Seite:Die Gartenlaube (1860) 625.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

No. 40. 1860.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Mary Kreuzer.

Aus dem deutsch-amerikanischen Leben.
Von Otto Ruppius.[1]

Vor einem der zahlreichen Emigranten-Kosthäuser, mit welchen Greenwich-Street in New-York im Jahre 1849 noch besetzt war, hielt an einem Juni-Morgen ein einspänniger, ärmlicher Leichenwagen. Das Haus, obgleich kleiner, als viele der übrigen, zeichnete sich vor diesen durch eine gewisse Respectabilität der Erscheinung aus, die indessen mehr in der äußeren Reinlichkeit und Ordnung, als in andern Unterschieden, ihren Grund fand.

Der Leichenfuhrmann schwang sich eben auf den Bock, um den einsamen Todten, der in dem ringsum pulsirenden Leben nirgends eine Lücke verursacht zu haben schien, der wie so Viele vor ihm und so viele Tausende nach ihm unbekannt in unbekannter Erde ruhen sollte, hinwegzuführen, als aus dem Innern des Hauses ein junges Mädchen in die offene Hausthüre stürzte und hier in die Kniee brach. Eine ältliche Frau, die ihr gefolgt war, fing sie auf und schien in gutmüthigem Eifer ihr zuzureden, bis mit verdrießlichem Gesichte, die Hausmütze auf den Hinterkopf schiebend, eine wohlbeleibte Wirthsfigur hinzutrat.

„Du kannst nicht mit, Mädchen,“ sagte der Mann, als streite sich Unmuth und eine Regung von Mitleid in ihm, „der Wagen fährt viel zu schnell, und Du könntest ohnedies den Weg nicht wieder hierherfinden. ’s ist traurig, aber doch nicht zu ändern.“

Der Wagen fuhr im Trabe davon, das Mädchen stieß einen Schrei und streckte die Arme dem schwarzen Gefährt nach, alle Bemühungen der Frau zu ihrer Beruhigung von sich weisend, bis der Mann mit einem: „Bring sie in’s Hinterzimmer!“ die Hausthür schließen wollte.

Der Vorfall hatte einige der Vorübergehenden veranlaßt stehen zu bleiben; die Scene aber endete rasch, als sich die Thüre schloß und bald Jeder wieder gleichgültig seinen Geschäften nachging. Nur auf der entgegengesetzten Seite der Straße stand noch ein Zuschauer, dessen reges Interesse an der Scene sich selbst dann noch unverhohlen in seinen Mienen aussprach, als sich das Haus bereits geschlossen hatte, eine hohe, viereckige Gestalt, deren ganze Erscheinung, von dem faltigen, wetterbraunen Gesichte unter dem breiten Hute bis zu den riesigen Händen und der groben Fußbekleidung herab, sogleich den Mann aus dem Hinterwalde verrieth.

Er schien einige Secunden lang mit einem Entschlusse nicht fertig werden zu können und besah nachdenklich das Zeichen über der Thür, das Kost und Logis verhieß, schritt dann aber fest über die Straße und trat in das Haus.

In dem offenen Gastzimmer stand der Wirth hinter dem Schenktische, eben beschäftigt, ein großes Glas mit Branntwein zu füllen.

„Das ist gut und stärkt ein trauriges Herz!“ sagte der Fremde, mit einem kurzen Blicke durch das leere Zimmer herantretend, „ich nehme aber auch so einen Tropfen, und Sie trinken mit mir!“

Der Wirth ließ schweigend einen musternden Blick über den Gast gleiten; als dieser aber aus einem ledernen Beutel eine Silbermünze zwischen einer Anzahl Goldstücken hervorsuchte und auf den Tisch warf, schob Jener Glas und Whiskeyflasche her, und schweigend ward mit einem Stampfen der Gläser gegenseitiger „Bescheid gethan.“

„Seid auch ein Deutschländer?“ fragte der Fremde, sich den Mund wischend.

„So ist es, Landsmann!“ nickte der Andere, die Flasche wegstellend.

„Seid dann aber auch maulfaul genug, und ich möchte mich doch über eine Sache befragen!“

„Ich spreche gerade so viel als nothwendig ist, was manchmal auch für andere Leute gut wäre, die zum ersten Male nach New-York kommen,“ erwiderte der Wirth, seinen Gast mit einem Ausdrucke von halbem Humor betrachtend. „Wenn Ihr etwas zu fragen habt, so kommt nur heraus damit!“

„So – na denn geradezu! Ich möchte wissen, wie es mit dem Mädchen ist, das eben so ganz desperat that, ob sie zu Euch in’s Haus gehört, oder ob sie sonst Jemanden hat –“

Der Wirth sah dem Frager einen Augenblick scharf in’s Gesicht, schien aber schnell einen aufgestiegenen Verdacht zu beseitigen. „Wollt Ihr mir wohl sagen, Landsmann, woher Ihr seid und was Ihr in New-York thut?“ fragte er dann.

„Das kann Jeder wissen,“ erwiderte der Fremde, gutmüthig nickend, „ich habe eine Farm in Iowa, heiße Michel Kreuzer, über den jedes Kind in unserm County Bescheid geben kann, und habe in New-York mit den Advocaten wegen einer Erbschaft zu verhandeln. Und wenn Ihr wissen wollt, weshalb ich gefragt habe, so ist es das: Es ist mir gewesen, als habe das Kind seine einzige Hoffnung in dem schwarzen Wagen fortfahren sehen, und wenn es so ist, könnte ich vielleicht etwas für sie thun!“

Der Wirth rückte an seiner Hausmütze und kam langsam hinter dem Schenktische vor. „Wir wollen uns einmal setzen!“ sagte er, nach einem der von Stühlen umgebenen Tische deutend.

Der Wirth erzählte nun Folgendes: „Es mögen jetzt drei

Anmerkungen

  1. Der Verfasser der bekannten deutsch-amerikanischen Romane: „der Pedlar“ und „Gold und Geist“, ein geborner Thüringer, ist augenblicklich Redacteur des vielverbreiteten „Anzeiger des Westens“ in St. Louis und ein Liebling der deutschen Lesewelt in Amerika. „Mary Kreuzer“ ist ein Originalbeitrag des uns befreundeten Autors.
         D. Red.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 625. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_625.jpg&oldid=- (Version vom 13.8.2020)