstenmacht, die täglich wachsende Tyrannei der Herrscher zu bekämpfen. Nur durch solche Verbindung und Eintracht könnte Deutschland frei und die Reformation gerettet werden. Aber nicht nur Städte und Adel, auch den verachteten und schwer gedrückten Bauer hielt Hutten für würdig diesem Bunde beizutreten. Leider verhallten seine Worte ungehört, und sein Plan, der die ganze Gestaltung Deutschlands wesentlich verändert hätte, blieb ein schöner Traum. Selbst ein Mann wie Franz von Sickingen vermochte sich nicht über die Vorurtheile seines Standes und der Zeit zu erheben; statt Hutten’s weisem Rathe zu folgen, schloß er sich nur noch inniger seinen Standesgenossen an, mit denen er sich zunächst in ein Bündniß gegen den Kurfürsten von Trier und den Landgrafen von Hessen einließ, deren Uebermacht der edle Ritter endlich erlag. Von allen Seiten in seiner Burg eingeschlossen, vertheidigte er sich mit unerschütterlichem Muth. Von Podagra geplagt, ließ er sich auf die Mauer tragen, um die Seinigen anzufeuern; da fiel ein Schuß, der ihn zu Boden warf. Mit der Heldenfassung, die ihn nie verließ, befahl er seinen Dienern, kein Geschrei zu machen und ihn still fortzutragen. „Und wie er in Zeit seines Lebens,“ berichtet der Chronist, „sein männlich, ehrlich und trutzig Gemüth gehabt, das hat er auch bis in die Stund’ seines Todes bewiesen.“

In ihm verlor die Reformation ihren tapfersten Beschützer.

Schon vorher hatte Hutten den Freund verlassen, nachdem er eine Einladung des Königs Franz von Frankreich zurückgewiesen, mit einem Jahrgehalt von vierhundert Kronen und freier Wahl des Aufenthaltsorts in seine Dienste zu treten. Trotz des Undanks und der über ihn verhängten Verfolgung blieb er treu dem Vaterlande, weil er es für schimpflich hielt, „undeutsche Dienste“ zu nehmen. Zunächst wandte er sich nach Basel, um daselbst Ruhe und Sicherheit zu finden, nachdem er an seinem Freunde Sickingen seine einzige feste Stütze in Deutschland verloren hatte; aber Ruhe und Frieden waren Hutten nicht mehr hienieden bestimmt. In Basel gerieth er mit Erasmus, dem berühmten Verfasser des Lobes der Narrheit, in Streit. Dieser, der eigentliche Begründer des Humanismus, war, wie es oft zu geschehen pflegt, vor den Consequenzen seiner Lehre erschrocken; er verleugnete seine eignen Grundsätze, als dieselben zu der von ihm nicht beabsichtigten Reformation führten. Der diplomatische Gelehrte verbat sich den ihm angekündigten Besuch Huttens, um mit dem verfolgten Neuerer nicht in eine gefährliche Berührung zu gerathen. Das war zu viel für Huttens Stolz; der emancipirte Schüler schonte nicht des zaghaften Lehrers und erließ an ihn einen offenen Absagebrief. Sein Groll wurde noch durch die Nachricht verstärkt, daß Erasmus sich gegen die Reformation offen erklärt habe. Dieser Streit und die Nachricht von Sickingens Tod schlugen ihn vollends zu Boden. In Mühlhausen, wohin er von Basel zog, fand er ebenso wenig die gehoffte Zuflucht. Die Anhänger des alten Kirchenwesens bedrohten sein Leben, sodaß der Rath ihn bedeutete, die Stadt zu verlassen, um nicht Unruhen zu erregen. So mußte er von Ort zu Ort, von Land zu Land als ein heimathloser Flüchtling irren; die Behörden scheuten sich, den politisch und kirchlich anrüchigen Märtyrer der Wahrheit bei sich aufzunehmen. Krank und elend schleppte er sich nach Zürich, von wo er einem Freunde folgende rührende Zeilen schrieb, gleichsam den Schwanengesang des sterbenden Dichters und Helden: „Wird es denn einmal Maß und Ziel finden, o Eoban, das widrige Geschick, das uns so bitter verfolgt? Von ihm zwar glaube ich das nicht; aber wir, denke ich, haben Muth genug, um seinen Anläufen Stand zu halten. Diesen einzigen Trost, diesen Hort hat uns derjenige gelassen, der das Uebrige jener feindseligen Macht überlassen hat. Mich hat die Flucht zu den Schweizern geführt, und ich sehe einer noch weiteren Verbannung entgegen. Denn Deutschland kann mich nicht dulden in seinem gegenwärtigen Zustande, den ich jedoch in Kurzem erfreulich geändert zu sehen hoffe durch Vertreibung der Tyrannen.“

Er selbst kämpfte noch bis zum letzten Augenblicke gegen „diese Tyrannen“, worunter er die damaligen deutschen Fürsten verstand; mit vor Schwäche zitternder Hand schrieb er noch einmal gegen ihre Anmaßung, Ländergier und Volksbedrückung. Vor ihren Verfolgungen fand er endlich nur Ruhe auf der Insel Ufnau im Zürchersee, wo er sich unter dem Schutze des großen Schweizer Reformators Zwingli verborgen hielt. Hier ereilte ihn der Tod. Er starb in der äußersten Dürftigkeit; wie Zwingli schreibt, hinterließ er „lediglich nichts von Werth“. Bücher hatte er keine, Hausrath auch nicht, außer – einer Feder.

Ein fränkischer Ritter ließ in dem folgenden Jahre einen Stein mit einer lateinischen Inschrift auf sein Grab setzen. Stein und Inschrift, selbst die Kunde von dem Ort, wo er begraben, sind verschwunden; aber sein Gedächtniß lebt in der Geschichte des deutschen Volkes als das des ritterlichen Vorkämpfers der Reformation, des edelsten Sohnes seines undankbaren Vaterlandes. In seinem Nachlasse fand sich eine Schrift unter dem Titel „Arminius“, worin er sich selbst folgende Grabrede hielt: „Nicht um Ruhm, Reichthum oder Herrschaft kämpfte ich, sondern das Ziel meines Strebens war, dem Vaterlande die ihm gewaltsam entrissene Freiheit zurückzugeben.“

Max Ring.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 600. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_600.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)