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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

damit den Ankommenden gleich beim Eintritt der wärmende Trank entgegendufte; der alte Farmer war ihr aber bereits zuvorgekommen, und hart hinter ihr trat Heinrich ein. Keiner von Beiden schien sich in guter Laune zu befinden, denn mit einern einsylbigen Gruß legte Kreuzer seinen Hut bei Seite, während der Bursche einen trotzigen Blick über das Mädchen laufen ließ und sich dann wortlos auf einen Stuhl warf.

Die Frau schien die Unfreundlichkeit Beider kaum zu bemerken und hob erst eine Weile nach deren Eintritt in ihrer kalten Weise den Kopf. „Ist es wirklich so, Kreuzer, daß Du das Mädchen mit einem von den Osborne’s heimgeschickt hast?“ fragte sie.

„Das ist so, Mutter!“ erwiderte der Sohn an Stelle des Vaters, „und ich habe schon auf dem Wege gesagt, was ich davon halte. Wenn die Mary zur Familie gehört, so soll sie kein Wort mit den Osborne’s reden; mit James, dem hochmüthigen, dummen Jungen, aber am allerwenigsten!“

„Wie ist das, Kreuzer?“ fragte die Frau, streng zu dem Alten aufsehend.

„Das ist gerade so, wie es ist!“ erwiderte der Farmer, ruhig seine Pfeife vom Kaminsimse nehmend, „und wenn Jungen erst ihren Vater meistern wollen und wenn sie darin von ihrer Mutter unterstützt werden, anstatt eins auf die Zähne zu bekommen, so thut unsereins am Besten, schreien zu lassen, was schreit, und seinen Weg allein zu gehen!“

Die Frau warf einen forschenden Blick in das Gesicht des Alten, der, ohne eine Erregung kund zu geben, sich seine Pfeife anbrannte. „Ich habe meinethalber gefragt,“ sagte sie dann, „und kaum gehört, was der Heinrich gesprochen!“

„Dann war es jetzt am allerwenigsten die Zeit zu fragen,“ erwiderte Kreuzer. „Weil es aber einmal so weit ist, so will ich ein paar Worte sagen, damit wenigstens das Mädchen weiß, woran es ist, und nicht noch meint, sie habe selber ein Verbrechen begangen. Gib mir eine Tasse Kaffee her, Mary, er riecht ganz gut!“

Mary hatte dem kurzen Gespräche mit einer Art heimlicher Angst zugehört, der ganze Weihnachtsschimmer in ihr war davor erloschen, und auch die letzten Worte des Farmers vermochten nicht, ein Gefühl von Druck, das plötzlich über sie gekommen, von ihr zu nehmen. Kreuzer hielt ihre Hand fest, als sie ihm den Kaffee brachte, „’s ist da eine alte Geschichte zwischen uns und den Osborne’s, die Du jetzt erfahren sollst,“ sagte er; „aber wenn ich auch dem Major nicht vergessen kann und darf, was er gegen mich gethan, so wäre es doch vielleicht für eine Frau und die jungen Leute besser gehandelt, wenn sie hülfen, daß unter ihnen begraben würde, was einmal geschehen ist, als daß die Feindschaft immer von Neuem frisch gemacht und weiter fortgepflanzt wird.“

„Sie haben erst zu uns zu kommen, wenn von Vergessen geredet werden soll!“ warf die Frau mit finster zusammengezogenen Augen ein.

„Du weißt noch nicht viel von den Amerikanern, Mädchen,“ fuhr der Alte fort, als habe er den Einwurf nicht gehört, „darum muß ich Dir sagen, daß ein Theil davon umgänglichere Leute sind, als wir Deutschen es gegen Fremde vielleicht jemals werden können, daß aber auch ein anderer Theil, in denen das alte englische Adelsblut steckt, den eingewanderten Bauer und Arbeiter wie einen ganz andern, geringeren Menschenschlag ansieht, dem sie am liebsten das wenigste Recht in diesem Lande gäben und mit dem sie nirgends etwas zu thun haben wollen. Und zu dieser Sorte gehörte – ’s ist nun schon ein Jahrer zehn oder länger her – der Major Osborne. Aber er bekam doch mit dem Michel Kreuzer, der gerade eingewandert war und sein gekauftes Land baar bezahlt hatte, zu thun, und er hat hart daran beißen müssen. Die Landvermessungen hier herum waren alle längst gemacht, aber es mußte ein gutes Theil Unordnung darin herrschen, denn der Major behauptete, der größte Theil von dem wilden Lande, das ich gekauft, gehöre zu seiner Farm, und als ich mein erstes Blockhaus aufrichten wollte, kam er mit seinen Knechten und drohte mich niederzuschießen wie einen tollen Hund, wenn ich nicht mache, daß ich fortkomme. Es waren noch zwei Deutsche und ein Amerikaner aus der Nachbarschaft bei mir, die mir helfen wollten, das Haus aufzurichten; sie redeten mir Alle ab, mich mit Gewalt zu widersetzen; der Major habe Anhänger rings herum, und ich könne nicht gegen ihn aufkommen, ich solle mein Recht vor Gericht suchen. Der Amerikaner brachte mich auch zu einem Advocaten, der sein Geschäft wohl verstehen mochte, aber aus der Sache auch die besten Pfeifen für sich selber schnitt. Ein Jahr nach unserer Ankunft hier lagen wir allesammt noch immer in der „Tavern“ am „Point“; das Land war uns endlich zugesprochen, aber unser Geld war aufgezehrt und zumeist für Advocaten-Gebühr darauf gegangen, wir kamen in Noth, und keins von uns wußte, was werden solle. Da drängte uns der Advocat zu einer Entschädigungsklage gegen den Major, wofür er nichts haben wolle, bis wir selbst unsere Entschädigung hätten. Die Sache ging los, und es mußte wohl ordentliches Feuer dahinter gemacht worden sein, denn drei Wochen darauf ließ mir der Major sagen, ich solle zu ihm kommen, er wolle sich mit mir vergleichen. Ich ließ ihm melden, er habe gerade so weit zu mir, als ich zu ihm; im Uebrigen aber überlasse ich die Sache meinem Advocaten. Es dauerte noch zwei Monate, da hatte ich mein früheres Geld wieder und auch den Advocaten bezahlt; der Major aber ließ mir wissen, wenn sich Eins von uns auf seinem Lande blicken ließe, werde er ihm mit einer Kugel den Weg weisen. Das war freilich kein Gruß, um gute Nachbarschaft zu beginnen, und zudem konnte uns kein Geld die Sorgen und die schlaflosen Nächte, die wir ausgehalten, bezahlen. Ich hatte bis dahin noch nicht gewußt, was es heißt, Jemand von Herzensgrunde hassen – damals aber lernte ich es.

„Wir fingen unsere Arbeiten hier an, und wenn es sich zufällig traf, daß ich dem Major auf der Straße begegnete und er mit einem so kalten Gesichte gerade aussah, als habe er mich mit keinem Blicke bemerkt, hätte ich ihm oft die Fäuste unter die Nase halten mögen; da das aber zu nichts helfen konnte, als dem Manne das Recht zu einer Klage gegen mich zu geben, vielleicht die größte Freude, die ich ihm hätte machen können, so ließ ich es unterwegs. Desto tiefer aber grub sich der Groll in mir ein, und Mutter hier, die dem Heinrich jeden Tag erzählte, weshalb er niemals ein Wort mit dem Jungen des Majors reden dürfe, war auch nicht faul, mir das Herz immer noch bitterer zu machen – sie hatte während des langen Jahres voll Sorgen vielleicht auch noch mehr gelitten, als ich selber.

„Das ist aber, wie gesagt, länger als zehn Jahre her. Währenddem siedelten sich mehr Deutsche hier herum an, und die Amerikaner fingen an zu merken, daß wir ihnen über den Kopf wuchsen. Ich hatte den Rest von meinem Vermögen aus Deutschland bekommen und konnte bald ordentlich in’s Zeug gehen, so daß ich mit der Zeit so viel unter den Deutschen galt, als der Major unter seinen Amerikanern, und wenn einmal eine Wahl vor der Thür stand, kam mancher von dessen Freunden zu mir und meinte, ich solle meinen Groll nicht andern Leuten entgelten lassen, die, wenn sie auch Amerikaner wären, ihn nicht verdient hätten. Ich wußte, daß jetzt der Major noch bitterer gestraft wurde, als damals, wo er Proceßkosten und Entschädigung hatte zahlen müssen – und wenn ich ihm auch keinen Finger aus Gefälligkeit hätte hinhalten mögen, so kam mir doch oft genug der Gedanke, daß es unrecht sei, die Feindschaft der Eltern auch auf die Kinder zu übertragen, von denen noch keins weiß, wie es einmal das andere brauchen kann – kam mir besonders, wenn ich die Jungen vom Major thun sah, als wüßten sie von dem alten Streite kein Wort –“

„Du magst thun, wie Du willst, Vater, und ich werde es auch thun!“ unterbrach Heinrich den Sprechenden. „Mir soll Keins von den Osborne’s guten Tag zu bieten haben, und meine Meinung ist, wer sich von den Jungen einen Gefallen thun läßt, der hat auch schon dem Alten die Hand geboten!“

Kreuzer legte langsam die Pfeife weg, erhob sich und schritt auf den Burschen los. „Und wenn ich nun dem Alten die Hand bieten wollte,“ sagte er mit gerunzelter Stirn, Heinrichs Arm fassend, „willst Du Kieck in die Welt, der sich noch mit Kornmehl-Papp füttern ließ, als Deine Eltern ihr Leiden durchmachten, mir etwa sagen, was ich zu thun habe? Gefällt Dir das nicht, was Dein Vater für recht findet, so magst Du zusehen, ob es Dir bei andern Leuten besser behagt, es steht Dir frei –“

„Kreuzer, jetzt habe ich auch ein Wort darein zu sprechen!“ erhob sich die Frau.

„Ich sage, Frau, es wird jetzt nichts mehr über die Sache geredet!“ erwiderte Kreuzer, sich langsam herumdrehend. „Was die Eltern mit einander haben, mögen sie unter sich abthun, aber nicht vor den Kindern, und so lange ich noch hier im Hause lebe, sollen meine Jungen mir keine Vorschriften machen, und wäre auch die Mutter wirklich so unverständig, daß sie sich mit ihnen gegen den Vater verbündete!“ Es war ein ungewöhnlich heller Ton, welcher in des Alten letzten Worten klang, und die Bedeutung desselben schien der Mutter wie dem Sohne hinlänglich bekannt; keine Sylbe

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 644. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_644.jpg&oldid=- (Version vom 1.5.2018)