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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Blätter und Blüthen.


Prätendenten-Segen. Wie die neuesten Nachrichten von der hesperischen Halbinsel melden (diese Zeilen wurden am 11. September geschrieben), hat König Franz II. von Neapel seine Hauptstadt dem siegreichen Dictator Garibaldi überlassen; binnen Kurzem dürfte er auch seinem Reiche den Rücken gekehrt und in Oesterreich, Spanien oder England ein Asyl gesucht haben. Damit wäre dann das Dutzend der europäischen Kronprätendenten voll. Von dieser Zahl kommt die Hälfte auf Italien, und zwar sind solches neben König Franz noch folgende Pnnzen: 1) der Erzherzog Ferdinand von Oesterreich, seit dem August vorigen Jahres durch die Thron-Entsagung seines Vaters Leopold Großherzog von Toscana. 2) Der Erzherzog Franz von Oesterreich-Este, welcher trotz seiner zweimaligen Verjagung (1848 und 1859) sich noch immer „Herzog von Modena, Reggio, Massa und Carrara“ nennt. 3) Die im Sommer vorigen Jahres vertriebene Herzogin-Regentin Louise von Parma, geborne Prinzessin von Bourbon, Vormünderin ihres Sohnes, des minorennen Herzogs Robert. 4) Fürst Karl Honorius von Monaco, Reclamant der Duodez-Staaten Mentone und Roccabruna. 5) Prinz Lucian Murat, Sohn des im October 1815 zu Pizzo in Calabrien erschossenen Exkönigs Joachim Murat, Schwagers Napoleon’s I., welcher den von seinem Vater in den Jahren 1808 bis 1815 besessenen neapolitanischen Thron für sich in Anspruch nimmt.

Die sechs außeritalienischen Kronprätendenten sind: 1) der Infant Dom Miguel, Prinz von Braganza, reclamirt den Thron von Portugal, welchen er von 1828 bis 1834 mit Blut und Schmach besudelte. 2) Der Infant Don Carlos von Spanien, welcher seinen vermeintlichen Rechten auf die Kronen von Spanien und beiden Indien erst kürzlich durch eine Don-Quixotiade Geltung zu verschaffen suchte, dabei gefangen ward, um frei zu kommen verzichtete, als er diesen Zweck erreicht hatte, aber (echt bonrbonisch und echt ritterlich!) seine Verzichtleistung wieder zurücknahm. 3) Der „Graf von Chambord“ Henri Dieudonné, Herzog von Bordeaux, welcher seinen Anhängern, den Legitimisten, als rechtmäßiger König „Heinrich V.“ von Frankreich und Navarra gilt. 4) Der „Graf von Paris“, Louis Philippe, Herzog von Orleans, beansprucht zwar nicht wie sein Vorgänger den französischen Thron als ein „von Gottes Gnaden“ ihm zustehendes Erbe, gilt aber seiner Partei nichtsdestoweniger als rechtmäßiger „König der Franzosen“. 5) Prinz Gustav Wasa, aus der jüngeren Linie des herzoglichen Hauses Holstein-Gottorp, Sohn des 1809 vertriebenen und 1827 verstorbenen Königs Gustav IV. von Schweden, welcher, zur Zeit General und Gutsbesitzer in Oesterreich, bei jedem Thronwechsel im Hause Bernadotte seine Rechte auf den schwedischen Thron in Erinnerung bringt. Endlich ist 6) noch ein Herr Demetrius Komnenos in Paris, welcher bei dem vermutheten baldigen Hinscheiden des „kranken Mannes“ miterben, ja sogar der Haupterbe sein will.

Er beansprucht nämlich, als angeblicher Abkömmling der alten ruhmreichen (später freilich entarteten) byzantinischen Kaiserfamilie der Komnenen, diejenigen Provinzen des türkischen Reiches, welche seine angeblichen Vorfahren zu der Zeit besaßen, als sie auf den Thronen von Constantinopel und Trapezunt saßen; also etwa das heutige Königreich Griechenland, die europäisch-türkischen Provinzen Thessalien, Macedonien und Rumelien und den größten Theil von Kleinasien. Ein Weiteres begehrt Herr von Komnenos nicht, und hat erst vor wenigen Wochen in mehreren Pariser Zeitungen „den Herrschern und den Völkern von Europa“ seine „wohlfundirten“ Rechte auf die genannten Länder ans Herz gelegt; wir haben jedoch nicht vernommen, daß irgend eine Großmacht geantwortet oder ihm auch nur die Insertions-Gebühren seiner Proclamation erstattet hätte.

Zu keiner andern Zeit jemals ist Europa so gesegnet mit Prätendenten gewesen, wie gegenwärtig; selbst nicht zur Zeit der Throne umstürzenden Gewaltherrschaft des ersten Napoleon. Zwischen den Prätendenten von damals und denen von jetzt waltet übrigens der große Unterschied ob, daß jene sämmtlich, mit einziger Ausnahme des schon genannten Königs Gustav IV. von Schweden, durch das Schwert eines Eroberers von ihren Thronen verdrängt wurden, während sämmtliche jetzige Prätendenten entweder selbst von ihren Unterthanen vertrieben wurden, oder Söhne oder Nachkommen solcher Fürsten sind, die ihre resp. Kronen durch Verbrechen oder Thorheit verscherzten.

G. J.


Ein seltenes Jubiläum feierte in letzter Leipziger Messe der Fabrikant Carl Weißenborn aus Langensalza. Dieser alte, noch sehr rüstige Herr, der, seiner Gesundheit nach zu urtheilen, leicht noch 50 Messen besuchen kann, hat seit dem Jahre 1810 ununterbrochen die Leipziger Messen, Ostern, Michaeli und Neujahr, bezogen und somit jetzt 152 Messen einer Stadt mitgemacht – in guter und schlechter Zeit. Der Leipziger Stadtrath, in gerechter Würdigung dieser seltenen Geschäftsenergie und Anhänglickkeit an Leipzig, hat im Laufe der letzten Messe folgendes Schreiben an den Jubilar erlassen:

„Es ist von uns in Erfahrung gebracht worden, daß Sie seit der Ostermesse 1810, mithin seit fünfzig Jahren, die hiesigen Messen ununterbrochen besuchen. –

Wenn Sie auf den verflossenen langjährigen Zeitraum zurückblicken, so werden Sie gewiß mit dankbarem Herzen gegen die gütige Vorsehung erfüllt sein, die Ihnen ein so seltenes Glück hat zu Theil werden lassen; Sie werden sich aber auch den Gefühlen des Dankes um so freudiger hingeben können, da Sie die wohlthuende Genugthuung haben, daß Ihre lange unermüdete Thätigkeit nicht ohne Erfolg geblieben ist und Ihnen einen ehrenvollen Ruf in der Geschäftswelt gesichert hat.

Ist nun aber eine ehrenhafte langjährige Wirksamkeit mit vollem Rechte ein Gegenstand besonderer Achtung, so finden auch wir uns veranlaßt, Ihnen an diesem für Ihr Geschäftsleben höchst erfreulichen Jubelfeste unsere aufrichtigste Theilnahme zu bezeigen und Ihnen zu den erlangten Erfolgen Ihrer Thätigkeit Glück zu wünschen. – Möge es Ihnen vergönnt sein, die Früchte Ihres unermüdlichen Fleißes noch lange zu genießen, und mögen Sie bei ungeschwächter Kraft des Körpers und des Geistes noch manches Jahr in unsere Stadt zurückkehren und stets gern hier verweilen.

Mit vollkommenster Hochachtung unterzeichnet

Leipzig, den 7. Mai 1860.
Der Rath der Stadt Leipzig.“




Eine in Texas erscheinende Zeitschrift enthält folgendes bemerkenwerthe Inserat:

Es wird ein Müller gesucht;

derselbe muß ein unbescholtener Mann sein, kein Lästerer oder Trunkenbold, kein Schnapstrinker, kein Sabbathschänder. Wenn er Christ ist, muß er ein Bibelchrist, d. h. ein solcher sein, welcher die Religion nicht im Kopfe, sondern im Herzen trägt, nicht Einer, der schön thut vor den Leuten – nicht Einer, von denen der Apostel Paulus sagt: „Fliehe vor ihnen.“ Vor Allem soll mit ihm ein christlicher Umgang zu pflegen sein, und sein Herz sich verschließen vor jedem unkirchlichen Handel und Wandel. Auch muß er ein Mann sein, der Mühlsteine so behauen kann, wie sie das beste Mehl machen und der überhaupt versteht, die Mühle in Ordnung zu halten. Ebenso muß er die Maschine treiben können, da es ihr im Sommer und im Winter an Wasser fehlt.

Fayette, May 10. 1860.   John Raab.“

Wir wünschen Herrn Raab, daß er einen Müller nach seinem Herzen finden mag.




Schach.
Dilaram’s Matt.

Im freundlichen Gartensalon vor Ispahan’s Thoren saß zu dämmernder Abendstunde am Schachbret ein edler Greis, Persiens großer Dichter und Schachmeister Al Suli; ihm gegenüber seine und des ganzen Landes schönste Tochter Dilaram. Wie wenig ahnten sie Beide, von des königlichen Spieles Zauber gefesselt, die drohende Gefahr eines Ueberfalles! Ismael Khan, der zurückgewiesene Freiwerber, schlich mit rohen Sclaven heran, um Vater wie Tochter in seine Gewalt zu bringen. Aber Allah wachte für sie und sandte Rettung. Nourjehan, Persiens edler Prinz, der Stolz eines siegreichen Heeres, warf, dem Todesengel Azrael gleich, sich unter die räuberische Rotte, und die sein Schwert verschonte, trieb bleicher Schrecken zur Flucht. Wohl fesselte Dankbarkeit und Wohlwollen, bald aber auch glühende Liebe zu einander wie zum königlichen Spiele den Retter und seine Schützlinge. Dilaram ward des edlen Persers bevorzugte Gattin, er selbst der gefürchtetste Gegner auch im friedlichen Kampfe auf den vierundsechzig Feldern. Da zog, von so hohem und weitem Rufe getrieben, ein Fürstensohn aus dem Süden herbei, um im Kampf mit Persiens Stolz unsterbliche Lorbeeren zu erringen. Durch einen weisen Braminen in Indien erzogen, und auch in des königlichen Spieles tiefste Geheimnisse eingeweiht, erstritt der Ankömmling Sieg auf Sieg und gewann in Ispahan reiche Beute. Schon hatte sein edler Gegner alle Schätze und Besitzungen, ja seine Familienkleinodien vergeblich auf’s Spiel gesetzt. Da ging er, von wilder Leidenschaft hingerissen, den letzten Kampf um seine geliebte Dilaram ein. Heftig entbrannte die Schlacht, lange schwankte die Entscheidung; plötzlich dreht der überlegene Schachgegner ein unabwendbar scheinendes Matt. Wilder Verzweiflung Grimm erfaßt den edlen Perser, schon will er zum Kampf auf Leben und Tod nach dem Schwerte greifen, da stürzt aus dem nahen Zimmer hinter dem lichten Vorhang die geängstete Lauscherin Dilaram hervor, und mit bebendem Aufruf: „Gib hin den Thurm und rette Dein Weib!“ bringt sie die Erlösung für sich wie für den Gatten.

Aufgabe Nr. 7.
Schwarz.

Weiß.
(Nourjehan und Dilaram.)

Die Tradition hat die Schlußstellung der Partie unter dem Namen „Dilaram’s Matt“ aufbewahrt; es ist das älteste bekannte Schachproblem, welches nach unseren gegenwärtigen Schachregeln modificirt hier mitgetheilt wird. Das Original nebst der Sage findet sich in einem alten persischen Manuscript unter Nr. 16,856 des britischen Museum. Wir werden hierauf, sowie auf die sogenannte christliche Version des Ganzen, bei Mittheilung der Lösung zurückkommen.

Weiß zieht an und setzt in fünf Zügen Matt.




Für „Vater Arndt“

gingen bei Unterzeichnetem wieder ein: 15 Thlr. Von einem kleinen Kreise Deutscher in Moskau – 3 Thlr. Döring in Calbe – 2 Thlr. F. S. Hartmann in Iwanowskoe (Gouvernement Kursk) – 10 Thlr. 20 Ngr. Für Vater Arndt, durch Advocat Hannsen in Meldorf, 26 Mark 12 Schilling Hamburger Courant, als Ergebniß einer Sammlung bei Gretchen Ott – 2 Thlr. 71/2 Ngr. Sammlung der Redaction des Schleizer Wochenblattes.

Ernst Keil.



Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 640. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_640.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)