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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

nur allzutief begründeten Unmuths und ganz erklärlicher Nachsucht gegen den abscheulichen Menschen so oft rücksichtslos bestraft habe.

Ich glaube im Vorstehenden den Standpunkt des Kameles vollkommen gewahrt und somit meine Gerechtigkeitsliebe bewiesen zu haben. Dieselbe Tugend verlangt aber, daß ich mich nun auch einmal auf den Standpunkt des Menschen stelle. Von hier aus sieht sich die Sache etwas anders an. Es läßt sich nicht verkennen, daß das Kamel wahrhaft überraschende Fähigkeiten besitzt, einen Menschen ohne Unterlaß und in unglaublicher Weise zu ärgern. Ich kenne kein Thier, welches ihm hierin gleichkäme. Ihm gegenüber ist ein Ochse ein höchst achtungswerthes Geschöpf, ein Maulthier, welches sämmtliche Untugenden aller Bastarde in sich vereinigt, ein überaus gesittetes, ein Schaf ein sehr kluges, ein Esel ein entschieden liebenswürdiges Thier. Dummheit und Bosheit sind gewöhnlich Gemeingut; wenn aber zu ihnen auch noch Feigheit, Störrigkeit, ewig schlechte Laune, Starr- und Murrköpfigkeit, entschiedner Widerwille gegen alles Vernünftige, Gehässigkeit oder Gleichgültigkeit gegen den Pfleger und Wohlthäter und noch hundert andere Untugenden kommen, welche ein Wesen sämmtlich besitzt und mit vollendeter Fertigkeit auszuüben versteht: kann der Mensch, welcher mit solchem Vieh zu thun hat, schließlich rasend werden. Der Araber behandelt seine Hausthiere wie seine Kinder, aber das Kamel bringt ihn zuweilen in namenlosen Zorn. Dies begreift man, nachdem man selbst vom Kamel abgeworfen, mit Füßen getreten, gebissen, in der Steppe verlassen und verhöhnt worden ist, nachdem Einen das Vieh tagen und wochenlang stündlich mit bewunderungswerther Beharrlichkeit und Ausdauer geärgert, nachdem man Besserungs- und Zuchtmittel sowie Bekehrungsversuche aller Art vergeblich verbraucht, alle die elektrische Spannung der Seele abkühlenden Donnerwetter ohne Wirkung losgelassen hat. Daß das Kamel in einer Weise ausdünstet, welche den Bocksgestank als Wohlgeruch erscheinen läßt, daß es das Ohr durch sein Gebrüll ebenso martert, wie die Nase durch seinen Gestank, und auch das Auge durch den gezwungenen Anblick seines unsäglich dumm aussehenden Kopfes auf dem langen Straußenhalse, gehört nicht hierher; daß es aber mit Bewußtsein dem Willen seines Herrn jederzeit entgegenhandelt, das ist es, was es in meinen Augen so tief stellt. Ich habe auf allen meinen Reisen in Afrika unter den Tausenden von Kamelen, die ich beobachten konnte, nur ein einziges gesehen, welches eine gewisse Anhänglichkeit an seinen Herrn zeigte; alle übrigen arbeiteten gezwungen zum Vortheile des Menschen.

Die einzige Eigenschaft, in welcher das Kamel groß ist, dürfte seine Freßgier sein. Außer den Häusern oder Hütten, welche es gelegentlich bis auf das Holzgerüst auffrißt, verzehrt es alle möglichen Stoffe des Pflanzenreichs, einen Mimosenaft mit den fürchterlichsten Dornen, wie einen alten ausgedienten Korb aus Dattelblattstreifen, Durrahkörner, wie Rinden, oder besser Schalenstücken. In dieser Freßgier gehen alle geistigen Eigenschaften unter. Sein Verstand ist ungemein gering. Es zeigt, ungereizt, keine Liebe und keinen Haß, sondern blos Gleichgültigkeit gegen Alles, mit Ausnahme des Futters und seines Jungen. Gereizt wird es, sobald es sich anstrengen, sobald es arbeiten soll; hilft ihm seine Wuth nichts, dann fügt es sich mit derselben Gleichgültigkeit in die Arbeit, wie in alles Uebrige. Im Augenblicke seiner Wuth ist es aber äußerst boshaft und wirklich gefährlich. Wahrhaft abscheulich ist seine grenzenlose Feigheit. Das Gebrüll eines Löwen zersprengt augenblicklich die Karawane; jedes Kamel wirft sofort seine Last ab und stürzt davon. Das Heulen einer Hyäne beunruhigt das feige Vieh außerordentlich; ein Affe, ein Hund, eine Eidechse sind ihm entsetzliche Geschöpfe. Ich kenne kein anderes Thier, mit welchem es in Freundschaft lebt. Der Esel scheint sich ziemlich gut mit ihm zu vertragen, von besonderer Freundschaft zum Kamel kann aber auch bei ihm keine Rede sein; das Roß scheint in ihm das widerwärtigste aller Thiere zu erblicken. Seinerseits scheint das Kamel die übrigen Thiere mit demselben Mißmuthe anzusehen, mit dem es den Menschen betrachtet.

Doch die häßlichste Untugend des Kamels ist unzweifelhaft seine Störrigkeit. Man muß ein Kamel tagelang geritten haben, um diese Untugend in ihrer ganzen, entsetzlichen Ausdehnung kennen gelernt zu haben. Der Anfänger im Kamelreiten hat mit dem Aufsteigen und dem sich Erhalten im Sattel genug zu thun; sowie das Thier störrisch wird, ist es zu Ende mit allem Netten. Dann gehört ein Ausgelernter in den Sattel. Das Aufsteigen in den Sattel hat seine Schwierigkeiten. Der Reiter muß mit kühnem Schwunge in denselben springen und hat anfangs genug zu thun, um sich festzusetzen. Diesen Augenblick benutzt das Thier, um allerlei Unthaten aufzuführen. Der Reiter will sich nach Süden hin wenden – er darf überzeugt sein, daß das Kamel nach Norden sich richtet; er will traben – das Kamel geht Schritt; er will es im Schritt gehen lassen – es geht mit ihm durch! Und wehe ihm, wenn er nicht ordentlich reiten, wehe ihm, wenn er das Vieh nicht zügeln kann! Er ziehe den Zaum an, soviel er will, er reiße den Kopf zurück, daß die Schnauze senkrecht nach oben steht, das Kamel wird um so toller davonstampfen. Und nun mag er sich festsetzen und sich wahren, damit ihn das Vieh nicht nach vorn hin aus dem Sattel wirft, und er dabei auf den Hals desselben zu sitzen kommt! Das liebenswürdige und tugendreiche Wesen ist viel zu ernst, als daß es ein solches Zuwiderhandeln aller Regeln höherer Reitkunst als Scherz oder Versehen hinnehmen sollte! Die nichtswürdige Behandlung, welche es seit seiner Zähmung von dem Menschen erdulden mußte, hat seinen ursprünglich unzweifelhaft edlen und großen Charakter mürrisch und unduldsam gemacht. Es sieht das Ungeschick des Reiters von der ungünstigsten Seite an, als Unbilliges, welches „kein edles Herz erträgt“, und sucht sich nach Kräften dagegen zu wehren. Ein Schrei der Wuth entringt sich seinen nicht gerade anmuthigen Lippen, dann rast es zornig davon. Die auf dem Sattel liegenden und an ihm hängenden Teppiche, Trinkschläuche, Waffen etc. werden herabgeschleudert, und der Reiter folgt seinen Geräthschaften zuletzt sicher nach. Jetzt macht es schleunigst einen Versuch, der Zwingherrschaft zu entrinnen, und stürmt auf gut Glück in die Wüste hinaus. Leider sind die Kameltreiber auf alle diese Fälle vorbereitet. Augenblicklich eilen sie dem Flüchtling nach; laufend, schleichend, eine unbefangene Miene heuchelnd, suchen sie sich ihm zu nähern; sie bitten, locken, schmeicheln, bis sie den nebenherschleppenden Zügel erfaßt haben: dann aber zeigt sich ihre schwarze Seele in ihrer ganzen Abscheulichkeit. Mit einem Satze sind sie, die Kunstgeübten, im Sattel, kräftig zügeln sie das widerspenstige Thier, eilen auf seiner Spur zurück, suchen die abgeschüttelten Gegenstände zusammen, lassen das Kamel sich niederlegen, prügeln es tüchtig ab und beladen es, als wäre nichts geschehen, mit unendlicher Ruhe von Neuem. Und sollte es ihnen wirklich nicht gelingen, des Flüchtlings wieder habhaft zu werden, so sind dafür hundert Andere, ganz Unbetheiligte, immer bereit, ein herrenloses Kamel einzufangen und es, seiner Spur folgend, zum Ausgangspunkte seiner Lustwandlung zurückzureiten; denn kein Araber läßt ein flüchtig gewordenes Kamel entrinnen, ohne wenigstens den Versuch gemacht zu haben, es wieder unter die rechtmäßige Botmäßigkeit zurückzuführen. Daß bei solcher Behandlung das vortreffliche Geschöpf seinen Seelenschmerz in herzerschütternden Seufzern zum Himmel schreit, ist sehr erklärlich.

Doch wo käme ich hin, wollte ich noch mehr von den geistigen Eigenschaften des Wüstenthieres erzählen! Es genüge, wenn ich sage, daß ein Kamel die Kunst versteht, den Menschen durch sein Gebahren rasend zu machen, daß es keine einzige wirklich großartige Eigenschaft des Geistes besitzt, daß es an Adel des Geistes hinter sämmtlichen anderen Hausthieren zurücksteht. Und gleichwohl ist es das wichtigste aller Hausthiere Nordafrika’s! Dies dankt es seinen leiblichen Begabungen, welche ich in einem zweiten Aufsatze besprechen will.




Aus den ersten Tagen Neapolitanischer Freiheit.
Dritter Brief eines deutschen Malers.

– – – Noch habe ich’s nicht überwunden: die physische und geistige Hitze dieser drei letzten Tage, das betäubende Jubelgeschrei, die Lichter, die Fackeln, das Wogen und Drängen und Gesticuliren und Declamiren dieser braunen Flammen von Menschen, dieses unerhörte Carnevalsfest der Freiheit, diese Meuchlings-Ueberfälle umarmungs- und kußwüthiger Volksmassen summt und

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 633. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_633.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)